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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 02.03.2011


Eine Familie - Ein Film von Pernille Fischer Christensen
Kristina Auer

"Was tun, wenn Krankheit und Tod die eigene Familie ereilen?", ist die zentrale Frage, die dieses realistische Beziehungsdrama aufwirft. Mit ihrem dritten Langfilm gelingt der dänischen...




...Regisseurin Pernille Fischer Christensen ein lebensnahes und ergreifendes, jedoch an keiner Stelle sentimentales, Familiendrama.

Die erfolgreiche Kunst-Galeristin Ditte (Lene Marie Christensen) bekommt einen Job in New York angeboten. Für sie und ihren Freund Peter (Pilou Asbæk) ist das Angebot verlockend, denn ein Leben in New York bedeutet für beide die Erfüllung eines großen Traums. Als Ditte erfährt, dass sie schwanger ist, entscheidet sie sich konsequent, wenn auch schweren Herzens, für eine Abtreibung, denn der zeitintensive Job in New York ließe sich nicht mit einem Kind vereinen.

Nur kurze Zeit später wird bei Dittes Vater Rikard (Jesper Christensen), der erst kürzlich von einer Krebserkrankung geheilt wurde, ein inoperabler Hirntumor festgestellt. Ihm bleiben nur noch wenige Monate zu leben. Ditte muss nun eine für sie unmögliche Wahl treffen: Ergreift sie die vielleicht einzige Möglichkeit, ihren Lebenstraum zu verwirklichen, oder steht sie ihrem Vater in der ihm noch verbleibenden Zeit zur Seite? Hinzu kommt Rikards Erwartungshaltung, nach der die Tochter nach seinem Tod das Familienunternehmen übernehmen soll. Die renommierte Bäckerei Rheinwald genießt als Hoflieferant des dänischen Königshauses im ganzen Land großes Ansehen. Doch für Ditte ist es vollkommen unvorstellbar, ihre eigenen Ziele aufzugeben. Und so wird das innige Verhältnis zwischen Vater und Tochter auf eine harte Probe gestellt.

Frauen

"Eine Familie" ist mit seinen vielfältigen Frauenrollen in erster Linie ein Film über beeindruckende Frauen. Da gibt es nicht nur Ditte, die mutig Entscheidungen trifft, weil sie weiß, dass diese getroffen werden müssen, auch wenn sie selbst oft unter ihnen leidet. Die Abtreibung beispielsweise ist für sie im Nachhinein keineswegs leicht zu verkraften, besonders, da auch Peter, der das Kind gerne bekommen hätte, ihr Vorwürfe macht.
Da ist aber auch Sanne (Anne Louise Hassing), Rikards zweite Ehefrau, die ihrem sterbenden Mann bei aller Fürsorge die Stirn bietet, wenn dieser in Verbitterung und Wut über sein hartes Schicksal die Fassung verliert. Sie zeigt ihre Grenzen auf, wenn die Situation für sie unerträglich wird und verliert dennoch nie ihre beiden noch jungen Kinder Line (Coco Hjardemaal) und Vimmer (Gustav Fischer Kjærulff) aus dem Blick.
Auch Dittes jüngere Schwester Chrisser (Line Kruse) zeigt Tapferkeit, setzt sie sich doch ohne Bitterkeit und Vorwürfe mit der spürbar schmerzlichen Erfahrung auseinander, vom eigenen Vater nie so sehr geliebt worden zu sein wie die Lieblingstochter Ditte. Und schließlich ist da noch Rikards jüngste Tochter, die erst 12-jährige Line, die letztlich, obwohl sie selbst fast an der unerträglichen Situation zerbricht, ihrem jüngeren Bruder Vimmer Unterstützung und Zuwendung bietet. Indem sie die Frauen einer Familie auf verschiedenen Stationen ihres Lebens darstellt, gelingt Pernille Fischer Christensen ein Querschnitt eines Lebenslaufs, der den Umgang mit dem Sterben in unterschiedlichen Lebensphasen zeigt.

