Die fetten Jahre sind vorbei - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur Film



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 22.11.2004


Die fetten Jahre sind vorbei
Anja Kesting

Nachts stören Jan und Peter mit subversiven Aktionen die Hochsicherheitszonen der Reichen und hinterlassen folgende Botschaft: "Sie haben zu viel Geld – Die Erziehungsberechtigten".




© Dirk Plamböcks

Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) sind Mitte zwanzig, sie wohnen zusammen und teilen den blauen VW-Bus ebenso wie eine tief sitzende Wut über die soziale Ungerechtigkeit in der Welt. Flugblätter verteilen oder auf Demos mitlaufen, ist nicht ihr Ding. Peter und Jan wollen den Geldsäcken auf der schmalen Sonnenseite der Gesellschaft ihren ganz persönlichen Denkzettel erteilen. Sie steigen in Luxusherbergen ein, stehlen nichts, sondern hinterlassen nur ein kreatives Chaos.

Jule (Julia Jentsch), Peters Freundin, weiß von alledem nichts. Sie jobbt als Kellnerin in einem Nobelrestaurant, und ihre arrogante Kundschaft geht ihr zunehmend auf die Nerven. Als sie wegen Mietschulden ihre Wohnung verliert, kommt sie vorerst bei Peter unter. Eigentlich wollte Jule Peter für ein paar Tage nach Barcelona begleiten, doch ihr Ex-Vermieter (Hanns Zischler) verlangt, dass ihre alte Wohnung umgehend renoviert
© Dirk Plamböcks
übergeben wird. Peter fährt alleine, verspricht aber, sich um einen Renovierungshelfer zu kümmern.

Der Helfer, der mit einiger Verspätung vor der Tür steht, ist Jan. Vorsichtig, fast schüchtern, gehen sie anfangs miteinander um. Aber bald werden sie lockerer, und Jule weiht Jan sogar in ein persönliches Geheimnis ein: Durch einen Unfall mit einem nicht versicherten Auto ist sie hoch verschuldet. Der Unfallgegner, ein Top-Manager, hatte den Totalschaden seines S-Klasse Mercedes mit 100.000 Euro geltend gemacht, die Jule jetzt in Raten abstottern muss.

© y3 Film

Jan findet es an der Zeit, Jule in das Geheimnis der nächtlichen Streifzüge einzuweihen und demonstriert ihr, wie Peter und er die Häuser ausspähen. Sie braucht eine Weile, bis sie den Sinn der Aktionen ihrer Freunde begreift. Als sie realisiert, in welcher Gegend sie sind, fällt ihr Hardenberg ein, der Manager, dem sie das Geld schuldet. Jule hat Feuer gefangen und fordert Jan heraus: Sie will wissen, wie Hardenberg lebt.
Ohne Probleme steigen sie in die Villa Hardenberg ein und arrangieren den Edel-Haushalt um. Jan mahnt zur Eile, aber Jule hat sich noch ein besonderes Finale für ihre Aktion ausgedacht: Sie möchte die Designer-Couch im Pool versenken. Die beiden landen schließlich mit dem Sofa im Wasser, und es kommt zum ersten Kuss. In ihrem Übermut lösen sie versehentlich einen Alarm aus und müssen schnellstens verschwinden. Und dabei verliert Jule ihr Handy.

Heimlich ziehen Jan und Jule noch mal los und durchsuchen die riesige Villa. Als Jule ihr Handy
© y3 Film
endlich gefunden hat, steht plötzlich Hardenberg (Burghart Klaußner) und er erkennt sie. Es kommt zu einem Handgemenge, und Jan prügelt in Panik auf den Manager ein, bis der sich nicht mehr rührt. Jan und Jule sind ratlos, klingeln Peter aus dem Schlaf und bittet ihn um Hilfe. Dafür haben die selbsternannten Erziehungsberechtigten keinen Plan - und unversehens werden sie zu Entführern...

"Die fetten Jahre sind vorbei hat viel mit den letzten zehn Jahren meines Lebens zu tun, in denen ich mehrfach versucht habe, politisch aktiv zu werden, und mehrfach gescheitert bin", erklärt Hans Weingartner "Ich wollte immer Teil einer Jugendbewegung sein, aber ich habe nie wirklich eine gefunden. Ich war Punk, als Punk schon vorbei war, ich war Hausbesetzer, als es damit schon zu Ende ging. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der viele junge Menschen den Wunsch nach politischer Veränderung in sich tragen, aber nicht wissen, wie sie ihm zum Durchbruch verhelfen sollen. Es fehlen die Reibungsflächen und es fehlt die Gruppendynamik."

© Dirk Plamböcks

AVIVA-Tipp: "Die fetten Jahre sind vorbei" ist großes deutsches Kino. Unbedingt sehenswert. Es bereitet unsagbares Vergnügen zu sehen, wie sich ein zum Topmanager mutierter Alt 68er mit der anarchistischen Spaßguerilla auseinandersetzt. Und es mit den Worten von Daniel Brühl zu sagen: "Interessanter Ansatz, was die drei Helden da machen, das ist schon eine Überlegung wert…"

Das Interview mit Daniel Brühl und Stipe Erceg finden Sie hier



"Die fetten Jahre sind vorbei"
Ein Film von Hans Weingartner

Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg, Burghart Klaußner
Eine y3 film (Deutschland) Produktion in Koproduktion mit coop99 (Österreich) in Zusammenarbeit mit Südwestrundfunk und arte
Deutschland/Österreich – 2004
126 min - 35mm - Farbe - 1:1,85 - Dolby SRD
Kinostart: 25. November 2004



Kultur > Film

Beitrag vom 22.11.2004

AVIVA-Redaktion