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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 17.03.2008


Deutschland, gefühlte Heimat
Britta Leudolph

Hier zu Hause und trotzdem fremd!? Elke Reichart hat zwölf Jugendliche mit Migrationshintergrund getroffen, um mit ihnen zu sprechen und sie von ihrem Alltag in Deutschland erzählen zu lassen.




Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland und das wird so langsam auch den Deutschen klar. So hat heute jede(r) vierte Jugendliche einen Migrationshintergrund. Der Begriff "Migrationshintergrund" ist eine Definition des Statistischen Bundesamtes und meint "zugewanderte Ausländer", "in Deutschland geborene Ausländer", "Deutsche mit ausländischen Vorfahren" und "Spätaussiedler".

Elke Reichart hat zwölf junge Menschen getroffen, die selbst oder deren Eltern aus zehn unterschiedlichen Nationen eingewandert sind. In Form von Interviews, Reportagen oder Erfahrungsberichten gibt sie einen Einblick in die Lebenswelt ausgewählter junger MigrantInnen.

So trifft sie zum Beispiel die 25jährige Sineb El Masrar aus Dortmund, deren Eltern aus Marokko stammen. Sineb gibt das multikulturelle Frauenmagazin "Gazelle" heraus, das sich vor allem an MigrantInnen richtet.
Sie berichtet von den Schwierigkeiten ihrer Eltern, sich in Deutschland zu integrieren und den Folgen: schon sehr früh musste sie Verantwortung übernehmen und ihrer Mutter in vielerlei Hinsicht behilflich sein: organisieren, Briefe übersetzen, der Mutter die deutsche Welt erklären.
Die Idee für die "Gazelle" kam Sineb El Masrar, als sie während ihrer Ausbildung das erste Mal andere Migrantinnen kennen lernte. Sie wollte eine Zeitschrift machen, "[...] die ganz speziell Migrantinnen anspricht, die genau jene Informationen und Identifikationshilfen bietet, die ihr selbst und auch den anderen immer gefehlt hatten."

Elke Reichart schreibt in ihrem Vorwort: "[...] die Auswahl der Protagonisten für dieses Buch erfolgte nicht nach dem Klischee `geglückte / missglückte Integration´, ich habe nicht nach Opfern gesucht und nicht nach den spektakulären Gewinnern unter den Migranten. Mich hat viel mehr interessiert, warum diese jungen Menschen oder ihre Eltern die alte Heimat verlassen haben, wie sie bei uns empfangen wurden, welche Entwicklung sie genommen haben, und schließlich, ob Deutschland ihre gefühlte Heimat geworden ist. [...] Zwölf Geschichten, die für Deutschlands junge Migranten stehen."

Leider hat sie ihr Ziel verfehlt.
Zehn der hier Portraitierten haben ihr Abitur abgelegt oder sind auf dem Weg dort hin. Dies steht im krassen Gegensatz zur Realität, sind AbiturientInnen in diesem Buch doch deutlich überrepräsentiert. So schlossen in 2004 gerade mal zehn Prozent der Mädchen und acht Prozent der Jungen mit Migrationshintergrund eines Jahrgangs die Schule mit der Hochschulreife ab. Weitere Infos zum Download unter: www.bildungsbericht.de

Das Buch enthält ein Vorwort von Gerald Asamoah und einen Anhang mit hilfreichen Adressen.

Zur Autorin: Elke Reichart absolvierte die Deutsche JournalistInnenschule, arbeitete bei Tageszeitungen, beim ZDF und als freie Journalistin in Südafrika. Sie ist verheiratet und lebt heute mit ihrer Familie bei München. Von ihr erschien - gemeinsam mit Andrea Hauner - der Band "Bodytalk. Der riskante Kult um Körper und Schönheit"

Zur Fotografin: Doris Katharina Künster studierte visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seit 1985 gestaltet sie als freie Fotografin und Grafikerin Buchumschläge, Plakate sowie CD-Cover und illustrierte Bücher.

Gerald Asamoah ist Fußballprofi und Spieler der deutschen Herren-Nationalmannschaft. Er wurde in Ghana geboren und lebt seit 1990 in Deutschland.

AVIVA-Tipp: Elke Reichart hat zwölf interessante Erfahrungsberichte junger Menschen mit Migrationshintergrund zusammengetragen. Allerdings sind Ihre ProtagonistInnen überdurchschnittlich erfolgreich und spiegeln so nicht die typische Alltagswelt junger Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Die Autorin ist unglücklicherweise an einigen Stellen sprachlich ungenau, beispielsweise wenn sie den aus Kasachstan zugewanderten Stefan als Ausländer bezeichnet, obwohl er ihr im Gespräch erzählt, dass schon immer "deutsch" in seinem Pass stand. Richtig ärgerlich wird es, wenn die Autorin unbedachte Fremdzuschreibungen verwendet: "[...] auch Isabella mit ihren hohen Wangenknochen, dunklen Augen, heller Haut sieht aus wie eine moderne Indianerin." Gerade im Hinblick darauf, dass sich dieses Buch vornehmlich an SchülerInnen, LehrerInnen und Bildungseinrichtungen richtet, sollte dies vermieden werden.

Deutschland, gefühlte Heimat
Hier zu Hause und trotzdem fremd?!
Reichart, Elke

Mit einem Vorwort von Gerald Asamoah
Mit Fotos von Doris Katharina Künster
Dtv, Reihe Hanser, erschienen April 2008
176 Seiten
ISBN 978-3-423-62347-6
8,95 Euro
ab 14 Jahre


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Beitrag vom 17.03.2008

Britta Leudolph