Lee Miller – Krieg. Reportagen und Fotos. Ausstellung ihrer Arbeiten vom 19. März bis 12. Juni 2016 im Martin-Gropius-Bau, Berlin - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 07.02.2016


Lee Miller – Krieg. Reportagen und Fotos. Ausstellung ihrer Arbeiten vom 19. März bis 12. Juni 2016 im Martin-Gropius-Bau, Berlin
Yvonne de Andrés

Als sie 1944 als Kriegskorrespondentin für die Vogue nach Europa ging, war sie bereits eine Größe im New Yorker Jetset. Miller war Top-Model, Partylöwin, Künstlerin und Meisterfotografin. Ihre Fotos und Reportagen über die "Krauts" machten sie zum neuen Star des Journalismus.




Die Ausstellung Lee Miller, Fotografien im Martin-Gropius-Bau konzentriert sich auf die Zeit von 1929 bis 1945. Es war die produktivste Schaffensphase der Fotografin. Lee Miller war eine junge sehr schöne Frau, die wach, vital, neugierig und lebenshungrig war: "Ich sage immer, dass ich keine einzige Minute meines Lebens verschwendet habe", und Lee Miller weiter: "Aber ich kenne mich, und wenn ich jetzt noch mal von vorne beginnen könnte, ginge ich mit meinen Gedanken, meinem Körper und meinen Gefühlen noch viel freier um."



1929 ging sie zum Fotografieren nach Paris, wo sie durch Man Ray in Kontakt mit der Avantgarde und speziell mit den Surrealisten kam. In den Straßen von Paris und in Man Rays Atelier entstanden ihre ersten fotografischen Arbeiten. Die Lehrer-Schülerin-Beziehung entwickelt sich schnell zu einem Liebesverhältnis. Man Rays Aufnahmen von Lee Miller, ihrem makellosen Gesicht, ihrem nackten Torso, gehen in die Fotografiegeschichte ein. Das gängige Klischee von "Muse-Modell-Geliebte" traf auf die Beziehung zwischen Lee Miller und Man Ray jedoch nicht zu. Oftmals in Zusammenarbeit mit Man Ray fertigte sie Bilder an, in denen sie Motive durch enge Bildausschnitte und experimentelle Techniken verfremdete und so eine paradoxe Wirklichkeit in Szene setzte.
"Wir haben immer fotografiert, vor allem wenn ich für Man gearbeitet habe. Er hatte eine neue Idee zu Belichten oder Entwickeln und ich war das Versuchskaninchen. Ich war immer dabei."



Einen breiten Raum nehmen die stilistischen, kompositorischen und ikonografischen Auseinandersetzungen mit der Fotografie ein. Solarisation war die neue mediale Möglichkeit, die Lee Miller in dieser Zeit anwendete. Miller beschränkte sich nicht nur auf Atelier-Arbeiten, sondern war ständig in Paris auf der Suche nach unkonventionellen Motiven unterwegs.



1934 – 1939 folgt Lee Miller ihrem ersten Ehemann Aziz Eloui Bey, nach Ägypten. Hier entstehen sehr ästhetische Motive von Landschaften und Architektur. Ab 1938 reist Lee Miller mit dem englischen Künstler Roland Penrose (ihrem späteren zweiten Ehemann) über Athen nach Bukarest. Beide fotografieren auf dieser Reise intensiv. Penrose schreibt an der Inkunabel des surrealistischen Künstlerbuchs "The Road is Wider than Long" welches er Lee Miller später widmete.

Als Modefotografin und ehemaliges Model startet Lee Miller in London 1940 für die Vogue. Mit der deutschen Bombardierung und Zerstörung Londons ("Blitz") verändern sich schlagartig ihre Motive.

Elizabeth "Lee"" Miller berichtet erstmalig am 2. August 1944 aus Frankreich: "Meer und Himmel vereinigten sich in flüchtigen Wasserfarben. Unter uns waren zwei Konvois, Flecken auf der brüchigen, ruhigen Oberfläche des Ärmelkanals. Cherbourg lag weit nach rechts im Nebel, und vor uns kehrten drei Flugzeuge vom Bombenabwurf zurück, der Rauchsäulen aufsteigen ließ. Das war die Front." Sie ist akkreditiert für die Vogue und begleitet als Kriegsberichterstatterin von 1944 bis 1945 den Vormarsch der Alliierten in Westeuropa. Sie erlebt die Landung am Strand der Normandie, berichtet aus einem Feldlazarett am Omaha Beach, über den Brand in Hitlers Adlerhorst in den bayerischen Alpen, über das Ende des Krieges und die Befreiung der KZs Dachau und Buchenwald.



