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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 10.02.2003


Romeo und Julia oder - In guter Ehe stirbt man immer jung
Gaby Miericke-Rubbert

Ein Theaterstück über Liebe und Hass, Lust und Tod als Beitrag des Maxim Gorki Theaters zum wieder aktuellen Aufruf der 70-er "Make love not war"?




"Make Love, not war!" Ist das die Message, die uns Shakespeare schon 1595 mitgeben wollte, als er das berühmteste Liebespaar der Theatergeschichte auf die Bretter, die die Welt darstellen, brachte? Und angesichts der Aktualität dieser Losung wird uns klar, dass wir selbst 500 Jahre später uns immer noch schwer mit Toleranz und Verständigung bei mikrokosmischen und makropolitischen Konflikten tun.

Dabei war es nur eine wahrscheinlich wahre Begebenheit aus dem Verona des 14. Jahrhunderts, die Shakespeare zweihundert Jahre später dazu inspiriert hatte, das pralle emotions- und triebbestimmte Leben, Lieben und Sterben seiner Zeit in eine dramatische Rahmenhandlung mit tragischem Ausgang einzubetten.

Das Stück entstand, zwei Jahre nachdem in London alle Theater wegen des Ausbruchs der Pest geschlossen worden waren Und es war auch dieselbe Seuche, die im Stück zur Nichtauslieferung des entscheidenden Briefes führte, worin Julia ihren Geliebten in ihren Rettungsplan einweihen wollte. Die Quarantänemaßnahmen einer pestkranken Gesellschaft waren schuld daran, dass das Liebesglück ein vorzeitiges Ende finden musste.

Auf der Bühne und bis weit in den Zuschauerraum hinein wird beeindruckend die düstere mittelalterliche Kulisse nachempfunden auf meterhohen, wehenden Stoffbahnen, wunderschön bemalt mit der historischen Stadtansicht Veronas (Bühnenbild: Ezio Toffolutti). Ferngesteuerte Ratten huschen immer wieder surrend über die Bühne, schwarzvermummte Totengräber mit Leichenkarren und Glockengeläut machen die Allgegenwart des Todes gewärtig. Und vermitteln den Hintergrund für den bevorstehenden dramatischen, weil unabänderlichen Handlungsverlauf.

Der Tragik setzt Katharina Thalbach mit der deftigen Shakespeare-Übersetzung von Thomas Brasch und der vitalen, komödiantischen und trieborientierten bis unsentimentalen Spielweise der Protagonisten einen Kontrapunkt. Obszöne Gesten, biertischlärmendes, kraftprotzendes Männergehabe der feindseligen Clans werden konterkariert durch Julias schamhaften Liebreiz, ihre teils aufmüpfige, teils kindliche Leichtigkeit und Natürlichkeit (herausragend dargestellt durch Heike Warmuth).

Der Romeo von Fabian Krüger ist mit seiner ungelenken, breit grinsenden, zappeligen Art alles andere als ein romantischer Liebhaber, spielt hingegen überzeugend sein breites Spektrum zwischen Draufgängertum, Glückseligkeit und tölpeliger Unsicherheit. Die männlichen Rollen werden schon durch die knappen, den Genitalbereich betonenden Lederhosen weitgehend auf ihre Lustorientiertheit reduziert. Und die verfeindeten Gangs junger Männer ziehen lautlärmend und provozierend durch die Stadt. Da wundert es nicht, dass die beiden Anführer, Romeos Freund Mercutio und Julias Vetter Tybalt in einem streitlüsternen Händel umkommen und somit einmal mehr die Versöhnung, der seit Generationen in Fehde liegenden Familien verunmöglichen.

Elemente der Leichtigkeit und der Komik finden wir vor allem bei der deftigen und pragmatischen Lebens- und Liebesphilosophie von Julias Amme und im obszönen und bigotten Spott Mercutios. Kalauer ("Wer sich so gehen lässt, soll endlich gehen" Mönch zum weinenden Romeo), Dylan"scher Sprechgesang, discoartiges Maskenfest und Kissenschlacht sorgen zusätzlich für den Bruch des Dramatischen.

Diese sehenswerte, aktionsreiche Inszenierung zeigt, wie dicht und erfrischend Humor und Tragik miteinander verwoben sind, vielleicht sich gegenseitig bedingen. Das Spiel mit Gegensätzen ist reizvoll, das Lachen lässt aufatmen und bleibt alsbald darauf wieder im Halse stecken.

Ohne sein vorzeitiges Ende hätte das jugendliche Liebesglück wahrscheinlich auch niemals diese romantische Verklärtheit erlangt, wäre nicht zum Symbol der großen Liebe schlechthin geworden. Oder hat zu guter Letzt doch der Mönch Recht mit seiner These: "In guter Ehe stirbt man immer jung"? - Weil in der Kürze doch die Würze liegt?



Romeo und Julia von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Katharina Thalbach
Bühne und Kostüme: Ezio Toffolutti
Musik: Sabine Worthmann
Darsteller: Heike Warmuth, Fabian Krüger, Pierre Besson, Jacqueline Macaulay, Rainer Kühn, Anna Kubin, Norman Schenk, Frank Streffing u.a.
Maxim Gorki Theater
Am Festungsgraben 2
10117 Berlin
Karten unter: 030- 202 21 115
www.gorki.de


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Beitrag vom 10.02.2003

AVIVA-Redaktion