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Beitrag vom 02.05.2016
EVA HESSE. Kinostart: 28. April 2016
Sharon Adler
Marcie Begleiters Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der hochtalentierten Künstlerin – ein jüdisches Flüchtlingskind aus Hamburg, das sich an die Spitze der US-Kunstszene kämpfte und bis zu ihrem frühen Tod 1970 mit 34 Jahren die Kunstgeschichte verändert hat.
"Ich will meinen eigenen Weg finden. Es macht mir nichts aus, Meilen von jedem anderen entfernt zu sein, die besten Künstler waren die, die alleine standen."
Eva Hesse, 1970
Über Eva Hesse kann wohl kaum gesprochen werden, ohne in Superlativen zu schwelgen. Sie gilt als die herausragende Vertreterin der avantgardistischen Minimal- und Prozesskunst. In ihren Händen wurde jedes Material, jedes Objekt zu Kunst. Mutig überschritt sie Grenzen, arbeitete ohne Unterlass. Alles war Inspiration für sie. Neben ihren frühen Drawings und Skulpturen experimentierte sie später mit Latex, Glasfaser und Polyester und schuf Werke von intensiver Schönheit.
Eva Hesse wusste schon früh, dass sie Künstlerin und ausschließlich Künstlerin sein wollte: "Es ist mein Hauptbestreben, über das hinauszugehen, was ich weiß und was ich wissen kann. Ich möchte meine Kunst ausdehnen auf etwas, das noch nicht existiert".
10 Mio. USD kosten Eva Hesses Werke heute, und viele bedeutende Häuser, darunter das MoMa, das Guggenheim, die Tate Modern und das Museum Ludwig besitzen wichtige Arbeiten von ihr.
"Eva Hesse ist eine extrem relevante Künstlerin, die für einen Übergang und eine Verwandlung der Kunst der 1960er steht." Nicholas Serota, Director Tate Museums, 2013
Die Hamburger Kunsthalle widmete ihr 2013/2014 – gemeinsam mit der Künstlerin Gertrud Goldschmidt - die Ausstellung "One More than One". Zu sehen waren 50 Skulpturen und Zeichnungen, darunter ihre fünfteilige Arbeit Sans II (1968), Repetition Nineteen (1968) und Accession (1968) sowie Zeichnungen wie die von der Minimal Art geprägten Grid Drawings, die repetitiven Circle Drawings oder die späten, Window Drawings, die Hesse selbst als "paper paintings" bezeichnete.
Anlässlich der Ausstellung konnte die Autorin und Regisseurin Marcy Begleiter den Dokumentarfilm über Leben, Werk und Wirkung von Eva Hesse produzieren, denn nun bot sich zum ersten Mal die Gelegenheit, viele ihrer komplexen Hauptwerke auch filmisch abbilden zu können.
Marcy Begleiter hatte zuvor schon jahrelang zu Eva Hesse recherchiert und geschrieben. In 2010 produzierte sie ihr Theaterstück "Meditations: Eva Hesse" und 2014 für die Hamburger Kunsthalle den Kurzfilm "Eva Hesse, Walking the Edge". U.a. mit Unterstützung des Goethe-Instituts konnte sie den Stoff schließlich zu einem abendfüllenden Dokumentarfilm weiterentwickeln.
Einfühlsam und kreativ hat sie nicht nur die Kunst und die wegweisende Künstlerin selbst, sondern auch deren kreatives Arbeitsumfeld im New York der 60er Jahre porträtiert:
"Eva Hesse hat mich inspiriert. Sie hat niemals aufgegeben, ist immer ihren Weg gegangen und hat Großes geschafft.“
Marcie Begleiter, Professorin am Art Center College of Design Los Angeles und Dozentin an der Internationalen Filmschule Köln, ist wie ihre Protagonistin Jüdin mit deutschen Wurzeln. Als Vertreterin der zweiten Generation lebt auch sie noch heute mit dem ständigen Gefühl um den Verlust und die Verfolgung. Gemeinsam ist diesen beiden Frauen auch der Kampf um Anerkennung als Frau in einer männerdominierten Welt.
Ihr Film erzählt die Geschichte Eva Hesses von den Anfängen bis zu ihrem tragischen Ende. In ihrer nur fünf Jahre dauernden Schaffenszeit hat diese Ausnahmekünstlerin ein umfangreiches Werk geschaffen hat, das unerschrocken Minimal Art und Surrealismus vereint und künstlerisch neue Wege beschreitet. Trotz der frühen Erfolge und der öffentlichen Anerkennung hatte Eva Hesse zeitlebens Selbstzweifel, vor allem aber Verlustängste, die in ihrer Kindheit und Jugend vor dem Hintergrund der Vertreibung und Ermordung der Familie durch die Nazis und dem daraus resultierenden Selbstmord der Mutter in der Woche von Evas 10. Geburtstag begründet waren.
Eva Hesse wurde am 11. Januar 1936 als zweites Kind des Anwalts Wilhelm Hesse und seiner Frau, der Künstlerin Ruth Marcus Hesse, im Jüdischen Krankenhaus in Hamburg geboren. Bereits 1933 wurde der Vater mit Berufsverbot belegt und durfte nicht mehr arbeiten.
Kurz nach den antisemitischen Novemberpogromen 1938 in Deutschland schicken die Eltern die damals Zweijährige und ihre sechsjährige Schwester mit einem der Kindertransporte nach Holland– ihre Eltern können wenig später ebenfalls emigrieren. Gemeinsam kann die Familie gerade noch vor Kriegsausbruch über England in die USA emigrieren und lässt sich in New York nieder. Fast alle Verwandten werden in Konzentrationslagern ermordet.
