Retrospektive zu Gertrude Sandmann vom 11. Februar bis 1. Mai 2011 im HAUS am KLEISTPARK - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur Kultur live



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 12.01.2011


Retrospektive zu Gertrude Sandmann vom 11. Februar bis 1. Mai 2011 im HAUS am KLEISTPARK
AVIVA-Redaktion

Künstlerin, Jüdin, Lesbe, Mitstreiterin der Alten und Neuen Frauenbewegung - präsentiert werden mehr als 80 Werke der 1981 verstorbenen Malerin. Sie gehörte zu den von den Nationalsozialisten...




...offiziell als "entartet" verfemten KünstlerInnen und hatte als Jüdin schon ab 1935 offizielles Malverbot. Nach dem 2. Weltkrieg war sie lange Jahre vergessen. Nun ist Sandmann gleich an zwei Orten wieder in Schöneberg präsent – eine späte, aber verdiente Ehrung:

Mit einer Kunstausstellung im HAUS am KLEISTPARK von über 100 Grafiken und Pastellen, in der darüber hinaus auch Dokumente ihres Lebens (darunter Fotos, Tagebücher und Publikationen) zu sehen sind und mit einem Biografischen Album in der Kulturhistorischen Ausstellung "Wir waren Nachbarn – 136 Biografien jüdischer Zeitzeugen" im Rathaus Schöneberg.

© HAUS am KLEISTPARK. Gertrude Sandmann 1972 in ihrem Atelier in der Eisenacherstraße 89. Fotografin: Eva Rülf-Kollwitz, Nachlass von Gertrude Sandmann.


Vor drei Jahren wurden viele Werke von Gertrude Sandmann durch die Kunsthistorikerin Dr. Anna Havemann in einem privaten Nachlass wiederentdeckt. Dabei ist auch bekannt geworden, dass Gertrude Sandmann eine besondere Beziehung zum HAUS am KLEISTPARK hatte: Über 70 Zeichnungen wurden hier 1968 zusammen mit Arbeiten der Bildhauerin Annemarie Haage ausgestellt. Dokumente darüber waren im HAUS am KLEISTPARK verschollen. Auch bei den Recherchen über ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger im Bezirk für die Ausstellung "Wir waren Nachbarn" im Rathaus Schöneberg war bisher niemand auf ihre Geschichte gestoßen.

Dabei gehört Gertrude Sandmann zu den etwa 1.700 Juden in Berlin, die versteckt überlebt haben. Nach einem fingierten Selbstmord wurde sie von ihrer damaligen Lebensgefährtin Hedwig Koslowski in der Eisenacher Str.103 in Schöneberg versteckt. Später bekam sie als "Verfolgte des Naziregimes" ganz in der Nähe vom Senat eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Hier lebte Gertrude Sandmann gemeinsam mit ihrer Partnerin Tamara Streck bis zu ihrem Tod in einfachen Verhältnissen von Wiedergutmachungsgeldern und Strecks geringem Lohn als Kraftfahrerin, finanziell unterstützt von der Familie Kollwitz.

Es besteht eine starke inhaltliche Nähe der Person Sandmanns zu den explizit frauenthematischen Schwerpunkten des HAUS am KLEISTPARK, in dessen Räumen in den letzten 28 Jahren insbesondere Künstlerinnen und deren Vereinigungen gefördert wurden. Da Gertrude Sandmann Anfang des vorigen Jahrhunderts als Frau noch nicht an einer Kunst-Akademie studieren durfte, besuchte sie die Schule des Vereins Berliner Künstlerinnen und wurde 1926, nachdem sie unter anderem auch privaten Unterricht bei Käthe Kollwitz hatte, zum Gründungs-Mitglied der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen), der ersten überregionalen Künstlerinnen-Vereinigung.
Sie, die als Jüdin die GEDOK in der NS-Zeit verlassen musste, war dennoch bei der Nachkriegs-Neugründung 1960 wieder dabei. Zum 50. Jahrestag der GEDOK war sie im September 2010 in der großen Ausstellung im HAUS am KLEISTPARK mit einigen Arbeiten vertreten.

