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Beitrag vom 06.06.2005
Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul
Julia Rohrbeck
Meisterregisseur Fatih Akin lässt einen deutschen Cowboy auf die Musikszene Istanbuls los. Mittels Street-Recording gilt es, die Klangvielfalt der Bosporus-Metropole einzufangen! Bol sanslar!
Die Idee, einen Dokumentarfilm über den musikalischen Reichtum Istanbuls zu realisieren, entstand mit den Arbeiten für Akins letzten Spielfilm. Während der Musikproduktion für "Gegen die Wand" lernte Alexander Hacke, Bassist der Band "Einstürzende Neubauten", die neopsychedelische Band "Baba Zula" kennen. Schnell kam es zu einer Zusammenarbeit und Hacke reiste mit E-Bass und seinem mobilen Aufnahmestudio im Gepäck an den Bosporus, um den Sound Istanbuls auf Festplatte zu bannen.
Fatih Akin folgt Hacke auf Schritt und Tritt mit der Kamera. Ausgangspunkt ihrer abenteuerlichen Mission ist das renommierte Büyük Londra Oteli zwischen prächtigen Konsumtempeln und heruntergekommenen Seitengassen im quirligen Stadtteil Beyoglu. Klingt touristisch, aber Alexander Hacke stellt sich geschickt an, agiert nicht als deutscher Fremdkörper, der seine Sammlung exotischer, orientalischer Kostbarkeiten aufstocken will. Nein, selbstbewusst und doch einfühlsam und interessiert begibt er sich auf die Suche. Das muss belohnt werden:
Schnell knüpft er Kontakte: zunächst stößt Hacke auf verschiedene Rockbands, die neben hartem Sound auch ihre Ideologie offen legen: Für die Herren von "Orient Expressions" ist ihre Stadt zwar Ost-West-Nahtstelle, aber vom heraufbeschworenen "Civilisations-Clash" wollen sie nichts wissen. Ihre Musik definieren sie als Pendant zur Aufrechterhaltung politischer Feindbilder. Auch "Duman" und "Replikas" rebellieren gegen die Verwestlichung und Kommerzialisierung des Rock und sind stolz auf ihre intellektuelle türkische Variante.
Auf der asiatischen Seite, in Kadiköy, entdeckt Hacke die Hochburg des Istanbuler Hip-Hop. In einem kleinen Laden mit Tattoo-Studio trifft er auf "Ceza", der mit den amerikanischen "Gangsta-Rappern" nichts am Hut haben will. Vielmehr verfolgt auch er das Ziel, soziale und politische Botschaften in flotte Rhymes zu verpacken.
Vorbei an den "Istanbul Style Breakers" in Bakirköy folgt Hacke dem Roma Selim Sesler zu seinen Wurzeln nach Kesan, 250 km westlich von Istanbul. Hier erwartet ihn eine traditionelle Roma-Hochzeit, auf der ausgiebig getanzt, gesungen und getrunken wird. Sesler ist mittlerweile im Istanbuler "Tarlabase" heimisch geworden und verzaubert das Publikum mit seiner Klarinetten-Virtuosität.
Zurück in Beyoglu macht Hacke Bekanntschaft mit den Straßenmusikern "Siyasiyabend", die die Härten der Straße und den Überlebenskampf täglich am eigenen Leib erfahren. Ihr Konzept ist das Wachrütteln der Menschen, sie spielen für die Vision einer gerechteren Welt.
Die Aufnahmen mit der kurdischen Sängerin "Aynur" finden in einem Hamam statt, um ihrer klaren, bezaubernden Stimme optisch und akustisch einen angemessen Rahmen zu geben. Über die Musik findet die junge, sympathische Frau zu ihrer Sprache und Identität zurück, was jede/r ZuhörerIn am eigenen Leib erfahren wird...
Drei "Allstars" komplettieren die Klangsammlung: Orhan Gencebay, der "Elvis der Arabesque-Musik", mit seiner Saz, der türkischen Langhalslaute, die Grande Dame Müzeyyen Senar, die gegen den Staub ankämpft, der sich auf ihre Erfolgs-Ära der 30er und 40er Jahre gelegt hat und natürlich Sezen Aksu, die Stimme Istanbuls.
AVIVA-Tipp:
Ist schon klar, dass niemand in der Lage ist, die komplette Bandbreite der Istanbuler Musikszene aufzuspüren, aber das, was Akin und Hacke da machen, kann sich sehen lassen. Nette MusikerInnen-Portraits, gekonnter Kameraschwenk hier und da und alles in allem eine gelungene Compilation of Istanbul 2004. Görüsürüz, oh du wunderbare Stadt!
Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul
Regie: Fatih Akin
DarstellerInnen und Bands: Alexander Hacke, Baba Zula, Orient Expressions, Duman, Replikas, Erkin Koray, Ceza, Istanbul Style Breakers, Mercan Dede, Selim Sesler, Brenna MacCrimmon, Siyasiyabend, Aynur, Orhan Gencebay, Müzeyyen Senar, Sezen Aksu
Verleih: Pictorion Pictures GmbH
Länge: 90 min
Kinostart: 09.06.2005
Mehr Infos zum Film unter www.crossingthebridge.de
Der Soundtrack zum Film erscheint am 06.06.2005 bei Warner Music