Meine Schwester - A Ma Soeur - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 14.10.2002


Meine Schwester - A Ma Soeur
Gaby Miericke-Rubbert

Das Ende der Unschuld oder die Anleitung zum Unglücklichsein




...Langeweile, nichts als Langeweile! Ach, käme doch Mann oder Frau, Tier oder Geist, um ihr zu helfen, aus der eintönigen Realität in eine Traumwelt zu fliehen! Ansonsten können die Krähen ihr verfaulendes Herz fressen.....

Mit diesen oder ähnlichen Worten besingt die 12jährige Anaïs die Gefühle ihrer pubertären Zerrissenheit, Emotionen zwischen Langeweile, Sinnentleertheit, Todessehnsucht und aufkeimender sexueller Neugier. Bereits in den ersten Filmminuten wird deutlich, daß die Zuschauer auf keinen Fall mit einer lockeren Teeniekomödie zu rechnen haben, sondern mit hartem Toback von der schwer verdaulichen Sorte.

Anaïs, das Pummelchen, hat sich ihre Speckröllchen als Schutzschild zugelegt, hinter dem sie Distanz zur Familie herstellen kann und gleichzeitig zur klarsichtigen Beobachterin und Analytikerin wird. Sie beobachtet mit Eifersucht und Neid ihre 3 Jahre ältere, sehr attraktive Schwester Elena, die es wagt, sexuelle Erfahrungen anzubahnen, nach denen sich Anaïs selbst sehnt.

Im gemeinsamen Sommerurlaub sind die beiden Schwestern unzertrennlich und werden zu heimlichen Verbündeten, als sie den italienischen Jurastudenten Fernando kennenlernen, der gern und schnell bereit ist, sich auf die Annäherungsversuche Elenas einzulassen. Anaïs, die nicht nur tagsüber als Anstandsdame fungiert, wird eines Nachts gezwungenermaßen, weil sie sich mit Elena ein Schlafzimmer teilt, zur Augenzeugin, wie die große Schwester dem sexuellen Drängen Fernandos nachgibt.

Anaïs hatte noch vorher versucht, Elena zu warnen, daß das „Erste Mal“ auf keinen Fall etwas mit Liebe oder Verliebtheit zu tun haben sollte, aber Elena ist nicht willens, ihre romantische Illusion aufzugeben. Und als Fernando ihr einen äußerst wertvollen Ring schenkt, sieht sie ihr Wunschbild vom Märchenprinzen bestätigt und hält das Schmuckstück für ein Verlobungssymbol.

Der Besuch von Fernandos Mutter, die den Ring als den ihren zurückfordert, bringt die Seifenblase der romantischen Verführung zum Platzen. Außer sich vor Wut und Hilflosigkeit tritt die Mutter mit ihren beiden Töchtern überstürzt die Heimreise an. Das bedrückende Schweigen während der schier endlosen Autofahrt kündigt in einem langem Spannungsbogen die sich anbahnende Katastrophe an. Bis schließlich der böse Mann mit der Axt aus dem Dunkel auftaucht und dem Drama ein gruseliges Ende setzt.

Die Figuren agieren bis auf wenige Ausnahmen leidenschaftslos und unterkühlt, einziger Lichtblick eine Gute-Nacht-Szene, wo sich die beiden Mädchen kichernd vorm Einschlafen ihre schwesterlichen Gefühle von Verbundenheit, Konkurrenz und Neid eingestehen.

Der gesamte Film ist glaubwürdig und abstoßend zugleich, Ton, Licht, Kameraführung und Drehorte unterstützen perfekt die Geschichte von Tristesse, Einsamkeit und Düsternis, ganz in der Tradition so mancher freudloser französischer Filme.

Das Horroszenario am Schluß ist das I-Tüpfelchen des Grauens und verdirbt dem Zuschauer die gute Laune für den restlichen Tag endgültig. Und man möchte lieber nicht wissen, wieso Catherine Breillat uns mit einer derartig finsteren und einseitigen Sichtweise der Pubertät beglücken möchte.



Frankreich/Italien 2001, OmU
Buch und Regie: Catherine Breillat
DarstellerInnen: Anaïs Reboux, Roxane Mesquida, Libero De Rienzo,
Romain Goupil, Arsinée Khanjian, Laura Betti u.a.
Länge: 95 Min.
Kinostart: 19. September 2002


Kultur

Beitrag vom 14.10.2002

AVIVA-Redaktion