Gertrude Sandmann war engagiert in der Alten und Neuen Frauen- und der Lesbenbewegung. Zeit ihres Lebens kämpfte sie um ihr Recht auf Selbstbestimmung und bekannte sich öffentlich zu ihrer Homosexualität. In den 1970er Jahren unterstützte Sandmann viele diesbezügliche Projekte. Sie war unter anderem Gründungsmitglied des Coming Out Verlages und der Gruppe L 74 – der ersten Gruppe älterer lesbischer Frauen. Auch war sie als Illustratorin an der Zeitschrift "UkZ – Unsere Kleine Zeitung" beteiligt und veröffentlichte dort auch Artikel.

© HAUS am KLEISTPARK. Gertrude Sandmann und ihre Lebensgefährtin Hedwig Koslowski, mit deren Hilfe sie die Shoah überlebt hat, ca. 1950, Foto: Privatbesitz.


Mit 86 Jahren starb Gertrude Sandmann am 06. Januar 1981 in Berlin, nachdem sie bis zum Ende ihres Lebens künstlerisch und frauenpolitisch aktiv war.

Die Ausstellungsgestaltung:

© AVIVA-Berlin. Die Ausstellungsräume im HAUS am KLEISTPARK.


Die Ausstellung wurde so konzipiert, dass die Trennung der Biographie Sandmanns und ihrer Kunst auch räumlich nachvollzogen werden kann. Bewusst beengend wurde der Bereich gestaltet, der ihre Jahre im Untergrund thematisiert. Stellwände und Achsen separieren darüber hinaus die verschiedenen Themenbereiche ihrer Arbeiten, wobei ein Schwerpunkt auf den Frauendarstellungen der Künstlerin liegt.
In Vitrinen werden Tagebuchauszüge und Zeichenutensilien ausgestellt, sowie Auszüge von Wortbeiträgen in der lesbischen Frauenpresse.

Was als vorherrschender Eindruck der bemerkenswerten Ausstellung zurückbleibt, ist das Erstaunen über eine Künstlerin, deren Faszination für Details und die Schönheit des Alltags, deren unbezwingbarer innerer Antrieb zum Malen und Zeichnen alles Leid und alle äußeren Zwänge und zeitgeschichtlichen Fesseln überdauerte. Wie konnte eine solche Persönlichkeit für so lange Zeit in Vergessenheit geraten?
Das Kunstamt hofft nun, dass einige Werke in die "Berlinische Galerie" kommen, so dass die Künstlerin nicht mehr ganz vergessen wird!

© AVIVA-Berlin. v.l.n.r.: Katharina Kaiser, Leiterin des HAUS am KLEISTPARK, Dr. Anna Havemann, Ausstellungskuratorin und Autorin, Felix Nolze und Paul Beaury, Designer und Gestalter der Ausstellung, Dr. Nora Pester, Hentrich&Hentrich-Verlag.


Literatur zu Gertrude Sandmann:




Im Februar 2011 erschien im Verlag Hentrich&Hentrich in der Reihe Jüdische Miniaturen die Biographie Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin von Dr. Anna Havemann.
Lesen Sie die Rezension auf AVIVA-Berlin: "AnnaHavemann - Gertrude Sandmann. Künstlerin und Frauenrechtlerin"
Weitere Infos finden Sie auf den Verlagsseiten:
www.hentrichhentrich.de

Veranstaltungsorte:

HAUS am KLEISTPARK, Grunewaldstr. 6-7, 10829 Berlin (U-Bhf Kleistpark (U7), Bus M48)
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10-19 Uhr, Eintritt frei
www.hausamkleistpark-berlin.de

Rathaus Berlin-Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz, 10825 Berlin (U-Bhf Rathaus Schöneberg (U4), U-Bhf Bayerischer Platz (U7), Bus M46, 104)
Öffnungszeiten: ganzjährig samstags bis donnerstags 10-18 Uhr, Eintritt frei
www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Wir waren Nachbarn. Biografien jüdischer Zeitzeugen"

"Keine Tochter aus gutem Hause – Johanna Elberskirchen, 1864-1943"



(Quellen: HAUS am KLEISTPARK, Eintrag in: "Out! 800 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle" von Axel Schock und Karen-Susan Fessel. Querverlag 2004. S. 245.)


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Beitrag vom 12.01.2011

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