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Beitrag vom 04.12.2012
Töchter des Aufbruchs. Lebenswege von Migrantinnen. Ein Dokumentarfilm von Uli Bez
Susanne Schwarz
Nach bisherigen Dokumentationen mit feministischen Themen wie "VON HEUTE AN!" ist die Regisseurin mit einem neuen Filmprojekt auf DVD da: Nun geht es um Erfahrungen von Migrantinnen in Deutschland.
Eine Straßenbahn fährt durch die Münchener Innenstadt. Daneben flanieren Menschen die belebten Einkaufsstraßen entlang. Hier und da sind einzelne Frauengesichter auszumachen und per Bauchbinde werden die dazugehörigen Namen eingeblendet. So führt Uli Bez die Protagonistinnen ihres Dokumentarfilms "Töchter des Aufbruchs" ein. "Komm mit mir wandern, komm mit, ich habe Wanderlust!", rappt die Musikerin Ebow kraftvoll aus dem Off darüber. Damit sind bereits die Grundsteine für den Streifen gelegt: Gezeigt werden 15 Frauen aus der Türkei und Griechenland, aus dem ehemaligen Jugoslawien, der Ukraine, Nordafrika und dem Irak. Allen gemein ist, dass sie irgendwann im Leben ihre Heimat in Deutschland gesucht haben.
Schon der Einstieg ist klug gewählt – die Frauen, um die es geht, sind durch den Vorspann von vornherein eingeführt. Während des Films selbst geht es um ihre Lebenswege, kleinere und größere Anekdoten, Probleme und Lösungen aus ihrer Zeit in Deutschland. Nicht das Filmteam erzählt eine Geschichte – es steht dezent im Hintergrund, während die Frauen für sich selbst sprechen.
"Ein ganz großes Schloss war das damals für mich", erzählt Inciser Kurt. "Nachher ist es dann ein kleines Schloss geworden", beschreibt sie lachend ihren ersten Arbeitsplatz als "Gastarbeiterin" bei einer Firma für Arbeitskleidung weiter. Sie ist am 10. Mai 1966 gegen 16 Uhr aus Istanbul nach München gekommen. Eigentlich haben die Eltern der jungen Frau die Reise nur gestattet, solange ihr Bruder sie begleiten würde. Dieser ist kurzfristig abgesprungen – ihren Eltern verschwieg sie das Detail und stieg in den Zug, um ein neues Leben in Deutschland zu beginnen. Mit vier bis sechs anderen Frauen teilt Kurt sich im Laufe ihrer Anfangszeit in Deutschland ein von der Firma bereitgestelltes Zimmer über der Fabrik.
Lange bleibt sie dort nicht. "Reisen war für mich wichtig und Freiheit. In der Firma konnte ich nicht frei Urlaub nehmen", so Inciser. Danach arbeitet sie in verschiedenen Aushilfsstellen. "Damals war das nicht wie jetzt", erzählt sie fröhlich. "Man hätte an einem Tag zehn Arbeiten finden können", so die jetzige Seniorin. Ihre Freiheitsliebe ist es auch, die sie zur Scheidung von ihrem Ehemann bewegt, von dem sie sich eingeengt fühlt. "Erst waren meine Kinder zu klein", später habe sie dann die Scheidung verlangt.
Von Verständnisschwierigkeiten und Kommunikationsproblemen berichten andere "Gastarbeiterinnen", die auch aus der Türkei oder aus Griechenland, Tunesien und anderen Regionen stammen.
Doch auch nach dem Lernen der deutschen Sprache bleiben gerade für Frauen weitere Probleme. Schließlich besteht ihr Leben nicht nur aus der Erwerbstätigkeit in Deutschland. Die Reproduktionsarbeit muss sich für die Gastarbeiterinnen zwischen zwei Ländern abspielen, zwischen ihnen als Mutter und dem Rest der Familie. "Ich habe meine Tochter 1978 bekommen, am 28.6.1978", erinnert sich Zaara Araar, die aus Tunesien nach Deutschland gekommen ist. "Einen Monat war meine Mutter hier bei mir, danach sind wir nach Tunesien gefahren. Als meine Tochter zwei Monate alt war, bin ich wieder zurück nach Deutschland gekommen.", erläutert sie mit Tränen in den Augen. Die Beziehung zu ihrer Tochter sei mittlerweile nicht schlecht, aber nicht so nah wie zu anderen Familienmitgliedern in Tunesien, so Araar.
