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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 22.12.2004


Alexander
Kirsten Böttcher

"Wollt ihr denn ewig leben?" Oliver Stone wollte den Mythos so authentisch wie möglich verfilmen. Das Psychogramm einer Legende, die auszog, um das Ende der Welt zu suchen - und vor Mama zu fliehen




Um die Superlative rund um den Namen "Alexander der Große" (356 v.Chr. - 323 v.Chr.) muss nicht diskutiert werden: In seiner Person vereinigten sich drei Reichsgebiete. Er war Perserkönig in Asien, Hegemon in Griechenland und makedonischer König. Alexander III. wurde bereits zu seinen Lebzeiten als Gott verehrt, verglich sich selbst mit den griechischen Heroen Herakles und Achill und hatte sich bereits mit 25 Jahren ein Reich erkämpft, dessen Ausmaße 90% der damals bekannten Welt umfasste. Sein siegreicher, 35.000 Kilometer langer Feldzug, der Besuch des Orakels in Siwah, wo er angeblich als Sohn des Zeus(-Ammon) begrüßt wurde und sein früher Tod in Babylon vervollständigten den Stoff für eine Legendengestalt.

Mythos oder Geschichte? Ein filmisches Mischmasch

Oliver Stone, der sich bereits durchaus erfolgreich an Legendenverfilmungen gewagt hatte (z.B. "The Doors" und "JFK" im Jahr 1991 oder "Nixon" 1995), holte sich zur historischen "Unterfütterung" Verstärkung: den Historiker und mit Literaturpreisen ausgezeichneten Alexander-Biographen Robin Lane Fox, mit dem er bereits seit 2002 an seinem angeblichen Jugendtraum, der Verfilmung des Makedonierkönigs, gebastelt hatte. Dennoch sind die Quellen zum Leben Alexanders relativ rar gesät: beispielsweise wurden die Aufzeichnungen seines Jugendfreundes Ptolemaios, der die spätere Pharaonen-Dynastie in Ägypten gründete, bei dem Brand in der berühmten Bibliothek von Alexandria zerstört.
Somit schwankt der Film insgesamt zwischen dem Versuch der historisch exakten Rekonstruktion (von Ausrüstung, Bildung, Waffen, Gebräuchen...) und Stones Entscheidung für e i n e der möglichen Erklärungen für bestimmte Schlaglichter in Alexanders Leben.
Zum besseren Verständnis der Geschichte und auch als Symbol der Fragwürdigkeit der Überlieferungen bietet Stone eine Erzählerfigur an, die auf die gemeinsame Vergangenheit mit Alexander zurückblickt. Anthony Hopkins als weißhaariger Ptolemaios I., der in der Bibliothek von Alexandria seine Memoiren diktiert, verleiht dem Film als Erzähler den sicheren, roten Faden und geschichtliche Schwere. Bis auf eine etwas eigenartig platzierte Szene - den Vatermord - geht er dabei chronologisch vor und stellt uns die Charaktere und Konflikte im Hause der Herrscherdynastie der Argeaden vor: Die als Hexe verleumdete Mutter Alexanders, die ihn als Sohn des Zeus erzieht und um deren sirenenhaften Körper sich dauernd Schlangen winden (Olympias, von Angelina Jolie gespielt) hasst ihren einäugigen Gatten Philipp (auffallend gut: tragisch und versoffen-abstoßend gespielt von Val Kilmer) und kämpft um die beste Position für ihren Sohn. Der blond gefärbte Colin Farrell wirkt in den Zwiegesprächen mit seiner ihn umgarnenden Mutter eher wie ein etwas verlorener Bub mit schlechter Dauerwelle, dem man das Charisma des größten Feldherrn der Welt nicht wirklich abnimmt.

Schöne, alte Schlachten und alte, hysterische Ansichten

Das ändert sich erst, als wir auf die Schlachten des Alexanderfeldzugs mitgenommen werden: die Schlacht von Gaugamela (331 v.Chr.) gegen die Übermacht des persischen König Darius I., der durch Alexanders clevere Kriegsstrategien in die Flucht geschlagen wird, ist ein spannender Augenschmaus und Colin Farrell in reitender Aktion viel charismatischer als seine pathetischen Reden.
Und um gleich die von den 25 griechischen Anwälten angestachelte Debatte um den "zu schwulen" Alexander im Keim zu ersticken: Alexander wird in Stones Film mainstream-bisexuell dargestellt, was heißen soll, dass man eine saftige Hetero-Sexszene zu sehen bekommt (er mit wilder Gattin Roxane, gespielt von Rosario Dawson), und seine Gefühle zu Männern ganz "rein" mittels Augenaufschlägen oder großen Gefühlsgeständnissen transportiert werden. Die griechische Klagedrohung ist auch schon wieder vom Tisch, nachdem die Anwaltsmannschaft den Film auch mal wahrlich angeschaut hatte...

Alexander, der globalisierende Multi-Kulti-Herrscher

Trotz pathetischer Dialoge und kruder Charaktere macht es dennoch Vergnügen, sich die verlorenen und vergangenen Kulturen in solch bunter und prächtiger Weise vorzustellen wie es Oliver Stone und seine Crew auf der Leinwand erscheinen lassen: die siegreichen und staunenden Makedonier ziehen ein in das sagenumwobene Babylon, das exotisch wild begrünt und blau erstrahlt, der Harem des geflohenen Königs wartet bereits und das Beste ist, dass der Filmheld dem Klischee des ausbeutenden Eroberers widerspricht, indem er für Verständnis und Harmonie zwischen den eroberten und erobernden Kulturen plädiert- natürlich unter seiner alleinigen Regentschaft. Was historisch auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist: Alexander entwickelte zwar eine Vision von seiner Weltherrschaft und auch während seines jahrelangen Zugs gen Osten suchte er erfolglos die Grenzen der Welt, die ihm Aristoteles beigebracht hatte. Allerdings plante er nicht die Zerstörung der eroberten fremden Kulturen.
Oliver Stone hat sich also seinen Kindheitstraum erfüllt. Der Film feiert drei Stunden lang einen Mythos mit einer Extra-Portion Pathos (auch noch: Vangelis komponierte die Musik!!) und Psychodrama und wird vielleicht so lange das Hirn beschäftigen wird wie es dauern würde, sich noch mal "JFK" anzusehen.


ALEXANDER
USA 2004: Constantin/Intermedia Films
Regie: Oliver Stone.
DarstellerInnen: Colin Farrell, Angelina Jolie, Val Kilmer, Anthony Hopkins, Rosario Dawson, Jared Leto u.v.m.
Länge: 176 Min., freigegeben ab 12 Jahren
Kinostart (Deutschland): 23.12.2004
www.alexander.film.de



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Beitrag vom 22.12.2004

AVIVA-Redaktion