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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 19.12.2013


Franziska zu Reventlow - Von Paul zu Pedro. Amouresken
Lea Albring

Ihren Spitznamen "Skandalgräfin" verstand "Fanny" zu Reventlow bisweilen als Kompliment, bewusst und eigensinnig führte sie ein Leben, das nicht nur aus dem Rahmen, sondern aus der Zeit fiel. So...




... verbergen sich hinter dem amüsanten Plauderton ihres Briefromans essenzielle (Selbst-)Erkenntnisse, die mit visionärer Strahlkraft düstere Rollenklischees und antiquierte Lebensmodelle ausleuchten – und das bis in die Gegenwart hinein.

Ein rebellischer Geist

"Treue ist vielleicht eine besondere Begabung, ein Talent. Wie kann man Talent von jemand verlangen, der es nicht hat? Aber ich meine, es lässt sich durch Takt und Diskretion ersetzen." Nicht nur in Bezug auf Liebesdinge war die Autorin und Pragmatikerin, die hauptsächlich schrieb, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, auf ganzer Linie unkonventionell. Als rebellischer Freigeist konnte sie den biederen Moralvorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts genauso wenig abgewinnen wie ihrer Herkunft aus hohem Hause. Strikten Verhaltensregeln und dem Gefängnis der Etikette entkam sie in Münchener KünstlerInnen- und Bohemienkreisen – zunächst. Schon bald stieß sie, die aus ihren wechselnden Männerbekanntschaften nie einen Hehl machte, auch hier auf paradox definierte Toleranzgrenzen, die sie in ihrer Freiheit beschnitten: "[D]er schlechte Ruf verpflichtet. Man kann sich so vieles nicht leisten, was eine unbescholtene Frau ruhig tun darf. Jedes männliche Wesen, mit dem man über die Straße oder ins Restaurant geht, wird einem aufgerechnet. Sind es zufällig vier oder fünf an einem Tag, so werden alle vier oder fünf gebucht."

Süffisante Hellsichtigkeit

Die Zitate stammen aus dem stark autobiografisch geprägten Briefroman "Von Paul zu Pedro" (1912), in dem die Bohemienne hinter der Fassade der Fiktion resolut und bestimmt ihre Ansichten zu Liebe, Erotik und Männern vertritt. Sie kokettiert mit einer Typologie des Mannes, wenn sie kategorische zwischen der "Begleitdogge", dem "Rettertypus" und dem verheißungsvollen "Fremden" unterscheidet. Ihre frappierende Offenheit kleidet sie in die Süffisanz des Plaudertons, der sich irgendwo zwischen nüchternem Pragmatismus, spitzzüngiger Übertreibung und einer besonderen Hellsichtigkeit verortet: "Also, er ist fort – zu seiner Frau und seinen Kindern. Lächeln Sie nicht so niederträchtig, ich kann doch nichts dafür, daß alle möglichen Leute Frau und Kinder haben. Man darf schon froh sein, wenn sie sich nicht scheiden lassen wollen, um einem ´fürs Leben anzugehören´."
Das nur implizit vorkommende Gegenüber, vom schreibenden Ich zärtlich als "Konversationsliebe" und "Freund meiner Seele" bezeichnet, ist übrigens an die Person des Schriftstellers Franz Hessel angelehnt. Gemeinsam mit ihm und ihrem damaligen Mann, Baron Bohdan von Suchocki, lebte Franziska zu Reventlow zwischen 1903 und 1906 in der legendären Münchener KünstlerInnenwohngemeinschaft "Eckhaus" – und das ist nur einer von vielen Belegen für die äußerst unzeitgemäße Geisteshaltung der Gräfin, die weit über den literarischen Rahmen hinausreichte.

AVIVA-Tipp: Selbstironisch, ehrlich und noch immer brandaktuell: Franziska zu Reventlow trifft in ihren Amouresken einen Ton, der im 21. Jahrhundert kaum an Gültigkeit verloren hat. Egal ob triviale Beobachtung ("Ich habe ihn wirklich geliebt, aber seine farbenfrohen Krawatten kosteten mich meine Seelenruhe") oder tiefgründige Reflexion über Beziehungs- und Lebensmodelle – an keiner Stelle wird der Briefroman über die Liebe beliebig. Ganz im Gegenteil: Die Einzigartigkeit einer mutigen und lebensklugen Frau schreibt sich ihm vom ersten bis zum letzten Wort ein.

Zur Autorin: Franziska zu Reventlow wurde 1871 als fünftes von sechs Kindern in eine protestantische Adelsfamilie geboren und litt schon früh unter ihren konservativen Eltern. Ihr eigenwilliges und künstlerisches Gemüt trieb sie nach ungewollten Irrwegen durch Mädchenanstalten und Pfarrershäusern 1893 nach München, um sich zur Malerin ausbilden zu lassen. Zeit ihres Lebens hatte die von ihrer Familie verstoßene Gräfin mit Geldproblemen zu kämpfen, zweimal versuchte sie ihre wirtschaftlichen Probleme durch Heirat zu lösen. Sie arbeitete als Schriftstellerin, Malerin, Glaskünstlerin und als Prostituierte – letzterem gewann sie einen besonderen Reiz ab. Das Schreiben an ihren Büchern "Ellen Olestjerne" (1903), "Herrn Dames Aufzeichnungen" (1913) oder "Der Geldkomplex" (1916) empfand sie, wie jede andere Arbeit, immer als notwendiges wirtschaftliches Übel. Sie kämpfte ihr Leben lang mit schwerer Krankheit, Klinikaufenthalten und Fehlgeburten, im Alter von 47 starb sie an den Folgen eines Fahrradunfalls. Bereits ihr Zeitgenosse und Verehrer Rainer Maria Rilke bemerkte, das Leben der Franziska zu Reventlow sei "eins von denen, die erzählt werden müssen."
(Quellen: AVIVA-Rezension zur Biographie von Franziska zu Reventlow, FemBio Frauen-Biographieforschung e.V.)

Franziska zu Reventlow
Von Paul zu Pedro

Edition Ebersbach, in der Reihe "blue notes", erschienen Juni 2013
Gebunden, 128 Seiten
ISBN: 978-3-86915-079-6
15, 80 Euro
www.edition-ebersbach.de

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Beitrag vom 19.12.2013

AVIVA-Redaktion