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Beitrag vom 21.03.2014
Margaret Atwood - Die Geschichte von Zeb
Lea Albring
Nicht umsonst gilt sie als DIE Mahnerin unserer Zeit: Im letzten Band ihrer Endzeit-Trilogie beschreibt Atwood intelligent und witzig die finale Episode einer postapokalyptischen Welt, die schon ...
... heute laut an die Türen der Gegenwart klopft. Folgerichtig wurde auch ihre Lesung in der Kanadischen Botschaft am vergangenen Montag (17. März 2014) zur Bühne für den scharfsichtigen Humor und die Intelligenz der 74-Jährigen.
Eine technoide Welt geht vor die Hunde
Ffffff. Ffffffffffffffff. Nein. Das Pusten ist nicht zu hören. Das Mikrofon funktioniert nicht.
Von der Technik im Stich gelassen – ein solcher Beginn für eine Lesung, in der es ausgerechnet um Fortschrittskritik gehen wird, ist fast schon zu plakativ.
Kurz scheint Atwood zu überlegen, ob sie den schnellen Lacher mitnehmen soll. Sie entscheidet sich, wer mag es ihr verübeln, dafür, legt den Kopf auf die Seite und seufzt mit gespielter Larmoyanz: "Oh, technology".
Ganz genau – Oh, technology! Die hat es bei der Kanadierin nämlich in sich. Und deshalb hinkt der Mikrofon-Vergleich, vielleicht auch deshalb die Scheu vor dem schnellen Lacher. Denn: In der atwoodschen Fiktion sind es nicht die technischen Lappalien und Alltagsproblemchen, sondern gravierende Fehlentwicklungen einer technoiden Gesellschaft, die die Welt zugrunde gerichtet haben. Vor der finalen Katastrophe – einer künstlich erzeugten Pandemie zur Ausrottung der Menschheit – wurden Moral und Ethik vom wissenschaftlichen Fortschritt und den unerbittlichen Mechanismen des Marktes einfach überrollt: "Es war ein Riesengeschäft, unterstützt von den Bio-Konzernen. Die Leute haben astronomische Summen für diese Genspleißungen hingelegt. Die haben sich ihre Kinder nach ihren Wünschen zuschneiden lassen, sich DNA bestellt wie andere Pizza".
Die Craker – Supermenschen mit blauen Riesenpenissen
Die vorläufig letzte Stufe der genetischen Menschenzüchtung sind die Craker. Im Labor erzeugt, sind sie, "[d]ie nackten Freaks, die Crake gebastelt hat", eine Art Supermensch. Und das ausgerechnet deshalb, weil sie ohne zentrale menschliche Züge, Charakteristika und Hinfälligkeiten konzipiert sind: "Crake wollte keine Aggression, nicht mal Humor. Das sind wandelnde Kartoffeln."
Die Geschichte von Zeb beginnt mit einem Dialog zwischen den kindlich-naiven Crakern, die zwar sprechen können, aber zur Abstraktion nicht fähig sind, und Toby. Toby, die im Gegensatz zu den resistenten Supermenschen zu einer kleinen Gruppe von `richtigen´ Menschen gehört, die die Pandemie überlebt haben und einer anarchischen und gefährlichen Welt trotzen, hat eine besondere Beziehung zu den friedlichen Laborgeschöpfen, die sie mit Neugierde studiert: "Sie hatten alle Farben – Braun, Gelb, Schwarz, Weiß – und alle Größen, aber jeder für sich war vollkommen. Die Frauen lächelten gelassen, die Männer waren im vollen Brunftmodus mit Blumen in der Hand, und ihre nackten, idealisierten Körper sahen aus wie aus einem Comic für Vierzehnjährige, jeder Muskel definiert, jedes Muskelspiel ein Schimmern. Sie wedelten wie freundliche Hunde mit ihren leuchtend blauen und unnatürlich großen Penissen".
Unfassbar gute Literatur
Es ist kaum möglich, die Komplexität und Themenvielfalt, und das gilt für den dritten Teil genauso wie für den gesamten Zyklus der MaddAddam-Trilogie, auf einen Nenner zu bringen. Oryx und Crake, Das Jahr der Flut und Die Geschichte von Zeb können sowohl als anthropologische, soziologische, philosophische, theologische und bisweilen auch feministische und kapitalismuskritische Bücher gelesen werden. Sie sind zugleich Abenteuer- und Liebesroman, Dystopie und – trotz des düsteren Sujets – auch Komödie.
