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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.12.2003


Das Verborgene Museum. Eine Retrospektive der Malerin Lotte Laserstein
Sabine Grunwald

"Meine einzige Wirklichkeit". Im Museum Ephraim-Palais sind noch bis zum 1. Februar 2004 die Bilder der jüdischen Malerin Lotte Laserstein zu bewunde




Meine einzige Wirklichkeit
"Wirklichkeit? Das ist und war mir die Arbeit, seit ich Kind war.
Mein Leben wurde in zwei fast gleich große Teile geteilt: Kindheit, Jugend, Ausbildung, die erste selbständige Arbeit und der Weggang aus Deutschland. Ein neuer mühsamer Start in Schweden. Hätte ich nicht meine eigene Wirklichkeit im Malkasten gehabt, diesem kleinen Köfferchen, das mich von Skane über Stockholm bis nach Jämtland führte, so hätte ich die Jahre nicht durchstehen können, in denen mir alles genommen wurde: Familie, Freunde und Heimat. Einen Teil davon fand ich dank meiner einzigen Wirklichkeit zurück."
(Lotte Laserstein, 1981)

Diese 1. deutsche Retrospektive der Malerin Lotte Laserstein zeigt rund 150 Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken. Die Bilder der Berliner Jahre sind im 2. Obergeschoss zu sehen. Ihre Auftragsarbeiten, die im schwedischen Exil entstanden, werden an ausgewählten Beispielen im 3. OG präsentiert. Zahlreiche Photographien und persönliche Dokumente aus dem Nachlaß sind ebenfalls ausgestellt.
Die Werkschau ist chronologisch geordnet und beginnt mit ihrer akademischen Ausbildung. Sie gehörte zur ersten Künstlerinnengeneration, der ein Studium an der Akademie erlaubt war.
Ihre frühen Bilder sind ganz im realistischen Stil gemalt und lassen den Zeitgeist der 20er Jahre kaum erahnen. Eine besondere Bedeutung kommt ihren Frontalbildnissen zu. Diese auf Gesicht und Schulteransatz konzentrierten Portraits entstanden in den späten 20er Jahren, wo eine derart radikale Nahsicht ungewöhnlich war. Wohl war das Stilmittel aus der Photographie als sogenanntes "close up" bekannt.
Trotz der Nahsicht bleiben ihre dargestellten Menschen seltsam fern. Gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz verleiht ihren Bildern eine große Präsenz.
Die Darstellung von Menschen traf den Nerv ihrer Zeit. In ihren Gemälden zeigt. Lotte Laserstein Typen der Zeit: die Emanzipierte, Kokette, Sportlerin, Mondäne.
Doch verschwindet bei ihr der Mensch nicht hinter dem Rollenstereotyp.

Ihre weiblichen Akte erregten beim Publikum der späten 20er und frühen 30er Jahre Aufsehen. Für die Darstellung der nackten Frau stand ihr ausschließlich ihre Freundin Traute Rose Modell. Die Bilder sind lebensnah, realistisch und gleichzeitig sinnlich.

Eines ihrer Hauptwerke "Abend über Potsdam" (1930), mit seinem melancholischen Realismus hat geradezu einen symbolhaft-visionären Charakter.
In den 30er Jahren unternahm sie mit ihren MalschülerInnen Studienreisen aufs Land. Hier entstanden Bilder der einheimischen Bevölkerung und erstmals Landschaftsbilder.
Als sich ihre berufliche Situation nach 1933 immer mehr verschlechterte, und sie sich nur noch schwer Arbeitsmaterialien beschaffen konnte, perfektionierte sie die Öl-auf-Papier-Technik.

Lotte Laserstein | Tennisspielerin, 1929 rnÖl auf Leinwand, 110 x 95,5 cm, Privatbesitz Großbritannien

Eine Ausstellung in der Stockholmer Galerie "Moderne" ermöglichte es ihr, 1937 Deutschland zu verlassen. Als Portraitistin konnte sie auch dort zwar von ihrer Kunst leben, aber die Auftragsmalerei unterminierte ihre schöpferische Kreativität. Die Landschaftsmalerei, der sie sich in Schweden verstärkt widmete, ließ ihr wieder mehr künstlerische Freiheiten.
Die Kunst war für Lotte Laserstein Selbstverwirklichung und Rettung. Die Malerei gab ihr in Zeiten der Erfolglosigkeit Halt und Bestätigung. Sie war ihr Anker und Trost, ihre Heimat und einzige Wirklichkeit.

Lotte Laserstein (1898-1993), wurde in Preußisch-Holland (Ostpreußen) geboren. 1921-27 studierte sie an der Berliner Kunstakademie, an der erstmals seit 1919 Frauen zugelassen waren. Von 1925-27 Meisterschülerin bei Erich Wolfsfeld. Ihr erstes eigenes Atelier hatte sie in Berlin-Wilmersdorf, in der Friedrichsruher Str. 33a, zeitgleich Gründung einer privaten Malschule. In den folgenden 5 Jahren nahm sie an zahlreichen Ausstellungen und Wettbewerben teil. 1935 erhält die Malerin Berufsverbot und ist als Kunstlehrerin an einer jüdischen Privatschule tätig. Ausstellungen dürfen nur noch im Rahmen des Jüdischen Kulturbundes stattfinden. 1937 emigriert sie nach Schweden, Stockholm und stellt erfolgreich in der Galerie "Moderne" aus. Mit der Portrait Malerei verdient sie ihren Unterhalt. 1938, nach einer Scheinheirat mit Sven Marcus, erhält sie die schwedische Staatsbürgerschaft. Vergeblich versucht sie, ihre Mutter und Schwester mit Lebensgefährtin aus Nazi-Deutschland herauszuholen. Ihre Mutter stirbt im KZ Ravensbrück, die Schwester überlebt 3 Jahre versteckt in einem Erdloch.
1954 Umzug nach Kalmar/Smaland, in der Hoffnung auf bessere berufliche Chancen. In den späten 50er und 60er Jahren ausgedehnte Reisen nach Frankreich, Italien und Spanien, Schweiz und in die USA.
Lotte Laserstein wird nach einer Ausstellung bei Agnew´s und The Belgrave Gallery in London international wieder entdeckt.
Am 21.1.1993 stirbt Lotte Laserstein 94jährig in Kalmar.

Während die Künstlerin in der englischsprachigen Welt längst als eine der großen Realistinnen des 20. Jahrhunderts gewürdigt wird, gilt es, sie in Deutschland erst noch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.


Eine Ausstellung des Vereins Das Verborgene Museum in Zusammenarbeit mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin
Museum Ephraim-Palais
Poststraße 16
10178 Berlin
Dauer der Ausstellung: bis 1.Februar 2004
Dienstags - sonntags 10-18.00 Uhr
Geschlossen am 24 + 31.12. 2003
Eintritt: 3 Euro, erm. 1,50 Euro
www.stadtmuseum.de


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Beitrag vom 24.12.2003

Sabine Grunwald