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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.02.2008


Tehilim – Psalmen
Annegret Oehme

Vom 06. bis zum 25.03.2008 zeigt das Eiszeit Kino Berlin einen ungewöhnlichen Film über Verlust und die Wege, damit umzugehen. Offizieller Wettbewerbsbeitrag beim Festival de Cannes 2007.




Eine kleine jüdische Familie in Jerusalem: 2 Söhne, mäßig religiös, durchschnittlich.

Als sich eines Morgens Menachem und David Frankel wie üblich im Auto geschwisterlichen Zänkereien hingeben, gerät ihr Vater in Wut und kommt von der Straße ab. Menachem wird losgeschickt Hilfe zu holen, findet bei seiner Rückkehr aber nur noch seinen jüngeren Bruder im Auto wieder. Wo ist der Vater?
Familie, Polizei und Geheimdienst sind ratlos – Eli Frankel bleibt verschwunden.

Mit dem Verlust der geliebten Person gehen die Familienmitglieder unterschiedlich um. Der fromme Großvater will so viel wie möglich Menschen zum Gebet versammeln - allerdings in der Wohnung seiner Schwiegertochter. Auch sein ältester Enkelsohn sucht Zuflucht in Religion und Religiosität. David und Menachem sind in dieser schweren Zeit, trotz aller Mitleidsbekundungen, auf sich allein gestellt. Deshalb suchen sie eigene Mittel und Wege, mit der schwierigen Situation fertig zu werden. Gemeinsam engagieren sie sich für die Aktion "Tehilim bischwil Eli Frankel" (Psalmen für Eli Frankel). Was als gute Idee begann, wird zum Selbstläufer, der deutlich über das Ziel hinauszuschießen droht.

Das Prinzip der Familie als Stütze versagt bei den Frankels völlig. Es fehlt an der notwendigen Kommunikation. Jede/r versucht den Verlust zu verarbeiten, ohne dabei auf die Gefühle der anderen Rücksicht zu nehmen oder negative Folgen zu bedenken.
Vor allem die Ungewissheit, ob Eli tot ist, entführt oder sich freiwillig aus dem Staub gemacht hat, zerrt an den Nerven aller. Wie betet man für einen Mensch, von dem man nicht mal weiß, ob er noch lebt?

Rafael Nadjari zeichnet das packende Psychogramm einer traumatisierten Familie nach.
Dabei beleuchtet er nicht nur das Konfliktpotenzial zwischen einer scheinbar berechnenden Mutter und ihrem pubertierenden, aus seiner Welt gerissenen Teenagersohn, sondern auch die diskrepanten religiösen Vorstellungen innerhalb eines so engen sozialen Gefüges.

Ganz bewusst entschied sich der Filmemacher für Jerusalem als Handlungsort, einer Stadt der Gegensätze. Gedreht wurde in der Gegend der ha´Palmach Straße, die selbst eine Art Zwischenraum - die religiösen und liberalen BewohnerInnen verbindend – darstellt und so Spiegel der familiären Situation ist.

Für die Darsteller David und Menachem Frankels entschied sich Rafael Nadjari für eine ungewöhnliche Vorgehensweise – er ließ sie von Laienschauspielern verkörpern. Umso beachtlicher ist die Leistung Michael Moshonovs und Yonathan Alsters, die das Brüderpaar voller Tiefe in Szene zu setzen vermochten und die Verzweiflung und Hilflosigkeit bedrückend wahrhaft darstellen.

Ãœber den Titel "Tehilim"
Tehilim, die Psalmen, sind Gedichte, Lieder, Lehrstücke und Meditationen, die König David zugeschrieben werden. Sie bilden das Herzstück jüdischer Liturgie. Tehilim sollen Jüdinnen und Juden in ihrem täglichen Leben begleiten, bei jeder Gelegenheit: Heirat, Geburt, Freude, Traurigkeit, Trauer oder Verzweiflung. Es sind Texte sowohl für das Demütige wie auch das Kraftvolle, sie erzählen die Geschichte eines komplexen und harten menschlichen Kampfs und eine Form exemplarischer Erlösung die wir wie eine Inspiration, Hoffnung und Referenz lesen und hinterfragen sollen.

AVIVA-Tipp: Mit kritischen Tönen werden die einzelnen Wege der Familienmitglieder beleuchtet, ohne dabei eine Lebensweise als die einzig wahre herauszustellen. "Tehilim" ist eine bewegende Charakterstudie, die einen Kern jüdischer Tradition trifft: die Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen.

"Tehilim" wurde ausgezeichnet mit dem Großen Preis des Tokio Filmex, und auf dem International Filmfestival Kuala Lumpur als Bester europäischer Film.

Tehilim (Psalmen)
Hebräisch mit Untertiteln
Regie: Rafael Nadjari
DarstellerInnen: Yonathan Alster, Dov Berkovitz, Ilan Dar, Limor Goldstein, Yoav Hait, Robert Hoeing, Reut Lev, Michael Moshonov, Naomi Tzvick, Shmuel Vilojni, Ilanit Ben Yaakov
Verleih: mec film
Israel/Frankreich 2007
96 Minuten
"Tehilim" ist vom 06.-25.03.2008 im Eiszeit Kino in Berlin zu sehen und läuft unter anderem im Rahmen der Filmreihe anlässlich des 60. Jahrestages des Staates Israel.
Veranstaltungsort:
Eiszeit Kino
Zeughofstraße 20
10997 Berlin
www.eiszeit-kino.de


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Beitrag vom 24.02.2008

AVIVA-Redaktion