Atwoods schriftstellerisches Können, ihr geschicktes Spiel mit Erzählmodi und Rückblenden, kreiert eine einzigartige, immerwährende Spannung. Nicht zuletzt die perspektivische Varianz, aus der die Liebesgeschichte zwischen Toby und Zeb, einem Draufgänger mit gutem Herzen, geschildert wird, macht das Buch so besonders.
Und so gibt es ihn doch, den großen gemeinsamen Nenner für die drei Romane der Endzeit-Saga: Sie sind schlicht unfassbar gute Literatur, die unglaublich schlau unterhält. Poetologische Reflexionen – also das implizite Theoretisieren über Literatur in der Literatur – sind nur wenige von unzähligen Beispielen für die herausragende literarische Qualität des Textes: "Es gibt die Geschichte, dann gibt es die wahre Geschichte, und dann gibt es die Geschichte, wie es zum Erzählen der Geschichte kam. Dann gibt es noch das, was man weglässt. Und auch das gehört zu der Geschichte." Immer wieder tauchen solche hellsichtig-schlichten Wahrheiten im Roman auf.
"I invented nothing"
Auch im letzten Teil ihrer dystopischen Trilogie seziert Margaret Atwood mit großem analytischen Verstand den Zeitgeist, um ihn als Worst-Case-Szenario zu reanimieren. Während der Lesung betont die Autorin – "I invented nothing" – wiederholt die realweltliche Anbindung der vermeintlich obskuren Phantasiewelt, in der es neben Crakern und Mischwesen wie Löwämmer und Luxkatzen auch Tier-Mensch-Kreuzungen wie Organschweine oder Mo´Hairschafe gibt.
Am Ende des Buches, in der Danksagung, macht sie deutlich, wie dieses `Nichterfinden´ zu verstehen ist: "Obgleich `Die Geschichte von Zeb´ ein fiktionales Werk ist, gibt es darin keine Technologien oder Biowesen, die nicht bereits existieren, sich im Bau befinden oder theoretisch möglich wären."
AVIVA-Tipp:Die Geschichte von Zeb ist ein denkwürdiges Buch, die Lesung von Margarete Atwood war ein denkwürdiger Abend.
Die rasante technologische Entwicklung und ihre Folgen für das Individuum, die Gesellschaft und in letzter Konsequenz für die ganze Welt, sind die Kardinalsthemen der scharfsinnigen und überaus lesenswerten MaddAddam-Trilogie. Bemerkenswert ist, dass die Autorin nie Pauschalkritik übt. Sie betrachtet die Dinge differenziert und schafft das Kunststück, leichtfüßig und humorvoll zu mahnen.
Als sie am Ende der Lesung gefragt wird, wie sich denn ihre Online-Präsenz bei Twitter mit ihrem Technik-Skeptizismus vertrüge, gibt sie vielleicht die wunderbarste Antwort, die frau überhaupt geben kann: "I owe it to the young to try ist all out. I have nothing to lose." Margaret Atwood hat keine Angst vorm Fortschritt. Sie gibt nur zu bedenken, dass das Wie? des Fortschritts vehement hinterfragt werden muss. Ihr neues Buch erzählt eindrucksvoll davon.
Zur Autorin: Margaret Atwood, 1939 in Ottawa geboren, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Die Autorin von Der Report der Magd (1985) wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Man Booker Prize, dem kanadischen Griller Prize und dem Prinz-von-Asturien-Preis. Gegenwärtig schreibt sie unter anderem an einer modernen Version von Shakespeares Der Sturm, die 2016, anlässlich des 400. Todestages des Dramatikers, erscheinen soll. Woran sie noch arbeite, wollte Atwood allerdings nicht verraten und gab zu bedenken: "What if I don´t manage to finish my projects?"
(Quellen: Verlagsinformationen und Lesung in der Kanadischen Botschaft am 17.03.)
Die Autorin im Netz:
www.margaretatwood.ca
Margaret Atwood
Die Geschichte von Zeb
Originaltitel: MaddAddam
Deutsch von Monika Schmalz
Berlin Verlag, erschienen 10.03.2014
480 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-8270-1172-5
22, 99 Euro
www.berlinverlag.de
Diesen Titel können Sie online bestellen bei FEMBooks
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