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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 29.03.2004


Elsa Thiemann im Bauhaus Archiv Museum für Gestaltung
Sabine Grunwald

Die vergessene Fotografin wird wiederentdeckt! Das Bauhaus präsentiert zusammen mit der Berlinischen Galerie Vintage Prints mit zahlreichen Berliner Motiven der 30er bis 60er Jahre. Bis 6.6.2004




Elsa Thiemann geb. Franke (1910-1981) war Anfang der 30er Jahre Studentin am Bauhaus Dessau bei Walter Peterhans. Nach Beendigung ihres Studiums 1931 beginnt sie in Berlin als freie Fotografin und Bildreporterin. In den 50er Jahren arbeitet sie bevorzugt für Fernseh- und Hörfunkzeitschriften.
Die Ausstellung zeigt eine Auswahl ihres Oeuvres, das mit 2.500 Negativen und Rollfilmen in einem kleinen Schuhkarton Platz findet.
Die Bilder, thematisch gruppiert, teilen sich in: Portraits, Berliner Motive, Tapetenentwürfe und Rätselbilder.

Ein Portrait von ihr als 19 jährige Bauhausstudentin zeigt eine junge, moderne Frau, die selbstbewusst und unbeschwert in die Kamera blickt. Der Bubikopf und die runde Hornbrille war speziell bei Architektinnen der dernier cri. Ganz im Gegensatz dazu ein weiteres Portrait, nur drei Jahre später, die Metamorphose zur unauffälligen, biederen Frau. Die Veränderung lag sicherlich mit an den sich anbahnenden schwierigen politischen Verhältnissen der 30er Jahre. Als unkonventionell wirkende und freiheitlich denkende Frau hatte sie es nicht leicht. Auch war es für eine Frau dieser Zeit noch längst keine Selbstverständlichkeit, freiberuflich zu arbeiten. Ihr Ehemann Hans Thiemann, ein Maler, galt als "entarteter" Künstler. Er entging später dem drohenden Kriegsdienst, indem er sich bis zur Wehruntauglichkeit hungerte.
Elsa Thiemann war sicherlich keine Opportunistin, doch auch sie trat der Reichskulturkammer als Gebrauchsgraphikerin bei, um Arbeitsmaterial kaufen zu können. Die NS-Zeit verbrachte sie in der inneren Emigration. Ihren Berlin-Bildern haftet nichts Politisches an. Ausnahmen sind: "Der Geist von Potsdam", gezeigt wird die Treppe zum Potsdamer Stadtschloss mit dem Grafitto "Jude raus" und der Satz "Denk mal um", ein photographischer Ausschnitt aus dem Hinweis "Denkmal um die Ecke".

Sie entwickelt sich zur stillen Beobachterin, die entweder mit der Plattenkamera, der Voigtländer "Avus", oder mit der Mittelformatkamera "Reflex Korelle" arbeitet. Ihre bevorzugten Großstadt-Motive sind die des Alltags, des "Berliner Miljös": Straßenszenen, spielende Kinder, Berliner Hinterhöfe, wobei sie nicht nur dokumentiert, sondern ganz gezielt mit Licht und Schatten moduliert. Viele Aufnahmen macht sie von ihrer Wohnung in der Hertzbergstraße in Neukölln aus.
Das zerstörte Berlin zeigt eine Ruinenstadt, die an das monumentale Rom erinnert und die Traurigkeit über das Verlorene zum Ausdruck bringt.
In den 50er Jahren wird die moderne Stadtarchitektur zum Fokus ihrer Arbeit. Ihr graphisches Sehen spiegelt sich in den Aufnahmen: Funkturm, Fensterputzer am Kottbusser Tor, Kinder am U-Bahn Eingang in Neukölln, das Shell-Haus um nur einige zu nennen.

Ihre Rätselbilder, Makroaufnahmen alltäglicher Gegenstände, waren maßgeblich von der "Neuen Sachlichkeit" beeinflusst. Hier zeigt sich ganz besonders ihr technisches Können, eine Herausforderung von Material und Struktur, gepaart mit Witz und Esprit.

Weiter beschäftigte sich die Photografin mit der Gestaltung von Tapeten-Entwürfen, die ein sehr populäres Produkt des Bauhauses waren. Elsa Thiemanns Entwürfe waren feminin, floral, wenig abstrakt und großformatig. Sie entsprachen nicht der Produktlinie des Bauhauses, die Kleinteiligkeit und Unauffälligkeit propagierte und hatten daher keine Chance, in die Kollektion der Herstellerfirma Rasch Eingang zu finden.

In den Nachkriegsjahren wendet sie sich auch wieder der Portraitphotographie zu. Ihre Serie von KünstlerInnen im Umfeld der Galerie Rosen, zeigt sensible und ausdruckstarke Portraitstudien, die ganz unspektakulär die karge Atmosphäre der Ateliers in Szene setzt.

Da sie zu ihrem Werk sehr kritisch eingestellt war, bewahrt sie nur Weniges auf: Die Negative aus ihrem Nachlass, die 30 Jahre Arbeit umfassen, haben in einem Schuhkarton Platz. Als sie und ihr Mann in den 60er Jahren nach Hamburg ziehen, hört sie auf, produktiv zu arbeiten.

Am 7. Februar 1910 wurde Elsa als sechstes Kind von Wilhelm und Helene Franke in Thorn-Mocker in Westpreußen geboren. Ihr Vater wurde durch Immobiliengeschäfte wohlhabend. Die Familie erwarb in Neukölln in der Hertzbergstraße ein großes Mietshaus, wohin sie 1921 übersiedelte. Elsa erhielt eine gute Schulbildung und zeigte als einzige der Geschwister früh eine Neigung zum Malen und Zeichnen. Ihre Lehrerin Margarete Kubicka, selbst Malerin, förderte die 14jährige. Im Anschluss an die Mittlere Reife besuchte sie mehrere Mal und Grafikschulen und entschied sich letztendlich für das Bauhaus in Dessau.
Elsa Thiemann stirbt am 15. November 1981.


Zu der Ausstellung erscheint ein Katalog:
Elsa Thiemann
Fotografin
Bauhaus und Berlin

Kupfergraben-Verlag, Berlin 2004
72 Seiten und 71 Abbildungen
6 Euro
ISBN: 3-891981353-8

Bauhaus-Archiv Museum für Gestaltung
Klingelhöferstraße 14
10785 Berlin
25. Februar bis 6. Juni 2004
Öffnungszeiten: täglich, außer dienstags, 10 - 17 Uhr
Sonderführungen an folgenden Sonntagen
4. April, 2. Mai, 6. Juni 2004, um 15.00 Uhr
Weitere Informationen erhalten Sie im Netz unter:
www.bauhaus.de


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Beitrag vom 29.03.2004

Sabine Grunwald