"Meine Tochter und ich sind aus dem Irak geflohen, vor dem Krieg", sagt Hayfa Ahmed. "Der Grund, warum wir und viele andere unser Land verlassen haben, ist, dass unsere Kinder keine Zukunft mehr dort haben und keine Bildung". Nach dem Sturz der alten Regierung habe sie gedacht, sie habe jetzt auch als Frau mehr Rechte. Ahmed engagierte sich und kandidierte für politische Ämter – bis eine Terrororganisation eine politische Frauenversammlung mit Granaten attackierte. Über Nordafrika ist sie nun mit ihrer Tochter Tuqa nach Deutschland gekommen. Die Buchhalterin wünscht sich, auch in Deutschland eine berufliche Aufgabe erfüllen zu können und sich vielleicht von hier aus weiter frauenpolitisch zu engagieren.
Die junge Generation der Migrantinnen kommt in "Töchter des Aufbruchs" ebenfalls zu Wort. Es handelt sich um die Töchter oder Enkelinnen der Frauen, die in den letzten Jahrzehnten Deutschland zu ihrer neuen Heimat gemacht haben. Eine davon ist die Rapperin Ebow, von der auch der Titelsong zum Film stammt und die eigentlich Ebru Düzgün heißt. Zusammen mit ihrer Mutter spricht sie über ihren Werdegang. Seit 1981 ist die türkischstämmige Saime Kilic Düzgün in München. Ihr Leben war zunächst von Rückschlägen geprägt, denn ihre Schulabschlüsse wurden auch nach deren Übersetzung nicht anerkannt. Düzgün hat Deutsch gelernt, Abschlüsse nachgeholt, und schließlich eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert. "Es macht mich immer noch traurig, dass meine Mutter da durch musste", sagt Ebru Düzgün. Sie selbst studiert in Deutschland. "Ich habe eine Ausbildung gemacht – und du sollst die Uni fertig machen", wünscht sich die Mutter an ihre Tochter gerichtet.
Die "Wanderlust" ertönt erneut. Der elektronisch untermalte Rap-Song hat bereits durch den gesamten Film begleitet und schließt ihn ab. Als Bonus zum Film befindet sich das Lied auch noch einmal separat auf der DVD.
AVIVA-Tipp: Uli Bez betrachtet das Thema der migrierten Frauen sehr vielschichtig. Einerseits geht es um Einzelbiographien, um Menschen mit Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Andererseits sind diese sind so zusammengestellt, dass sie für die Zuschauerin trotz sehr persönlicher Note verallgemeinerbar scheinen. "Töchter des Aufbruchs" untersucht die vielfältigen Herausforderungen, mit denen speziell Frauen als Migrantinnen konfrontiert werden. Die Dokumentation betont die Stärke, welche die Frauen aufgebracht haben – mit Mann oder ohne, mit Kind oder ohne. Absolut sehenswert!
Töchter des Aufbruchs. Lebenswege von Migrantinnen
Buch und Regie: Uli Bez
Produktion: Frauennotruf München
Deutschland 2010
Protagonistinnen: Hayfa Ahmed, Tuqa Ahmed, Roula Balhas, Etsegenet Dawit, Ebru Düzgün, Saime Kilic Düzgün, Tatiana Franke, Stavroula Kling, Inciser Kurt, Angelina Majkic, Francesca Melis, Elena Tsakmakis, Eleni Tsakmaki, Sula Zamani
Format: HD-DVD, 16:9
Laufzeit: ca. 80 Min
Bonus: Rap "Wanderlust" von Ebow
Die DVD kann per Mail unter info@frauennotrufmuenchen.de bestellt werden. Sie kostet für den Privatgebrauch 20 Euro und als Lizenzedition für öffentliche Vorführungen 65 Euro.
Mehr Infos gibt es unter www.ulibez.de
Termine von Kinovorführungen finden Sie unter: www.facebook.com
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