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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 01.02.2003


Take a seat! - Bitte Platz zu nehmen, aber ohne zu berühren! Ausstellung im Vitra Design Museum
Gaby Miericke-Rubbert

Die Ausstellung "Take a seat" im Vitra Design Museum zeigt eine Auswahl von 224 Sitzmöbeln von 1800 bis heute. Filme, Fotos, Broschüren und Zeichnungen dokumentieren die historischen Begebenheiten




Bitte nehmen Sie Platz, aber ohne das Sitzmöbel zu berühren? Dabei ist man beim Streifzug durch Hunderte von Stühlen und Sesseln schon des öfteren versucht, über die die eine oder andere Sitzfläche zu streichen, Materialien oder Funktionen auszuprobieren oder den Komfort zu testen. Aber wie sollte es anders sein, wir befinden uns in einem Museum, wo immer wieder kleine Schilder die taktile Kontaktaufnahme zwischen Besucher und Kunstobjekt verhindern sollen.

Mit der neuen Ausstellung "Take a seat!" präsentiert das Vitra Design Museum über 200 Sitzmöbel aus zwei Jahrhunderten - erstmals in Berlin. Das Museum verfügt über eine der international bedeutsamsten Sammlungen des industriellen Möbeldesigns, die normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Die chronologische Anordnung der Sitzobjekte zeigt eine umfangreiche Auswahl aller Stile, Persönlichkeiten, Hersteller und Materialien, die das Möbeldesign seit 1800 geprägt haben.

Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Auswahl von Dokumenten, zu denen Möbelprospekte aus dem 19. Jahrhundert, Originalpatente der 20er Jahre sowie historische Fotografien und Poster ebenso zählen, wie Originalzeichnungen etwa von Ron Arad oder Alessandro Mendini.

Sitzmöbel und die damit verbundene -haltung - ebenso wie die Kleidung - sind gewissermaßen Zeitzeugen der kulturellen und sozialen Entwicklung, so der Direktor der Vitra Design Museen Alexander von Vegesack bei der Eröffnung der Ausstellung. Stühle und Sessel geben Auskunft darüber, wie in vergangenen Zeiten gesessen, gelebt und gearbeitet wurde.

So entwarf Le Corbusier z.B. um 1930 für die Pariser Gesellschaft extravagante und luxuriöse Sitzmöbel als Ausdruck von gehobener Lebensqualität und Komfort.
Etwa zur gleichen Zeit entschied sich der finnische Architekt Alvar Aalto zusammen mit seiner Frau Aino gegen die Verwendung der neuen Bauhaus-Stahlrohrmöbel und konstruierte stattdessen für die Innenausstattung eines Krankenhauses Stühle aus Holz. Das Architektenehepaar hielt das wärmere und schmiegsamere Material geeigneter für die Genesung von Kranken.

Der Tischler Michael Thonet erkannte die Möglichkeit, die industrielle Fertigung auch auf den Möbelbau anzuwenden. Er machte 1836 die bahnbrechende und erfolgreiche Erfindung der Formbarkeit von massivem Holz über Dampf. Bereits 1930 waren mehr als 50 Millionen Thonet-Stühle verkauft worden und in modifizierter Form wird der Stuhl bis heute produziert und gehört zum typischen Interieur nicht nur eines Wiener Caféhauses.

Die Ausstellung macht deutlich, mit welchem Ideenreichtum und Experimentierwillen die Künstler und Gestalter seit dem 19. Jahrhundert bemüht waren, mit verschiedenen Materialien und Formen spielerisch umzugehen, um innovative Lösungen für die Einheit von Form und Funktion zu realisieren. Dabei ging es darum, den Gebrauchskomfort stetig zu erhöhen, im Sinne von rückenschonend und entspannend, variable Sitz- oder Liegehaltungen zu ermöglichen, was man heutzutage unter dem Schlagwort "aktives Sitzen" wiederfindet. Und andererseits sollte die Herstellung serienmäßig industriell erfolgen, mit leicht zu verarbeitenden und kostengünstigen Materialien und den kulturellen Zeitgeist aufnehmen.

Ob gesessen, gearbeitet, geschaukelt, geschwungen, gelegen oder relaxt wird, Stühle oder Sessel begleiten Menschen lebenslänglich: Sitzgelegenheiten aus Bugholz, Sperrholz, Stahlrohr, Aluminium, Fiberglas, Papier, Kunststoff oder Carbonfaser, mit oder ohne Lehne, mit Beinen oder ohne. Sie werden hier alles Mögliche und Unmögliche finden, aber Sie können sicher sein, eine Sitzfläche haben die Möbel immer. Und das ist doch schon mal beruhigend bei der beeindruckend phantasievollen Vielfalt an Formen, Farben und Materialien.

Im Café des Museums dürfen Sie Ihren Latte Macchiatto sogar auf 25 verschiedenen Modellen der ausgestellten guten Stücke genießen, also "Take a seat, please!", bei manchen Objekten aber vielleicht besser mit Sicherheitsgurt.



Vitra Design Museum Berlin
Kopenhagener Str. 58,
10437 Berlin/Prenzlauer Berg
Öffnungszeiten: 25. Januar - 22. Juni 2003
Dienstag bis Sonntag 11 bis 20 Uhr
Freitag 11 bis 22 Uhr
Telefon 030/47 37 77 0
www.design-museum-berlin.de


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Beitrag vom 01.02.2003

AVIVA-Redaktion