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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 27.10.2006


Montag kommen die Fenster
Tatjana Zilg

Eine Kleinfamilie zieht von Berlin nach Kassel. Nina verlässt plötzlich das Haus, begibt sich auf eine ziellose Reise durch das Mittelgebirge. Minimalistisch-beobachtende Fiktion einer Alltagsflucht




Die Ärztin Nina (Isabelle Menke) und ihr Mann Frieder (Hans-Jochen Wagner) renovieren gerade das Einfamilienhaus, in das sie vor kurzer Zeit gezogen sind. Die Tochter Charlotte (Amber Bongard) spielt in ihrem neuen Kinderzimmer.

Aber keine Freude über die zu erwartenden Jahre in der neuen Umgebung kommt in Nina auf, sondern sie fühlt sich seltsam entfremdet und gibt ihren Drang, einfach davonzufahren, unmittelbar - und völlig unerwartet für Frieder - nach.

Erst besucht sie ihren Bruder und seine Freundin. Nach einem Abend, der durchaus einige sehr nahe Momente beinhaltete, lässt sie auch das Pärchen zurück und fährt weiter in die Nacht.

Irgendwann findet sie sich mit einem alternden Tennisstar (Ilie Nă,stase) in einem Edelhotel wieder. Zwei verlorene Seelen begegnen sich. Sie fragt sich jedoch auch hier schnell, was sie dort eigentlich tut und flüchtet weiter. Im Wald sieht sie ihre Familie, die mit dem Auto steckengeblieben ist. Ohne große Worte kehrt sie zu ihnen zurück.

Der Regisseur Ulrich Köhler verfolgt auch mit seinem zweiten Film die Spur einer Aussteigerin, die trotz der plötzlichen Verweigerung seltsam passiv bleibt. In seinem Debut „Bungalow“ (2002) beschrieb er die Desertion von einem jungen Rekruten.

Thema beider Filme ist für Ulrich Köhler die Frage, was passiert, wenn gesellschaftlicher Konsens, wenn selbstverständlich geglaubte Handlungsnormen aufgekündigt werden. Dabei versucht er nie, die Motive seiner ProatgonistInnen zu erklären, sondern bleibt beobachtend und erzeugt die filmische Atmosphäre vor allem mit sehr ästhetischer Komposition und nuancierter Stilisierung.

„Ich habe nichts gegen Psychologie als Wissenschaft, aber die Psychologisierung von Figuren tendiert dazu, Zusammenhänge zu vereinfachen. Keine Biografie ist komplex genug, das Verhalten eines Menschen zu erklären. Figurenhintergründe (...) sind nur erzählerische Hilfsmittel. Autoren, die meinen, ihre Figuren vollständig erklären zu können, haben den Glauben an die menschliche Freiheit verloren. Gerade das irrationale, überraschende, amoralische Verhalten von Figuren macht eine der größten Faszinationen des Kinos aus - von Scarlett O`Hara über Pierrot le Fou bis Rosetta.“

AVIVA-Tipp: Ein Film, auf dem man sich einlassen muss. Eher langsam im Tempo erfordert er eine meditative Aufmerksamkeit, die mit einigen überraschenden und sensibel-intuitiven Szenen belohnt wird.

Montag kommen die Fenster
Deutschland 2006, 88 Minuten
Regie: Ulrich Köhler
Drehbuch: Ulrich Köhler
Produzentin: Katrin Schlösser
SchauspielerInnen: Isabelle Menke, Hans-Jochen Wagner, Amber Bomgart, Trystan Wyn Puetter, Ursula Renecke
Kinostart: 26.10.2006
Verleih: filmgalerie 451



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Beitrag vom 27.10.2006

AVIVA-Redaktion