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Beitrag vom 04.05.2006
Tsotsi
Tatjana Zilg
Johannesburg. Ein 19jähriger lebt im Hier und Jetzt, mit der Gang erstiehlt er sich das notwendige Geld. Ein zufällig geraubtes Baby zwingt ihn zur Auseinandersetzung mit den Folgen seines Handelns.
Der Mann im Anzug hat keine Chance. Die vier jungen Männer umringen ihn in der überfüllten U-Bahn. Keiner der Fahrgäste schaut hin. Da sticht einer der vier mit dem Messer zu. Tsotsi (Presley Chweneyagae) und seine Kumpels halten den Mann, bis die U-Bahn an der Endstation menschenleer ist. Sie lassen den leblosen Körper zusammenbrechen und laufen mit dem Geld davon. Doch dies war den Ganggenossen zuviel. Der ohnehin nachdenklichere Boston (Mothusi Magano) stellt Tsotsi am Abend im Shebeen (eine illegale Bar) zur Rede. Tsotsi lässt keines der pathetischen Worte Bostons an sich herankommen und schlägt ihn zusammen, wobei er ihm ernsthafte Wunden im Gesicht zufügt. Die Wirtin ist entsetzt und treibt ihn aus dem Shebeen.
Tsotsi versucht alle Gefühle abzuwehren, die Boston in ihm wachrufen wollte. Er verleugnet seit etlichen Jahren seine Vergangenheit, seinen wahren Namen kennt kaum jemand. Tsotsi ist eine Bezeichnung aus dem Straßenslang und bedeutet Schläger oder Gangster, wobei der Begriff in den Townships auch für einen schwarzen Straßenkämpfer oder ein Gangmitglied verwendet wird und dadurch einen Street Credibility - Effekt erhält.
Seinen Ursprung hat das Wort vermutlich in einer Abwandelung des Sesotho-Wortes "tsotsa", das mit "sich auffällig kleiden" übersetzt werden kann. Dies weist in die mafia-ähnlichen Strukturen zurück, die in den 30er Jahren in der Bandenkriminalität bestimmend waren. Die Tsotsis wurden damals mit den typischen, an den Schultern wattierten Anzügen amerikanischer Gangster, assoziiert. Später wurden die Zugehörigkeiten unstrukturierter und die kriminellen Jugendlichen zu Einzelkämpfern, die sich nur lose in Gangs zusammenschlossen. Sie haben in den Slums der Großstädte kaum eine andere Chance, als sich mit Gewalt und Raub durch das Leben zu schlagen.
In den 50er Jahren schrieb Henry Nxumalo, der Enthüllungsjournalist des legendären "Drum"-Magazins über die Tsotsis: "Sie entstehen jeden Tag im Reef (der Umgebung Johannesburgs). Es stimmt, dass die jungen Männer teilweise selbst Schuld sind, wenn sie den falschen Weg einschlagen. Aber die Zahl der Verbrechen variiert in einer Stadt je nach Wohlstand oder Armut eines Großteils ihrer Bevölkerung. Angesichts der aufreibenden Armut und des Meeres von Elend, das die Goldene Stadt umgibt, erklärt sich der Rest von selbst. Es ist ein Existenzkampf und das Individuum will überleben."
Der Regisseur Gavin Hood entwickelte das Drehbuch für Tsotsi nach der Romanvorlage von Athol Fugard. Ursprünglich ist die Handlung in den 50er Jahren angesiedelt, die filmische Adaption verlegt sie jedoch in die Gegenwart, wodurch erlebbar wird, wie der gesellschaftliche Konflikt sich auch nach der offiziellen Abschaffung der Apartheid weiter erhält.
Der Fokus des Films liegt jedoch nicht auf der rassistischen Diskriminierung, sondern auf dem inneren Konflikt der Hauptfigur. Als Tsotsi im Alleingang ein Auto stiehlt, entdeckt er auf der Rückbank ein Baby. Spontan packt er es in eine Tasche und nimmt es mit in seine Wohnung im Slum. Mit aller Fürsorglichkeit, die ihm möglich ist, kümmert er sich um das hilflose Wesen. Aber er muss erkennen, dass er überfordert ist. Er zwingt eine junge Frau, ihn zu unterstützen.
Miriam (Terry Pheto) ist die Mutter eines kleinen Sohnes, hat aber ihren Mann durch einen Raubüberfall verloren. Tsotsi gerät durch die Begegnung mit dem gestohlenen Baby und Miriam immer mehr mit seinen verdrängten Gefühlen in Kontakt. Sein Handeln verändert sich allmählich, er lässt sich vom Schicksal seiner Mitmenschen berühren und trifft wichtige Entscheidungen für den weiteren Verlauf seines Lebens.
AVIVA-Tipp: Filmisch sehr elegant umgesetztes Melodram über ein Milieu, das viel zu wenig im großen Kino zu sehen ist. Die SchauspielerInnen überzeugen durch hohe Authentizität und machen es dadurch den ZuschauerInnen einfach, mit ihnen zu fühlen und zu leiden. Auch der Soundtrack ist ein Erlebnis für sich. Es sind zum großen Teil Songs von Zola, der auch in einer Nebenrolle zu sehen ist. Er ist in Südafrika der Superstar des Kwaito, der modernen Musik der südafrikanischen Townships.
Tsotsi
Südafrika/Großbritannien 2005, 95 Minuten
Regie: Gavin Hood
Drehbuch: Gavin Hood
DarstellerInnen: Presley Chweneyagae, Mothusi Magano, Kenneth Nkosi, Zenzo Ngqobe, Terry Pheto, Nambitha Mpumlwana, Percy Matsemela , Zola, Jerry Mofokeng, Benny Moshe, Israel Makoe, Thembi Nyandeni, Ian Roberts, Rapulana Seiphemo, Owen Sejake
Verleih: Kinowelt
Kinostart: 04.05.2006
Der Film im Web:
www.tsotsi.de