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Beitrag vom 23.05.2015
Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern. Kinostart: 21.05.2015
Clarissa Lempp
Dora will nicht lernbehindert sein, sie will einfach leben, lieben und Sex. In ihrem Umfeld nimmt das zunächst niemand wirklich ernst, bis sie Peter trifft. Ein Film über sexuelle Selbstbestimmung...
Dora lebt mit einer Lernbehinderung. Mit ihren 18 Jahren ist sie zwar mündig, bestimmend in ihrem Leben sind aber ihre Eltern und die Medikamente. Als ihre Mutter die absetzt, erwacht Dora aus der Lethargie und damit auch ihre Lust am Leben und der körperlichen Liebe. Dora will ein Paar sein, will ihren Körper entdecken, will knutschen und Sex. Den bekommt sie von Peter, auf einer Toilette in einem U-Bahnhof. Was auf die ZuschauerIn wie ein sexueller Übergriff wirkt, entwickelt sich zu einer einvernehmlichen Affäre zwischen den beiden, die spätestens als Dora schwanger wird, mit Tabus um die Selbstbestimmung behinderter Menschen bricht.
Der Film zeigt ebenso die Strukturen, in denen sich sexuelle Selbstbestimmung bewegt, als auch den subjektiven Zugriff der einzelnen ProtagonistInnen. Wie paradox die Grenzziehung dabei zur Kontrolle von außen ist, zeigt sich humorvoll und doch erschreckend, wenn die schwangere Dora und ihre Mutter in der pränatalen Diagnostik-Praxis sitzen. Ihre Mutter erklärt Dora, dass sie hier seien, um eine Wahl treffen zu können. Als Dora daraufhin Wünsche zum Geschlecht des Kindes und dessen Augenfarbe äußert, wird der Medizin-Professor streng. Das sei ja keine Wunschveranstaltung, lässt er sie wissen. Regisseurin Stina Werenfels nimmt auch immer wieder filmisch die Perspektive Doras ein. Das gelingt besonders gut in den ersten Szenen, in denen die von den Medikamenten wattierte Wahrnehmung Dora eine Welt in der Unschärfe zeigt oder wenn sie in Peters Cabrio zum wummernden Bass des Songs "Verschwende deine Jugend" durch die Luft tanzt. So sehr der Film aber auch an Doras Sicht der Dinge heranrücken will, irgendwie bleibt ihre Figur ein Mittel zum Zweck. Sie wirkt wie eine Verkörperung eines Gegenentwurfs zur sexuellen Neurose der "anderen", in diesem Fall Menschen ohne Behinderung. Dora lebt unverblümt aus, was die sich nicht trauen.
"Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern" basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Lukas Bärfuss, das bereits 2003 uraufgeführt wurde. Werenfels brachte das Thema des Stücks auf die Leinwand. Wie in vielen Filmen über Menschen mit Behinderung, spielen sie aber auch hier nicht die Hauptrolle. Zwar liefert Victoria Schulz als Dora eine sehr gute Performance. Die Frage bleibt aber, warum nicht gleich eine Schauspielerin mit Behinderung gewählt wurde. Diesen Weg sind zuvor schon andere Produktionen erfolgreich gegangen (z.B. "Gabrielle – (k)eine ganz normale Liebe" oder "Me too"). Auch das Potential von Peter, Doras nichtbehinderter Liebhaber, geht unter dem Gewicht des filmischen Bösewichts leider verloren. So traut sich der Film selbst nicht ganz, was er Dora zusprechen will. Das radikale Infragestellen von sexuellen und körperpolitischen Normen und Zwängen.
AVIVA-Tipp: "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern" macht nicht immer alles richtig, was er sich vorgenommen hat. Trotzdem bleibt es ein empfehlenswerter Kinobesuch, nicht nur weil es ein ästhetisch ansprechender Film ist, sondern auch wichtige Diskussionen über die Selbstbestimmung anregt.
Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern
Schweiz / Deutschland 2015
Regie: Stina Werenfels
DarstellerInnen: Victoria Schulz, Jenny Schily, Lars Eidinger, Urs Jucker
Länge: 90 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 21.05.2015
Homepage zum Film www.dora-derfilm.ch
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