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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 11.07.2014


Rengha Rodewill - Hoheneck. Das DDR-Frauenzuchthaus. Dokumentarische Erkundung in Fotos mit Zeitzeugenberichten und einem Vorwort von Katrin Göring-Eckardt
Dorothee Kröger, Sharon Adler

Jail house feeling? Nach einer solch geschmacklosen Missachtung der Opfer Hohenecks ist Rodewills respektvolle Zusammenführung von Wort und Fotografie umso bedeutender. Erdrückend klar gedenkt ...




... ihr Projekt der Haftbedingungen politisch gefangen genommener Frauen. Die Fotografin setzt den mit "Bautzen II" begonnenen Beitrag zur Erinnerungskultur fort.

Der Erfahrung von Menschenrechtsverletzung gibt die Fotografin, Malerin und Tänzerin Rengha Rodewill einen fotografischen Erzählraum. Ihren Aufnahmen zur Seite stehen Zeitzeuginnenberichte damals inhaftierter Frauen.
Im Ansatz beschreibt dies ihre Motivation der im Mai 2014 erschienen fotografischen Dokumentation. Ein Jahr nach der Veröffentlichung von "Bautzen II. Dokumentarische Erkundung in Fotos mit Zeitzeugenberichten mit einem Vorwort von Gesine Schwan" ist ein neuer Bildband erschienen, der das Vergessen zu überwinden sucht. Schwarz-Weiß Fotografien und Zeitzeuginnenberichte schließt Rodewill darin zusammen. Sie möchte die LeserInnen mit dieser 2012 begonnen Arbeit zur einer Abkehr von der "behaglichen Betrachterrolle" anregen, wie Katrin Göring-Eckardt in ihrem Vorwort schreibt. Hoheneck, exemplarischer Ort des Unrechtsystems der DDR, wird mit diesem Band noch einmal zum Schauplatz. An ihm lässt sich heute lediglich Leere einfangen, die einen Eindruck der lange vorherrschenden Gewalt in sich trägt. Eine Bedrängnis entsteht beim Betrachten der Dokumentation. Hier zeigt sich eine Erfahrung von Gewalt, dessen historische Distanz mit diesem Projekt der eindrucksvoll überwunden wird.

Ein Ort, an dem Frauen zu gezählten Objekten von Rechtslosigkeit, Psychoterror und Willkür wurden

Das seit 2001 geschlossene Foltergefängnis Schloss Hoheneck blickt historisch bis ins Mittelalter zurück. Angaben über die Nutzung im Zeitraum 1933-1945 variieren. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension hat die AVIVA-Redaktion jedoch keine Rückmeldung von der entsprechenden Kontaktstelle erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) übernommen, zeichnete sich die Hölle der Frauen besonders stark durch Überbelegung der Zellen und die dadurch bedingten drakonischen Hierarchieverhältnisse aus. Ein für 600 Häftlinge angelegtes Gefängnis wurde in den 1970er Jahren mit bis zu 1600 Insassinnen belegt.

Grund für eine Inhaftierung war nach 1970 in den meisten Fällen das Streben nach Freiheit: Geplante Republikflucht, Kontakte mit Personen im Westen, aber auch bereits der Anspruch, sich frei zu äußern. Diesen "Taten" bezichtigte Frauen wurden zusammen mit nichtpolitischen Schwerverbrecherinnen inhaftiert, deren Machtspielen und Vergewaltigungen sie damit ausgesetzt waren - eine "problematische Mischung der Gefangenen", wie es die ehemals Inhaftierte Heidrun Breuer beschreibt. Permanent der Unterdrückung ausgesetzt, wurden die politisch Gefangenen zu zählbaren Objekten. Unterstrichen wird diese Form der Erniedrigung durch die zwischen 1963 bis 1989 getätigten Devisengeschäfte zwischen DDR und BRD: Es bestand die Möglichkeit, Insassinnen von der BRD freikaufen zu lassen. Ein Geschäft, mit dem die DDR circa 34.000 Häftlinge für 3,5 Milliarden D-Mark verkaufte.

Die dokumentarischen Schwarz-Weiß-Erkundungen zeigen triste Gänge, meist geschlossene Türen, Metall und Rohre, verwitterte Wände, und den Blick durch Fenster nach draußen. Dieses Draußen war für die inhaftierten Frauen unzugänglich. Die Perspektive der Künstlerin hingegen ist die einer Beobachterin. In der dokumentarischen Erkundung vereint Rodewill diese zwei Blickwinkel.
Die Erzählungen der Zeitzeuginnen stehen nicht nur neben den Fotografien. Durch den Einblick in das Erfahrene der Frauen werden die kargen Räume der Fotografien mit deren Erinnerungen verschränkt. Berichtet wird von Haftbedingungen, Gewalt und Indifferenz der Wächterinnen, Familienverhältnissen und Verlust, aber auch von der unterschiedlichen Darstellung politischer Realität: Eine der Fotografien Rodewills zeigt ein Propagandaplakat mit der Aufschrift "Für unsere Sicherheit".