Familie

Der Film bringt ein ambivalentes Verständnis von Familie zum Ausdruck: Einerseits stellt die Familie für die meisten Menschen einen Ort der Nähe, Liebe und Heimat dar. Familienmitglieder sind oft die Menschen, die uns am besten kennen und mit denen wir selbst den offensten Umgang pflegen.
Auf der anderen Seite ist Familie aber auch etwas, das man/frau sich nicht aussuchen kann, in das man/frau hineingeboren wird. Von Geburt an wird jeder Mensch so mit bestimmten Normen, Vorstellungen und Erwartungen konfrontiert und meist lebenslang von ihnen geprägt. Diese Ambivalenz zeigt sicht deutlich im Generationenkonflikt zwischen Rikard und Ditte. Für den Vater ist die Tradition und das Fortbestehen des Familienbetriebs als Existenz- und Identitätsgrundlage das Wichtigste im Leben. Die moderne Tochter Ditte hingegen hat sich ihre eigenen Ziele gesetzt und verfolgt eine unabhängige Lebensplanung. Auch wenn sie ihre Familie über alles liebt, kann sie nicht die Freiheit, ein eigenes Leben zu führen, den Erwartungen des traditionsbewussten Vaters opfern.

Bildsprache

Zu Beginn ist alles bunt und von Licht durchflutet. Die Bilder zeigen die wärmende Sommersonne, den schönen Garten der Familie, Erdbeerkuchen und die farbenfrohen Kunstwerke in Dittes Galerie - Metaphern für Dittes bislang so sorglos verlaufenes Leben.
Mit Beginn von Rikards Krankheit verdunkelt sich die Stimmung zunehmend, die Farben und die Wärme verschwinden, bis es schließlich fast immer Nacht ist. Auf drastische und unmissverständliche Weise zeigt Pernille Fischer Christensen so, wie sich das durch die Krankheit hervorgerufene Leid wie ein dunkler Vorhang über die Familie legt. Als der Vater stirbt, erhellt ein Sonnenstrahl das Gesicht von Chrisser. In fast schon biblischem Ausmaß wird so verdeutlicht - es ist vorbei, überstanden, es kann einen Neuanfang geben.

Erzählweise

Pernille Fischer Christensen erzählt ihren Film auf leise, zurückhaltende Art und Weise. Dabei wird oft mehr mit Blicken gesprochen als mit Worten, in diesen zeigt sich die Wut des Vaters, die Liebe der Ehefrau, die Verzweiflung der Tochter und die Enttäuschung des Freundes. Die großartige Musik der dänischen Country-Band Cody trägt ihren Teil bei und macht die Gedanken und Emotionen der ProtagonistInnen auch ohne Worte greifbar.

Die Regisseurin hat sich mit ihrer Erzählweise in erster Linie dem Realismus verschrieben. Ohne zu beschönigen, vor allem aber ohne zu romantisieren, zeigt sie den langsamen Tod des Vaters in all seinem Grauen für alle Beteiligten. Ihr Film macht auf wohltuende Weise sichtbar, dass eine weniger radikale Darstellung des Todes schlichtweg keinen Sinn macht, weil sie nicht der Realität entspricht. Dass Pernille Fischer Christensen auf so unsentimentale, realitätsgetreue Weise vom Leben und Sterben in einer Gemeinschaft erzählt, macht "Eine Familie" zu einem tief ergreifenden Film der viel Wahrheit in sich trägt.

AVIVA-Tipp: "Eine Familie" ist eine tragische und doch hoffnungsvolle Geschichte über das Leben in Gemeinschaft. Das Drehbuch glänzt durch genau ausgearbeitete, facettenreiche Charaktere und Handlungsstränge. Pernille Fischer Christensens berührende Erzählweise, die ohne jegliche Rührseligkeit und Klischees auskommt, ist ihr von allen Leistungen, die sie mit diesem großartigen Film erbracht hat, am höchsten anzurechnen.

Eine Familie
Dänemark 2010
Regie: Pernille Fischer Christensen
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson, Pernille Fischer Christensen
Produktion: Vinca Wiedemann, Sisse Graum Jørgensen
DarstellerInnen: Jesper Christensen, Lene Maria Christensen, Pilou Asbæk, Anne Louise Hassing, Coco Hjardemaal, Gustav Fischer Kjærulff, Line Kruse
Verleih: TOBIS Film
Lauflänge: 102 Minuten
Kinostart: 3. März 2011
FSK: ab 12 Jahren

Weitere Infos zum Film finden Sie unter:

www.einefamilie-derfilm.de

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Beitrag vom 02.03.2011

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