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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 16.08.2012


Familientreffen mit Hindernissen - ein Film von und mit Julie Delpy. Kinostart 9. August 2012
Katarina Wagner

Es ist der bisher persönlichste Film der Französin. Zusammengestellt aus eigenen Kindheitserinnerungen portraitiert sie eine bunte Familie und schafft eine Momentaufnahme über das Aufwachsen und..




... Leben im Frankreich der Siebziger Jahre.

… Familie und schafft eine Momentaufnahme über das Aufwachsen und Leben im Frankreich der Siebziger Jahre.

Im Mittelpunkt steht die elfjährige Albertine (Lou Alvarez). Mit ihren Eltern Anna (Julie Delpy) und Vater Jean (Eric Elmosnino), zwei linksaktivistische SchauspielerInnen, fährt sie zum Familientreffen in die Bretagne.
Albertines Großmutter feiert ihren 67. Geburtstag und die sechs Kinder kommen samt Anhang zum Gratulieren. Nacheinander treffen sie in dem Landhaus ein und schnell werden die unterschiedlichsten Charaktere sichtbar: konservative Snobs, betrunkene Kriegsveteranen und lebenslustige StaubsaugervertreterInnen verbringen zusammen mit einer Schar Kinder das Wochenende miteinander. Sie haben viel Spaß, essen, trinken, lachen und singen – und streiten sich natürlich ordentlich.

Ende der Siebziger hatten sich in Frankreich die Links-Parteien vereint und die Gesellschaft polarisiert – die Rechten befürchteten einen kommunistischen Umsturz. So treffen auch am Erwachsenentisch die beiden Lager aufeinander und sie debattieren über die Todestrafe, alte Kolonien, den Vietnam- und Algerienkrieg.

Neben dem heiteren Beisammensein wird deutlich, in was für einer aufwühlenden Zeit diese Menschen leben. Den durch Kriegstraumata verwirrten Onkel Hubert (Albert Delpy) müssen die Kinder davon abhalten, sich in einem zugegebenermaßen ungefährlichen Versuch das Leben zu nehmen und Anna muss den anderen Frauen erklären, dass Feministinnen nicht immer nur Latzhosen tragen.

Delpys Charakter ist eine Hommage an ihre eigene, 2009 verstorbene Mutter. Wie Anna im Film war auch Marie Pillet eine überzeugte Feministin. Im April 1971 unterschrieb sie das Manifeste des 343 salopes, in dem sich Frauen, darunter auch Simone de Beauvoir, Jeanne Moreau, Catherine Deneuve und Brigitte Fontaine zur Abtreibung bekannten. (Im Juni desselben Jahres erschien in Deutschland die Stern-Ausgabe: Wir haben abgetrieben)

Julie Delpy stellt jedoch klar, dass der Film nicht durch und durch autobiografisch sei. Es sind vor allem die Bilder und die Stimmung, welche die Regisseurin einfangen und nachbilden wollte. Die aufgehängten Handtücher am Abend, die Schafe auf der Wiese, das Licht am Meer – das sind ihre Erinnerungen an Urlaubstage im bretonischen Haus ihrer Tante. Genau dort wurde der Film auch gedreht.

Diese Sommerferien-Atmosphäre prägt die vierte Regiearbeit der talentierten Französin. Während die Eltern mit sich selbst und ihren Diskussionen über Kindererziehung, die Ehe und Politik beschäftigt sind, erlebt die jüngste Generation die kleinen und großen Abenteuer der Kindheit: Sie schauen sich Küken und Tiergedärme an, fangen Krebse am Meer und fragen die Älteren, was eine Jungfrau ist.
Albertine, die gern mit ihren Eltern ins Kino geht, Apocalypse Now gut überstanden hat, von der Blechtrommel aber ein bisschen mitgenommen war, ist jedoch besorgt: noch in dieser Nacht könnten sie alle sterben, falls die Raumstation Skylab über ihnen abstürzt. Davor hätte sie so gern noch Han Solo geküsst.
Diesen vergisst die Elfjährige aber ganz schnell, als sie den blonden Matthieu kennen lernt – unangenehmerweise ausgerechnet am FKK Strand. So erlebt die junge Protagonistin an diesem Wochenende die Höhen und Tiefen der Liebe, macht ihre ersten Schritte ins Erwachsenenleben und spricht den wohl lässigsten Satz des Films: „Halt mal meine Brille, ich tanze jetzt Punk“

AVIVA-Tipp: Das Familientreffen in der Bretagne hat Julie Delpy mit gut beobachtetem, feinem Witz und Detail-Liebe inszeniert, ohne es zu idealisieren. Die Figuren sind nicht stereotypisiert oder übertrieben neurotisch sondern wirken sehr authentisch. Sie haben echte Freuden und Sorgen. Allen voran Albertine, mit der wir uns an den ersten langsamen Tanz zurück erinnern können.

Zur Regisseurin und Schauspielerin Julie Delpy:

1969 wurde sie in Paris geboren. Früh spielte die Tochter der politisch engagierten Theater- und FilmschauspielerInnen Albert Delpy und Marie Pillet in Filmproduktionen. Im Alter von siebzehn Jahren gelang ihr mit Die Passion der Beatrice von Bertrand Tavernier der Durchbruch. Es folgten verschiedene Rollen in internationalen Produktionen, darunter Volker Schondorffs Verfilmung von Homo Faber, sie fühlte sich aber immer mehr dem Independent-Film hingezogen.
In den Achtzigern zog die junge Künstlerin in die USA, um am New Yorker Actors Studio Schauspielkurse zu belegen und an der Tisch School of Manhattan Film und Regie zu studieren.
Ihre bekannteste Rolle spielte Delpy 1995 an der Seite von Ethan Hawke in Richard Linklaters Before Sunrise. Für den Nachfolger Before Sunset (2004) wurde sie zusammen mit Linkslater und Hawke für den Oscar in der Kategorie Bestes Drehbuch nominiert. 2007 erschien ihr Regie-Debüt 2 Tage in Paris. Es folgten Die Gräfin (2009) und 2 Tage in New York (2012). Als nächstes würde das Multitalent – sie ist außerdem Sängerin – gern einen Thriller oder Science-Fiction-Film drehen.
Mit ihrem Lebensgefährten, dem deutschen Filmkomponisten Marc Streitendfeld und ihrem Sohn Leo wohnt Delpy abwechselnd in Paris und Los Angeles.

Familientreffen mit Hindernissen
Originaltitel: Le Skylab
Buch und Regie: Julie Delpy
Produktion: Michael Gentile
DarstellerInnen:
Albertine: Lou Alvarez
Anna: Julie Delpy
Jean: Eric Elmosnino
Tante Linette: Aure Atika
Tante Monique: Noémie Lvovsky
Mamie: Bernadette Lafont
Mémé: Emmanuelle Riva
Tante Clémentine: Sophie Quinton
Tante Micheline: Valérie Bonneton
Onkel Roger: Denis Ménochet
Onkel Fredo: Jean-Louis Coulloc´h
Onkel Hubert: Albert Delpy

Kamera Lubomir Bakchev
Schnitt Isabelle Devinck
Kostüm Pierre-Yves Gayraud
Ton Michael Casang
Mit Förderung von La Région Bretagne
113 Minuten

Kinostart: 9. August 2012

Weitere Infos unter:
www.familientreffen-derfilm.de

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Beitrag vom 16.08.2012

AVIVA-Redaktion