Den Zeitzeuginnen ist es ein Anliegen, mit ihren Worten beschönigende Haftdarstellungen zu entlarven, welche sie auch heute noch in der "Ostalgie" wiederfinden. Aus ihren Berichten spricht der Mut, sich für das Recht auf Freiheit einzusetzen. Es geht ihnen darum, sich aus dem Objekt-Status, der ihnen durch das DDR-System auferlegt wurde, zu lösen und als Subjekt ihre persönliche Geschichte zu erzählen.

Seit Anfang 2014 ist das Gefängnis Hoheneck eine Gedenkstätte. Das Recht auf Achtung und Würde wurde 2004 verletzt durch das ökonomisierende Vorhaben der Artemis GmbH, einen Erlebnistourismus im ehemaligen Frauenzuchthaus Hoheneck einzurichten. Ziel war es, "einzigartige Übernachtungsangebote in ehemaligen Zellen, Nachtprogramm mit Musik und Show und Knastfrühstück" anzubieten. Ein solch geschmackloses, provozierendes und trivialisierendes Vorhaben wurde durch Opferverbände und der Internationalen Gemeinschaft für Menschenrechte (IGFM) vehement kritisiert und verhindert. Karl Hafen, Mitglied des vertretungsberechtigten Vorstandes des IGFM, betonte: "Wir können von den heute noch lebenden ehemaligen politischen Häftlingen nicht verlangen, sich allein gegen diese Unverschämtheit mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht zu wehren. Darum müssen wir uns vor sie, zumindest an ihre Seite stellen."

Das dokumentarische Projekt Rodewills ist ein solcher Beistand, eine Möglichkeit der Äußerung und berechtigter Aufmerksamkeit: Die Fotografien und Zeitzeuginnenberichte zeigen ein ungemütliches, distanziert-ergreifendes und notwendiges Bild eines Unrechtsystems, welches danach strebt, sich der Gefahr des Vergessens zu verweigern.

Das Vorwort Katrin Göring-Eckardts, der derzeitigen Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen weist auf die Aktualität des Bandes hin: "Die Gefangenen von Hoheneck, über die wir in diesem Buch eindringliche Porträts lesen können, wollten nichts anderes als frei sein. (...) Für die heutige Generation der Erasmus-Studenten und Easyjet-Touristen muss das klingen wie aus dem Mittelalter. Auch weil die Fotografien schwarzweiß sind, kann der – psychologisch entlastende – Eindruck entstehen, das alles sei ja schon ewig her."

AVIVA-Tipp: Rengha Rodewills dokumentarische Fotografie knüpft nach Bautzen II an ihren Beitrag zur Erinnerungskultur an. Auch diese Arbeit der Fotografin regt dazu an, das eigene Freiheitsverständnis zu überdenken. Die Aufnahmen aus Hoheneckgeben vielmehr einen Eindruck als konkret greifbare Erklärungen. Rodewills fotografische Beobachtungen verweisen somit auf eine Realität, die durch die Zeuginnenberichte textuell greifbarer wird. Es entsteht ein der Vergangenheit zugehöriges Bild, das jedoch hoch aktuell ist. Gerade im Kontext der politischen Ereignisse und Debatten bezüglich Geflüchteter in Berlin, Deutschland und Europa ist Rodewills Beitrag nicht nur der vergangener Missstände.

Zur Fotografin: Rengha Rodewill wurde in Hagen/Westfalen geboren, absolvierte eine Ausbildung im klassischen Ballett und reiste nach ihrem Grafik- und Malereistudium zwecks Studienaufenthalten nach Italien und Spanien. 1978 zog sie von Hagen nach Berlin und arbeitet hier als Fotografin, Malerin und Tänzerin. Seit 1987 betreibt die Künstlerin ein Atelier, das sie 1998 nach Potsdam-Babelsberg verlegte. Das Mitglied des Berufsverbands Bildender Künste Berlin (BBK) hat ihre Werke mehrfach ausgestellt. 1997 erfand sie mit der Kunsthistorikerin Renate Bergerhoff den Begriff des "Dance Painting". Von 2000-2011 stand sie im künstlerischen Austausch mit der Lyrikerin Eva Strittmatter.
Ihre fotografische Arbeit zeichnet sich durch ein Miteinander von Bild, Konzept und Botschaft aus. Ihre Werke werden im In-und Ausland ausgestellt. Sie befinden sich im Privatbesitz und Sammlungen.
Mehr Infos und Kontakt: www.rengha-rodewill.com
(Quelle: Verlagsinformation)

Rengha Rodewill
Hoheneck. Das DDR-Frauenzuchthaus. Dokumentarische Erkundung in Fotos mit Zeitzeigenberichten und einem Vorwort von Katrin Göring-Eckardt

Vergangenheits Verlag, erschienen Mai 2014
Hardcover, 200 Seiten
ISBN: 978-3-86408-162-0
22,90 Euro
www.vergangenheitsverlag.de

Weitere Informationen unter:

Gefängnis Schloss Hoheneck www.hoheneck.com

DDR Frauengefängnis Hoheneck. "Wir wurden wie Abschaum behandelt", ein Radiobeitrag auf WDR 3.

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Beitrag vom 11.07.2014

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