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Beitrag vom 18.06.2008
Julia - ein Film von Erick Zonca
Anna-Lena Berscheid
Tilda Swinton zeigt erneut, dass sie ihren Beruf meisterlich beherrscht: Sie spielt eine Alkoholikerin und Kidnapperin, der alles zu entgleiten droht und ist damit ab 19.06.2008 im Kino zu sehen.
Julia (Tilda Swinton) befindet sich irgendwo zwischen 30 und 40 und führt ein scheinbar normales Leben. Von Beruf ist sie Immobilienmaklerin, am Wochenende geht sie mit FreundInnen und KollegInnen aus und trinkt dabei gerne mal ein Glas zuviel. Doch diese scheinbare Normalität trügt gewaltig: Den Rausch des Wochenendes braucht Julia täglich, die Kontrolle darüber hat sie schon längst nicht mehr.
So verliert sie zu Beginn des Films ihren Job und droht, ganz abzurutschen. Unterstützung findet sie in ihrem Freund Mitch (Saul Rubinek), einem Ex-Trinker, der sie dazu drängt, zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker zu gehen. Dort trifft Julia auf Elena (Kate del Castillo), die ihr gegenüber wohnt. Elena ist verzweifelt - nach dem Tod ihres Mannes wurde ihr der Sohn Tom (Aidan Gould) genommen, der nun beim reichen Großvater im goldenen Käfig lebt. Sie möchte Tom entführen lassen, um endlich mit ihm zusammen leben zu können und Julia soll dabei helfen. Diese ist von der Idee erst dann angetan, als Elena ihr viel Geld bietet, welches sie angeblich durch einen Prozess zugesprochen bekommen hat.
Julia sieht ihre Chance gekommen - da sie kurz vor der Pleite steht, kann sie das Geld gut gebrauchen. Sie wird Teil von Elenas Plan und entführt den kleinen Tom, auch vor brachialer Gewalt schreckt sie dabei nicht zurück. Doch kaum hat sie den Jungen in den Kofferraum gepackt, fangen die Probleme an: Sie muss Tom illegal und unbemerkt durch die Wüste nach Mexiko bringen. Dort gilt sie, die selbst mittellos ist, als reiche Amerikanerin und Tom, ihr vermeintlicher Sohn, wird von skrupellosen Gangstern in Tijuana entführt. Doch ohne Kind kein Geld für Julia - so macht sie sich auf, den Jungen zu suchen...
Tilda Swinton gewann in diesem Jahr den Oscar als Beste Nebendarstellerin. Zwar wurde er ihr nicht für ihre Rolle der Julia überreicht, jedoch sollte ihre Darstellung der Julia in diesem Film jede Zuschauerin davon überzeugen, dass sie diesen Preis wahrlich verdient hat. Die schottische Schauspielerin mimt eine Frau, die nicht wahrhaben will, dass sie die Macht über sich und ihr Leben verliert, überzeugend und eindringlich. Als Zuschauerin möchte frau daher kaum glauben, dass es sich um eine Fiktion handelt. Gleichzeitig scheint es, als seien es mehrere Frauen verschiedenen Alters, die in Tilda Swinton stecken. Sie erscheint mal jung und frisch, dann wieder, aus dem Rausch erwachend, wie eine über 50jährige, der der Suff ins Gesicht geschrieben steht. Die Kamera ist stets vollkommen auf die Protagonistin gerichtet, die ZuschauerInnen erleben das, was auch Julia erlebt. So sind die vielen One Night Stands nur angedeutet und symbolisieren so die vielen Filmrisse, die Julia aufgrund ihrer Trinkerei hat.
Aufgrund ihrer starken Rolle wirkt der Nebencast etwas blass. So bleibt zum Beispiel unklar, wieso Mitch, ihr stets hilfsbereiter Freund, ihr solidarisch beisteht. Ebenso wird nicht klar, was mit Elena passiert, der Mutter des Kindes, welches Julia nach Mexiko entführt. Dafür lässt sich der Film, der ohnehin schon Überlänge hat, keine Zeit mehr. Dadurch trägt Tilda Swinton mit ihrer starken Darstellung den Film quasi im Alleingang und trotz der Ambivalenz Julias, die sich bis zuletzt in Lügen verstrickt und dabei jegliche Skrupel verliert, entwickelt frau ein tiefes Mitgefühl zur Filmfigur.
Bis zur letzten Sekunde hält sich die Spannung, denn es bleibt unklar, ob ein Happy End überhaupt möglich ist. So geraten die 138 Filmminuten sehr kurzweilig, frau findet sich in einem Wechselbad zwischen Spannung, Mitgefühl und Entsetzen wieder. Jedoch geraten einige Wendungen in der Handlung zu schnell und sind daher nicht immer verständlich.
Zur Hauptdarstellerin:
Nach Abschluss ihres Studiums in Cambridge wurde Tilda Swinton an die Royal Shakespeare Company eingeladen, die sie ein Jahr später wieder verließ, um mit Filmemacher Derek Jarman zu einem Abenteuer aufzubrechen, das bestimmend werden sollte für die frühen Jahre ihrer Karriere. Bis zu seinem Tod drehte sie sieben Filme mit ihm, darunter "Caravaggio" (1986), "The Garden" und "Edward II" für den sie den Coppa Volpi als Beste Schauspielerin in Venedig erhielt.
Ihr Hollywood-Debut gab Tilda Swinton an der Seite von Leonardo Di Caprio im Film "The Beach" (2000). In den letzten Jahren gelang es ihr immer wieder, Independent Filme wie "Thumbsucker" (2004) mit internationalen Blockbustern wie "Constantine" (2005) oder "Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia" (2005) zu vereinbaren.
Ihr Part einer skrupellosen Anwältin als Gegenspielerin von George Clooney in "Michael Clayton" brachte Tilda Swinton 2008 den Oscar als Beste Nebendarstellerin ein.
Zum Regisseur:
Erick Zonca drehte nach seinem Studium an Schauspielschulen in Paris und New York einige Kurzfilme. Sein Spielfilmdebüt "La vie rêvée des anges" (1998) war ein großartiger Erfolg bei Kritik und Publikum und brachte ihm den César für den Besten Film in Cannes ein. Neben seiner Tätigkeit als Regisseur tat sich Zonca auch als Drehbuchautor von Virginie Wagons "Le secret" (2001) hervor.
"Julia" lief im Wettbewerb der 58. Berlinale im Jahr 2008.
AVIVA-Tipp:
Erick Zoncas Film konzentriert sich auf seine überragende Hauptdarstellerin Tilda Swinton, die eindrucksvoll eine nur scheinbar starke Frau in einer ausweglosen Situation mimt. Die Gratwanderung zwischen Charakterstudie und Thriller gelingt dabei vollkommen, auch wenn der Film zum Ende hin deutlich an Fahrt und Authentizität verliert.
Julia
im Verleih des Kinowelt Filmverleihs
Frankreich, 2007
Drehbuch: Aude Py, Erick Zonca
Regie: Erick Zonca
DarstellerInnen: Tilda Swinton, Saul Rubinek, Kate del Castillo, Aidan Gould, Bruno Bichir
Dauer: 138 Minuten
Kinostart: 19. Juni 2008
Weitere Informationen zum Film unter:
www.julia.kinowelt.de