Hier entstehen besonders eindrückliche Reportagen und Bilder. "Die sechshundert Leichen, die sich im Hof des Krematoriums stapelten, weil im Lager in den letzten fünf Tagen die Kohle ausgegangen war, hatte man bis auf hundert weggeschafft. [...] Unter den offiziellen Lagerkarten, die überall zerstreut und zerfleddert herumlagen, befand sich auch die Buchhaltung des Lagers. Da wurden kein Geld und keine Arbeitsstunde aufgeführt, sondern die Zahl der Toten. Seit Anfang des Jahres lag sie bei über fünftausend, fast sechstausend monatlich." Miller beschreibt minutiös die Hilfen der US-Soldaten für die Überlebenden und die riesigen Leichenberge, die sie bei der Befreiung der KZs vorfanden. Auch die ersten Maßnahmen der Reeducation beschreibt sie: "Es war General Pattons Idee, dass die Bewohner Weimars, einige Tausende jeden Alters und Geschlechts, die von den Brutalitäten der Konzentrationslager noch nie etwas gehört hatten, dem Lager einen Besuch abstatten sollten." Ganz genau berichtet Miller, wie die Aufklärung der deutschen "Besucher/innen" im KZ Buchenwald erfolgte. Eindrucksvoll ist ihre Serie von Täterbildern, die sie als "wohlgenährte Bastarde" verflucht. Dabei bildet sie deren kalte Grausamkeit ab.



Im Mai 1945 trifft Miller mit dem 179. Regiment in München ein. Adolf Hitler ist tot. München, Bastion des Nazi-Idealismus, war innerhalb eines Tages zusammengebrochen. Sie und andere besetzten die Wohnung Adolf Hitlers. Sie übernachten dort. Hier hat Lee Miller das Bedürfnis, den Dreck der Banalität des Bösen abzuspülen. Ihr Kollege David E. Scherman nimmt das bekannte Foto auf, das Lee Miller in Hitlers Badewanne zeigt. Davor stehen ihre schweren Schnürstiefel und ihre amerikanische Armeeuniform. An die Redaktion der Vogue schreibt sie: "Also gut, er war tot. Für mich war er bis heute nicht wirklich lebendig. Er war all diese Jahre ein böses Maschinen-Monster gewesen, bis ich die Orte sah, die er berühmt gemacht hatte, mit den Menschen sprach, die ihn kannten, dem Hintertreppengerede nachforschte und in seinen Haus aß und schlief. Es wurde da schon weniger großartig und deshalb umso schrecklicher."



Zur Autorin: Elizabeth "Lee" Miller wurde 1907 in Poughkeepsie im US-Bundesstaat New York geboren. Condé Nast fuhr sie versehentlich an und entdeckte die 20jährige als Fotomodell für seine Modezeitschriften "Vogue" und "Vanity Fair". Lee Miller wurde ein gefragtes Supermodell. Sie war schön, intelligent und durchsetzungsfähig. Lee Miller war die Muse und Partnerin von Man Ray und Freundin von Picasso, Colette, Jean Cocteau, Louis Aragon. Nach der Trennung von Man Ray entschied sich Miller, selbstständig als Fotografin mit eigenem Studio in Frankreich zu arbeiten. Enttäuscht von Liebesbeziehungen wie von der auseinanderdriftenden Kunstszene in Paris kehrte sie 1932 nach New York zurück, um bald erneut ein eigenes Fotostudio zu eröffnen. Ihr fotografisches Schaffen umfasst konträre Genres wie den Surrealismus, Mode-, Porträt-, Reisefotografie sowie und Kriegsberichterstattung. Für das Magazin "Vogue" fotografierte und berichtete sie von 1944 bis 1945 über den Feldzug der Westalliierten zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. In der männerdominierten Welt der Kriegskorrespondenten musste sie sich willensstark ihren Platz erobern. Ihr Kollege und Herausgeber David E. Scherman schreibt im Vorwort: "Man kann sich inzwischen, fast fünfzig Jahre später, kaum vorstellen, wie schwierig es damals für einen weiblichen Kriegskorrespondenten war, bis zu einer Stellung jenseits der Etappe vorzudringen, anders gesagt, an die Front zu kommen, wo die Action war. [...] Lee war sehr gut darin, schnell zu reagieren und zu improvisieren, und im Handumdrehen wurde sie von Offizieren und der Mannschaft akzeptiert."
Ihre Fotos zählen schon länger zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts, besonders die Bilddokumentationen vom "London Blitz", und von der "Invasion der Alliierten". Ihre Kriegsreportagen gewinnen erst in den letzten Jahren an Bedeutung. Nach Kriegsende zog sie sich aus dem Bildjournalismus zurück. 1947 heiratete sie Roland Penrose. Die Bilder des Krieges verursachten Miller zunehmenden Depressionen und erzeugten eine Kriegsneurose. Lee Miller starb am 21. Juli 1977 an Krebs. David E. Scherman schreibt über Lee Miller: "Der Krieg gab ihr ein klares Ziel, das ihr ganzes Leben fokussierte und all ihre früheren Erfahrungen in eine Richtung lenkte – eine Welt zu formen, die auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und Wahrheit und des Mitgefühls gründet."

V.l.n.r.: Der Kurator Dr. Walter Moser, Albertina - Sammlungsleitung, Fotografie der Gegenwart und Antony und Amy Penrose, Lee Miller Foundation, stellten die Ausstellung vor.
© AVIVA-Berlin, Sharon Adler


Antony Penrose empfahl uns, beim nächsten London-Besuch einen Abstecher nach Sussex ins Farley Farm House - Home of the Surrealists, dem Wohnhaus und Museum von Lee Miller, zu unternehmen.

