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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 08.11.2007


Ich will Dich. Begegnungen mit Hilde Domin
Annegret Oehme

Die Filmemacherin Anna Ditges besuchte die große deutsche Lyrikerin über zwei Jahre hinweg und zeichnete die Begegnungen mit der Kamera auf. Das zwiespältige Ergebnis ist jetzt zu begutachten.




"Ein jeder geht eingehüllt in den Traum von sich selber."

Worte einer der beeindruckendsten Literatinnen des 20. Jahrhunderts.
Hilde Domin gehörte allerdings nicht wie Mascha Kaléko und Else Lasker-Schüler zu den jüdischen Vor-Shoah-Dichterinnen, sondern begann erst spät im Exil, mit 42 Jahren, ihre Gedanken und Gefühle in Gedichte zu hüllen.

Hilde Domin wurde als Hildegard Löwenstein 1909 in Köln als einzige Tochter einer Sängerin und eines Rechtsanwaltes geboren, wo sie eine sehr liberale und glückliche Kindheit in der assimilierten jüdischen Familie erlebte. Nach dem Abitur studierte sie in Heidelberg, Köln und Bonn Jura, Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Soziologie. Während dieser Zeit lernte sie Erwin Walter Palm kennen, der ebenfalls jüdischer Herkunft war, sich aber zum Katholizismus bekannte. Eine Rede Hitlers und die darauf folgenden fanatischen Reaktionen der ZuhörerInnen veranlassten die beiden, 1932 Deutschland zu verlassen. Zuflucht suchten sie zunächst im von Mussolini regierten Italien, wo Hilde promovierte. Um den Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete sie jedoch als Fremdsprachenlehrerin. Da auch in Italien der Rassenwahn immer populärer wurde, floh Hilde mit Erwin, den sie in Rom geheiratet hatte, über England in die Dominikanische Republik. Von da an nannte sich Hilde mit dem Namen ihres Zufluchtsortes "Domin". Im Jahr 1954 kehrt das Ehepaar nach Deutschland zurück. Berufsbedingt wurden sie 1961 in Heidelberg sesshaft, wo Erwin 1988 und Hilde Domin am 22. Februar 2006 starben. Bis zuletzt war sie noch als freie Schriftstellerin aktiv, hielt Lesungen und dozierte.

Nur durch Zufall stieß die junge Filmemacherin Anna Ditges auf Hilde Domins ersten Gedichtband "Nur eine Rose als Stütze". Beeindruckt durch die Tiefe dieser Lyrik und die Magie ihrer Worte, nahm sie Kontakt zur Dichterin auf, die sich gegenüber Presse und JournalistInnen oft unzugänglich und unkooperativ zeigte. Diesmal aber war es anders. Die 95jährige Hilde Domin fasste schnell Vertrauen und zwischen den beiden entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. In deren Zuge erlaubte die Lyrikerin der jungen Filmemacherin, eine Dokumentation über sie zu drehen. Etwa zwei Jahre – bis zum Tod Hilde Domins – besuchte Anna Ditges sie regelmäßig in Heidelberg. Die Kamera war dabei allgegenwärtig.
Sei es nun der Friedhof, ein Spaziergang mit einer Freundin oder das Teetrinken im Bademantel am Kaffeetisch – alles wurde gefilmt. Ohne Rücksicht. Ohne Distanz. Dabei beklagte sich Hilde Domin immer wieder über die Omipräsenz des schwarzen Apparates. Als sie sich wiedereinmal darüber beschwerte, dass Anna sie aus der Nähe filmte, ging diese zwar ein Stück zurück, zoomte die alte Frau aber heimlich doch wieder heran. Natürlich hatte Hilde Domin ihre Erlaubnis zu einem Film erteilt, aber ob sie ein Portrait auf diese Art und Weise gewollt hätte? Wir können sie nicht mehr fragen. Und das ist vielleicht auch besser so, denn ob die sehr auf Äußerlichkeiten bedachte Grande Dame der Deutschen Lyrik sich gewünscht hätte, dass Tausende sie im Bademantel mit herunterhängenden Haaren, beim Schlafen mit Stützstrümpfen oder beim Friseurbesuch sehen, bleibt fraglich.

AVIVA-Fazit: Anna Ditges gibt sich zwar Mühe, kein glorifizierendes Portrait Hilde Domins zu entwerfen und lässt auch kritische Fragen stehen, wird der großen Künstlerin aber keinesfalls gerecht. Ein kleines bisschen mehr Idealisieren wäre schön gewesen. Am Ende fühlen sich die ZuschauerInnen wie aufdringliche VoyeurInnen, die die Grenzen der Privatsphäre deutlich überschreiten. Manchmal möchte man die Augen schließen und sich bei Hilde Domin entschuldigen.

Ich will Dich. Begegnungen mit Hilde Domin wurde bei den 29. Biberacher Filmfestspielen als Bester Dokumentarfilm mit dem Dokubiber ausgezeichnet.


Ich will Dich. Begegnungen mit Hilde Domin
Deutschland 2007
Regisseurin: Anna Ditges
95 Minuten
Bundesstart: 08.11.2007
FSK: beantragt
www.ichwilldich-derfilm.de

Weitere Informationen zu Hilde Domin finden Sie unter:
www.shoa.de/content/view/72/202
www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/liter/domin


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Beitrag vom 08.11.2007

AVIVA-Redaktion