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Beitrag vom 28.04.2010
Die Eleganz der Madame Michel - ein Film von Mona Achache
Adriana Stern
Im November 2009 erhielt das Filmdebüt der jungen französischen Regisseurin auf dem 33. Filmfestival in Kairo gleich drei Preise, darunter einen für die beste Regie. Der Film ist eine berührende...
... Hommage an die Freundschaft und das Leben! Er schildert die Begegnung dreier außergewöhnlicher EinzelgängerInnen, deren Wege sich wie zufällig in einem eleganten Pariser Wohnhaus kreuzen.
Schon die Filmmusik zu Beginn zieht die Zuschauerin in den Bann und hält sie darin. Dunkelheit bestimmt die erste Kameraeinstellung, es sind nur Geräusche von tappenden Füßen zu hören, ein Rascheln, dann leuchtet eine Taschenlampe auf, eine Hand sucht etwas in einer Schublade, eine Kamera wird eingeschaltet.
Die 11 jährige Paloma, gespielt von Garance Le Guillermic, sieht in ihre eigene alte Kamera und erklärt den imaginären ZuschauerInnen, warum sie beschlossen hat, an ihrem 12. Geburtstag Selbstmord zu begehen und dass sie diesen Film für die Nachwelt hinterlassen will.
Ohne ihre Kamera geht Paloma ab jetzt keinen Schritt mehr. Sie filmt einfach alles. Die kleingeistigen, oberflächlichen Gespräche am familiären Küchentisch, die sie auf ironische Weise und ausgesprochen scharfsinnig kommentiert, den Tod eines am Morgen verstorbenen Mieters und die kokettierenden, Mitgefühl vorgebenden Kommentare dazu, vor allem die ihrer Mutter. Und sie filmt die Concierge, Madame Michel, von der Paloma ahnt, dass sie in Wirklichkeit anders ist, als sie nach außen vorspiegelt zu sein.
Renée Michel, gespielt von Josiane Balasko, hat als Concierge für sich das perfekte Versteck gefunden. Nach außen gibt sie vor, mürrisch, unscheinbar und vor allem ungebildet zu sein und sich außer für das Unterhaltungsprogramm im Fernsehen für schier gar nichts zu interessieren, einschließlich ihres Äußeren.
Auf diese Weise gelingt es ihr tatsächlich, sich die reichen, arroganten MieterInnen dieses Wohnhauses vom Hals zu halten, um sich hinter verschlossenen Türen ungestört ihrer wahren Leidenschaft hinzugeben: Dem Studium der großen Werke der Weltliteratur, philosophischer, naturwissenschaftlicher und anderer anspruchsvoller Lektüre! Sie teilt ihr Leben nur mit ihrem Kater und außer Tee und Unmengen von Zartbitterschokolade scheint es seit vielen Jahren nichts zu geben, was sie darüber hinaus begeistern könnte.
Das Leben von Madame Michel und Paloma ändert sich, als der neue Mieter einzieht: Herr Ozu, gespielt von Togo Igawa. Herr Ozu besitzt eine mindestens ebenso scharfe Wahrnehmung wie Paloma und als er mit ihr in dem feststeckenden Aufzug über Madame Michel spricht, bestätigt Paloma, was Herr Ozu schon längst erkannt hat. Madame Michel ist nicht die, die sie zu sein scheint.
Paloma vergleicht die Concierge mit einem Igel, der nach außen nur deswegen kratzbürstig ist, damit er den im Inneren schlummernden, wahren Kern seines Wesens perfekt und auf elegante Art schützen kann. Und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Wieder einmal.
Der Film schildert in poetischen Bildern und einer berührenden, perfekt dazu passenden Filmmusik von Gabriel Yared die vorsichtige Annäherung dieser drei Menschen, die alle drei zu verändern beginnt.
Besonders eindrücklich ist die langsame Veränderung der Renée Michel, die sich im Laufe des Films allmählich verwandelt wie eine triste, scheinbar tote Wüste, auf die plötzlich Regen fällt und der und das verborgene Leben darin mit einem Mal zum Blühen bringt.
Welche Rolle Anna Karenina von Leo Tolstoi, der Kater von Madame Michel, ein Goldfisch in einem Glas, ein Wandkalender, auf die Tapete gemalt, Mozart im Badezimmer des Kakuro Ozu und das Daumenkino in diesem Film spielen und warum Paloma am Ende des Films ihre Pläne aufgibt, sollte die Leserin unbedingt selbst herausfinden.
AVIVA-Tipp: Der Film ist anders, ganz anders als das Buch und doch auch wieder nicht. Denn er drückt mit seinen Mitteln die gleiche tiefe, philosophische Gesellschaftskritik aus und tut es mit einem ähnlich lebensbejahenden, zwinkernden Humor, der auch Muriel Barbery zu eigen ist.
Mona Achache ist es gelungen, die hohe literarische Qualität des Buches und die unglaubliche Poesie der Sprache von Muriel Barbery mit visuellen Mitteln und mit Hilfe der wundervollen Filmmusik von Yared absolut brillant in diesen Kinofilm zu übertragen. Einen Kinofilm, der schmunzeln lässt, nachdenklich macht und der vor allem durch die vielen eindrücklichen kleinen und großen Gesten und Eigenarten der ProtagonistInnen tief zu berühren vermag.
Die Eleganz des Igels
Originaltitel: Le Hérisson
Frankreich 2009
Länge: 99 Minuten
Regie: Mona Achache
Produzentin: Anne-Dominique Toussaint
Drehbuch: Mona Achache, frei nach dem Roman "Die Eleganz des Igels" von Muriel Barbery
Kamera: Patrick Blossier
Schnitt: Julia Grégory
Musik: Gabriel Yared
HauptdarstellerInnen: Josiane Balasko als Renée Michel, Garance Le Guillermic als Paloma Josse, Togo Igawa als Kakuro Ozu, Ariane Ascaride als Manuela Lopez, Anne Brochet als Solange Josse, Wladimir Yordanoff als Paul Josse, Sarah Le Picard als Colombe Josse, Jean-Luc Porraz als Jean Pierre, Giséle Casadesus als Madame de Broglie, Mona Heftre als Madame Meurisse, Samuel Achache als Tibére, Valérie Karsenti als Tibéres Mutter, Stéphan Wojtowicz als Tibérs Vater
Verleih: Senator
Kinostart: 6. Mai 2010
www.madamemichel.senator.de
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