Mehr Infos auf: www.farleyfarmhouse.co.uk und www.leemiller.co.uk

AVIVA-Tipp: Brillant. Endlich liegen Lee Millers komplette Reportagen, Artikel und Briefe aus den Kriegsjahren 1944-1945 gemeinsam mit ihren zahlreichen berühmten Fotos als Taschenbuch vor. Miller schreibt über das befreite Paris und ihre Gespräche mit Picasso, Cocteau, Aragon, Éluard und Colette, als auch über den tiefsten Punkt der Menschheit in den KZs Dachau und Buchenwald. Der Ton ihrer Artikel wird immer rauer, umso mehr Unfassbareres sie in Deutschland erlebt. Lückenlos versucht sie die Eindrücke mit ihrer Rolleiflex und in den Reportagen festzuhalten. Überraschend für mich, war, was die Mode-Magazin-Leserinnen so alles damals gelesen haben. Beeindruckend klar ist Miller in ihren Beschreibungen. Die Texte stimmen auch heute noch sehr nachdenklich.
Sowohl die Ausstellung als auch die Publikation des im Hatje Cantz, erschienenen Katalogs machen Lee Miller herausragende Arbeiten wieder zugänglich, darunter neben frühen surrealistischen Kompositionen auch Reisefotos. Am Ende des Zweiten Weltkriegs reiste Lee Miller als Kriegsberichterstatterin durch Europa, wobei ihr erschütternde Aufnahmen von historischer Bedeutung gelangen, darunter von der Befreiung des KZ Dachau und KZ Buchenwald. Unbedingt sehenswert!

Ausstellung:

19. März bis 12. Juni 2016
Lee Miller – Fotografien

Lee Miller (1907-1977) ist eine der vielseitigsten US-amerikanischen Fotografinnen und Fotojournalistinnen des 20. Jahrhunderts. Sie hat in ihrem Werkschaffen gegensätzliche Genres wie den Surrealismus, Mode-, Porträt-, Reisefotografie sowie und Kriegsberichterstattung vereint. Die rund 100 gezeigten Aufnahmen veranschaulichen Lee Millers Leben aus unterschiedlichen Perspektiven: als Assistentin, Muse und Partnerin von Man Ray im Paris der 1930er-Jahre, als Pionierin der Kunstfotografie und als Fotojournalistin während des Zweiten Weltkriegs. Ihre Aufnahmen des Luftbombardements des nationalsozialistischen Deutschlands auf London, der Befreiung von Paris und der Konzentrationslager in Dachau und Buchenwald zählen zu den eindringlichsten Kriegsdokumenten des 20. Jahrhunderts.
Veranstaltungsort: Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Öffnungszeiten:
MI bis MO 10:00–19:00
DI geschlossen
Eintritt
7 Euro/ ermäßigt 5 Euro, Gruppen (ab 5 Personen) p.P. 5 Euro
Schüler/innengruppen, p.P. 3 Euro
Eintritt frei bis 16 Jahre
Weitere Infos und das Begleit-Programm finden Sie unter:
www.berlinerfestspiele.de




Lee Miller
Texte von Anna Hanreich, Astrid Mahler, Elissa Mailänder, Walter Moser, Ute Wrocklage, Visuelle Essays von Anna Artaker, Tatiana Lecomte, Gestaltung von Manuel Radde
Hatje Cantz, erschienen 2016
Broschur, 160 Seiten
29,80 Euro [D] / 29,80 Euro [A]
Hatje Cantz, 2015
ISBN: 978-3-7757-3955-9
www.hatjecantz.de




Lee Miller
Krieg. Reportagen und Fotos. Mit den Alliierten in Europa 1944-1945

Originaltitel: Lee Miller´s War 1944-1945
Aus dem Amerikanischen von Norbert Hofmann, Andreas Hahn
Vorwort von David E. Scherman und einem Nachwort des Herausgebers Antony Penrose
btb, Broschur, 272 Seiten
11,99 Euro [D] / 12,40 Euro [A]
Randomhouse Verlag, erschienen am 08.09.2015
ISBN: 978-3-442-74901-0
www.randomhouse.de

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Unerschrocken und mutig wie ihre Texte sind auch die selbstkritischen Kommentare, mit denen die Kriegsreporterin Martha Gellhorn die Gesamtausgabe ihrer Zeitungsbeiträge versah. Als vollkommen naiv stellt sie sich selbst in jungen Jahren dar, als unbedarfte Schriftstellerin, die ohne große Vorbereitung nach Europa ging, um für eine amerikanische Zeitung aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu berichten.

Amanda Vaill, Hotel Florida
Am 18. Juli 1936 hielt die Welt den Atem an. Der Militärputsch in Spanien mobilisierte viele progressive Intellektuelle, die Spanische Republik zu unterstützen. Anhand von Briefen und Erinnerungen erzählt die mehrfach ausgezeichnete Autorin von "Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg".


Copyright Fotos: Sharon Adler




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Beitrag vom 07.02.2016

Yvonne de Andrés