Eva Hesse besucht zunächst die New Yorker High School of Industrial Arts und erlangt einen Abschluss als Schaufensterdekorateurin. Anschließend belegt sie Kurse in Werbegraphik am Pratt Institute of Design. Im Herbst 1953 beginnt sie an der Art Students League Zeichenunterricht zu nehmen, im September 1954 schreibt sie sich an der Cooper Union in New York ein. Nachdem die Zeitschrift Seventeen einen Artikel über die junge talentierte Künstlerin veröffentlicht hatte, wurde die Kunstwelt auf sie aufmerksam. Schon früh hatte sie wichtige Ausstellungen (John Heller Gallery, Allan Stone Gallery, Fischbach Gallery). Mit ihrem Ehemann, dem Bildhauer Tom Doyle, wird sie nach Deutschland eingeladen, wo beide ihr Atelier in der ehemaligen Textilfabrik des Sammlerehepaars Scheidt einrichten, arbeiten und von dort Reisen in alle Museen Europas unternehmen.
Als sie die ehemalige Wohnung der Familie in der Isestraße 98 aufsuchen wollte, wurde ihr das verwehrt...
Eva Hesse starb 1970 in New York an einem Hirntumor. Sie arbeitete bis zuletzt und hinterließ ein Oeuvre, das die Geschichte der Kunst veränderte. Dennoch ist die Künstlerin in Deutschland heute eher unbekannt.
Regisseurin Marcie Begleiter hat aus privatem und öffentlichen Archivmaterial, den Tagebucheinträgen Eva Hesses sowie aus Gesprächen mit Künstlerfreund_innen, Galeristen und Galeristinnen, das komplexe Leben und Werk der Künstlerin zu einem filmischen Kunstwerk gemacht. Vor allem Evas Schwester, Helen Hesse Charash, liefert einen tiefen Einblick in die Lebensfreude, aber auch Zerrissenheit der Künstlerin, die viel zu früh gestorben ist.
AVIVA-Tipp. Ein gleichermaßen informatives wie berührendes Portrait dieser Ausnahmekünstlerin, die in einem Zeitraum von nur fünf Jahren ein Werk geschaffen hat, das einzigartig und überwältigend ist. What a loss! Danke an Marcie Begleiter, die mit ihrem Dokumentarfilm dem Mensch und der Künstlerin ein Denkmal geschaffen hat, in dem sich die sensible Eva Hesse trotz ihrer allgegenwärtigen Selbstzweifel wiedergefunden hätte.
EVA HESSE auf dem DOK.fest München:
Sa. 07.05.16 um 16:00 Uhr, Pinakothek der Moderne
So. 15.05.16 um 11:00 Uhr, Pinakothek der Moderne
EVA HESSE
ein Dokumentarfilm von Marcie Begleiter
Deutschland / USA 2016
MIT: Nicolas Serota, Robert und Sylvia Plimack Mangold, Richard Serra, Dan Graham und Hans Haacke
Kamera: Nancy Schreiber, Ed Moore, Liza Bambenek
Montage: Azin Samari
Musik: Andreas Schäfer, Raffael Seyfried
Ton: Stephan Wilke, Alexander Weuffen
Produzent_innen: Marcie Begleiter, Karen Shapiro, Michael P. Aust
105 Minuten - OmdtU
Verleih: Real Fiction Filmverleih
KINOSTART: 28. April 2016
Kinostart: 28. April 2016
Mehr Infos und der Trailer unter: www.realfictionfilme.de
Mehr Infos zu Marcie Begleiter und Eva Hesse unter:
www.marciebegleiter.com und www.facebook.com/evahessedoc
Weitere Informationen zu Eva Hesse im Jewish Women´s Archive:
Jewish Women´s Archive und im "Guide to the Papers of the Helen and Eva Hesse Family 1882-1956" des Leo Baeck Institutes: findingaids.cjh.org
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Eva Hesse - One More than One
"Can It Be Different Each Time?", fragte die New Yorker Künstlerin. Der Ausstellungskatalog geht dieser Frage mit Abbildungen ihrer Werkausstellung in Hamburg, Tagebuchnotizen, Interviews und Zeitungsartikeln in biographisch-philosophischer Melange nach.
Ein Porträt von Eva Hesse
Am 11. Januar 2011 wäre Eva Hesse, US-amerikanische Künstlerin deutsch-jüdischer Herkunft, 75 Jahre alt geworden. "Ein Leben voller traumatischer Ereignisse". Dies könnte als Überschrift zu dem kurzen Leben einer Hochbegabten stehen. Dem Naziregime entkommen, prägen sie die Nachwirkungen der Shoah sowie private Schicksalsschläge in ihrem Verhältnis zum Leben zutiefst und inspirieren sie zu einen künstlerischen Weltentwurf zwischen den Gegensätzen Chaos und Ordnung. (2011)
Elfi Hartenstein - Jüdische Frauen im New Yorker Exil
Jüdisch, weiblich, im Exil. Wer denkt da nicht an die Ehefrauen berühmter jüdischer Intellektueller? Was ist aber mit den vielen unbekannten Biografien jüdischer Exilantinnen? Was bedeutet Exil? (2011)
Edward van Voolen - 50 Jüdische Künstler, die man kennen sollte
Der Kunsthistoriker und Rabbiner hat sich bereits in seinem Buch "Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur" mit dem Einfluss von Herkunft und Kultur, Ausgrenzung und Verfolgung auf das Schaffen von KünstlerInnen beschäftigt. (2012)
(Quellen: Real Fiction Filmverleih, AVIVA-Berlin, Jewish Women´s Archive)