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Beitrag vom 18.11.2011
Der Fall Chodorkowski - ein Film von Cyril Tuschi
Britta Meyer
Am 25. Oktober 2003 stürmt in Nowosibirsk eine russische Spezialeinheit den Privatjet von Michail Borissowitsch Chodorkowski und nimmt einen der reichsten Männer der ganzen Welt fest. Die...
... Anklage: Steuerhinterziehung und Betrug. Aber so einfach ist es nicht.
Akribisch und präzise rollt Tuschi den Werde- und Niedergang eines klassischen russischen Oligarchen auf: von seinem Engagement im kommunistischen Jugendverband zum Unternehmensgründer, der virtuelles Geld aus der Perestroika-Zeit verwendete, um die erste Privatbank der UdSSR zu gründen. Wie sein früherer Vorgesetzter Maxim Valetski resümiert, konnte der studierte Chemiker Chodorkowski nur in die Wirtschaft gehen, da ihm als Jude in Russland eine wissenschaftliche Karriere verwehrt geblieben wäre. Mit reichlich Ellebogen und ohne erkennbaren moralischen Skrupel gegenüber seinen MitarbeiterInnen und KonkurentInnen kämpft er sich rasch an die Spitze eines rapide wachsenden Imperiums. Was er anfasst scheint zu blühen: 1995 ersteht er zu einem Spottpreis den hochverschuldeten Ölkonzern YUKOS und macht ihn zum mächtigsten Unternehmen und größten Steuerzahler Russlands.
Vom Machtmenschen zum Menschenfreund
Um die Jahrtausendwende herum verändert der Multimillionär sowohl sein öffentliches Auftreten, als auf seine Geschäftspolitik radikal, investiert etliche Millionen Dollar in die Ausbildung und Förderung mittelloser junger RussInnen und führt den Konzern YUKOS transparenter und offener. Hat ein rücksichtsloser Vorzeigekapitalist plötzlich den Philanthropen in sich entdeckt? Oder verspricht er sich von seiner Läuterung einfach neue InvestorInnen und ein besseres Image? Der Film stellt die Frage, lässt sie aber dankenswerter Weise ungelöst in der Luft schweben.
Sicher ist, dass Chodorkowski, trotz der Bitte des Kreml, sich aus politischen Angelegenheiten herauszuhalten, nach 2000 die Opposition unterstützte. Sicher ist auch, dass er sich im Februar 2003 in aller Öffentlichkeit mit Wladimir Putin angelegt hat, ihm vor laufenden Kameras vorwarf, Korruption im eigenen Land zu tolerieren. Putin antwortete sehr leise und sehr eisig: "Herr Chodorkowski, sind Sie sicher, dass Ihre Steuerangelegenheiten in Ordnung sind?". Wenige Monate später wurde der YUKOS-Vize-Konzernchef Platon Lebedew und kurz danach Chodorkowski selbst verhaftet. Beide wurde zu neun Jahren Gefängnis in Sibirien verurteilt, noch vor Ablauf der Strafe erneut angeklagt – diesmal wegen Unterschlagung und Geldwäscherei – und zu weiterer Haft, voraussichtlich bis zum Jahr 2016, verurteilt.
Während der Prozesse, der gescheiterten Revisionsverfahren und den abgelehnten Anträgen auf vorzeitige Haftentlassung begannen international wirkende Menschenrechtsorganisationen sich für sie einzusetzen, Amnesty International behandelt Lebedew und Chodorkowski inzwischen als "gewaltlose politische Gefangene" und verlangt ihre sofortige Freilassung.
Zum Regisseur: Cyril Tuschi, geboren 1969 in Frankfurt am Main, ging in Seattle zur Schule, studierte zurück in Deutschland Philosophie und Regie und gewann 1996 mit seinem Kurzfilm "Nachtland" den New York Academy Camera Prize. Nachdem er einige Musikvideos und Spielfilme gedreht hatte, ist "Der Fall Chodorkowski" sein erster Beitrag zum Dokumentargenre.
AVIVA-Tipp: "Der Fall Chodorkowski" ist ein Film, den mensch sich besser mehr als einmal ansehen sollte. Tuschi hat seine in fünf Jahren zusammen getragenen Unmengen von Material – allein die Interviews sind insgesamt 180 Stunden lang – bestmöglich zusammengekürzt, um den Zuschauenden einen komprimierten Überblick seiner Recherchen zu bieten. Durchsetzt mit kurzen Animationssequenzen, Daten und Zahlen der Unternehmensentwicklung und der Prozesse sowie atmosphärischen Eindrücken aus Moskau und Sibirien lässt er seinen GesprächspartnerInnen viel Zeit und Raum für ihre zum Teil sehr emotionalen Schilderungen. Es entsteht ein komplexes, spannendes Erzählgeflecht um den Menschen Chodorkowski, das eineN lange nicht loslässt.
Der Fall Chodorkowski
Originaltitel: Khodorkovsky
Deutschland, 2011
Verleih: Farbfilm Verleih
Drehbuch, Konzept und Regie: Cyril Tuschi
Produktion: Lala Films
Kamera: Peter Dörfler, Franz Koch, Eugen Schlegel, Cyril Tuschi und andere
Dramaturgie: Jutta Doberstein, Aaron Craemer
Schnitt: Salome Machaidze, Cyril Tuschi
Musik: Arvo Pärt
Länge: 111 Minuten
Kinostart: 17. November 2011
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.derfallchodorkowski.de
www.amnesty-russlandgruppe.de
Ein Interview mit Cyril Tuschi in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung