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Beitrag vom 24.08.2010
Adèle und der Fluch des Pharaos. Kinostart: 30. September 2010
Marie Heidingsfelder
"Maintenant que l´incroyable est fait, passons à l´impossible" Unter diesem Motto steht nicht nur das Leben der jungen Journalistin Adèle Blanc-Sec, sondern der ganze Film von Luc Besson
Eine Heldin
Früher war meine Heldin Karla Kolumna, aber ich erinnere mich noch gut, dass es - zumindest in meiner Kindheit - in der Unterhaltungsindustrie wenig heldenhafte Identifikationsfiguren für Mädchen gab. Gut, bei den "Power Rangers" gab es eine feste Frauenrolle, unverkennbar in einem pinken Catsuit und auch sonst ziemlich klischeebeladen. Aber meistens haben andere die Welt gerettet: Superman, Batman, gab es nicht sogar einen He-Man? Währenddessen saßen Dolly, Wendy, Hanni und Nanni in stadtfernen Parallelwelten wie Internaten und Reiterhöfen fest, ganz erfüllt von den Abenteuern des Alltags.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Figur der Adèle Blanc-Sec ein echtes Highlight: 1912 - also 32 Jahre, bevor den Französinnen überhaupt das Wahlrecht zugesprochen wurde - führt sie in Paris das Leben ein emanzipierten Frau: Sie ist klug, mutig, hübsch und überaus abenteuerlustig. Als leidenschaftliche Reporterin und Hobby-Archäologin reist sie durch die Welt, schreibt Bücher und hebt antike Schätze. Wortgewandt, pragmatisch und eigensinnig setzt sie sich dabei beharrlich über Verbote und Grenzen hinweg.
"Die Phantasie ist ein Muskel. Je mehr du sie trainierst, desto stärker wird sie."
Dieses Statement von Regisseur Luc Besson verspricht viel für seinen jüngsten Film. Zu Beginn der rasanten Story schickt er Adèle allerdings ganz Abenteuer-klassisch nach Ägypten, auf die Suche nach dem mumifizierten Leibarzt von Ramses II, den sie zurück in Paris mit Hilfe des berühmten Professors Esperandieu zum Leben erwecken will, damit er ihre Schwester aus dem Wachkoma erlöst. So weit, so genretypisch, so gut: Man kuschelt sich in den Kinositz und bekommt, was man erwartet: Altägyptische Schatzkammern, geheime Mechanismen, betrügerische Fremdenführer, brennende Geheimgänge, den Bösewicht und die Rettung in letzter Sekunde. Bis auf den Charme von Louise Bourgoin, immer im perfekten Kostüm der Jahrhundertwende inklusive Hut, überrascht nichts.
Im weiteren Verlauf zeigt sich allerdings, dass Luc Besson nicht umsonst für seine enorme Ideenvielfalt bekannt ist. Während die Geschichte weiter klassische Abenteuer-Muster erfüllt - der Professor muss gerettet werden, ein Flugsaurier macht Paris unsicher, die Behörden behindern Adèle und heimlich steht das gute Ende stets als sicheres Ziel fest - zeigt sich die Originalität in Details: Wenn die zum Leben erweckte Mumie vorschlägt, ein paar Pyramiden vor das Louvre zu stellen, oder Adèle zur Entspannung mit der Titanic in See sticht, kommen auch die erwachsenen BesucherInnen auf ihre Kosten. So bleibt der Kinobesuch trotz 107 Minuten Laufzeit mitreißend und gleichzeitig entspannend: Die Mischung aus Abenteuer-, Kostüm- und Fantasyfilm ist bis auf seine moderne Heldin so weit weg von unserem 100 Jahre entfernten Alltag, dass jede intellektuelle Auseinandersetzung entfällt.
Aus dem Comic auf die Leinwand
Die späte Auseinandersetzung mit der Kindheit findet sich in vielen KünstlerInnenbiografien und ist seit einigen Jahren anscheinend auch für Luc Besson Thema: Nachdem seine jüngsten Filme die Abenteuer von "Arthur und den Minimoys" zeigten, ist "Adèle" ursprünglich eine Comicfigur von Jacques Tardi. Zwar hat die französische Comic-Kultur nicht viel mit der deutschen Verkindlichung des Genres gemeinsam, so dass Adèle zur "culture générale" zählt und auch Fans von über einem Meter 40 hat – aber die filmische Umsetzung bemüht sich doch, möglichst familien-, das heißt kindertaugliche, Unterhaltung zu bieten.
So werden einige Figuren zu Karikaturen und so rutscht der Humor teilweise auf Slapstick-Niveau. Das ist in Ordnung, bedenkt man, dass die Zielgruppe Menschen von 7 bis 77 Jahren sind, die sich gemeinsam amüsieren sollen. Dieser Generationenspagat gelingt dem Team aus DarstellerInnen, Regisseur und Produzentin vollkommen: Niemand kommt komplett auf seine Kosten, aber niemand ist ausgeschlossen und alle haben Spaß.
AVIVA-Tipp: Eine wunderbare Heldin, eine unterhaltsame Handlung, die Originalität von Luc Besson – kurz: Spannung, Spiel und Spaß: "Adèle und der Fluch des Pharaos" ist ein rasanter und charmanter Film für verregnete Familien-Sonntage mit Chips und Popcorn.
Zur Hauptdarstellerin: Louise Bourgoin wurde 1981 als Ariane Bourgoin in Vannes, der Bretagne geboren. Gegen den Wunsch ihrer Eltern, die ihrer einzigen Tochter einen stabilen Beruf wünschten, wurde sie nach ihrem Kunststudium nicht Lehrerin, sondern arbeitet Schauspielerin, Model und Fernsehanimateurin. Aus Bewunderung für die Künstlerin Louise Bourgeois wählte sie den Künstlernamen Louise. Nach Einsätzen als "femme météo" und Komikerin erhielt sie 2008 ihre erst Rolle in "La fille de Monaco" und wurde als neues Talent für den César nominiert. Nach Rollen in "Der kleine Nick" und "Blanc comme Neige" ist die Figur der Adèle ihre bislang größte Rolle: Fern von wandelnden Klischees ist Adèle für sie eine "Traumrolle".
Adèle und der Fluch des Pharaos
Chile und Mexiko, 2009
Buch und Regie: Sebastián Silva
Universum Film GmbH
Lauflänge: 107 Minuten
Kinostart: 30. September 2010
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