Lizzie Doron - Who the Fuck Is Kafka? - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 23.03.2015


Lizzie Doron - Who the Fuck Is Kafka?
Sharon Adler

Die israelische Schriftstellerin, die sich in ihren Werken wie "Ruhige Zeiten" und "Das Schweigen meiner Mutter" literarisch vor allem mit der Auseinandersetzung um die Traumata der Shoah..




... -Überlebenden und der 2. Generation im Israel der 1950er Jahre verdient gemacht hat, erzählt in ihrer aktuellen Veröffentlichung von der problematischen Freundschaft einer Israelin aus Tel Aviv (Lizzie Doron) mit einem in Ost-Jerusalem lebenden Palästinenser (fiktiv: Nadim Abu Heni).

Lizzie Doron und ihr bereits im Februar 2015 bei dtv erschienenes Buch "Who the Fuck Is Kafka?" bekommt in diesen Tagen die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Die Schriftstellerin und Friedensaktivistin war Gast auf dem "Blauen Sofa" der Leipziger Buchmesse, ist in Interviews mit Deutschlandradio Kultur oder dem ARD zu hören und zu sehen. Kaum ein Medium, das dieses Thema nicht aufgegriffen hat. Kein Wunder, denn die Brisanz dieser Konstellation beschäftigt jüdische wie nicht-jüdische Medien gleichermaßen.

Doron erzählt von einer Freundschaft, die von Problemen belastet, aber dennoch intensiv und geprägt von Neugier auf die bzw. den anderen ist. Eine Freundschaft, die im italienischen Cinecittà ihren Anfang nahm, durch die Einladung einer Organisation, die israelische und palästinensische Friedensaktivist_innen zu einem dreitägigen Kongress eingeladen hatte. Aus drei Tagen wurden drei Jahre, in denen sich die Schriftstellerin und der Filmemacher miteinander auseinandersetzen und versuchen zu verstehen. Versuchen, einen Weg zu finden, auch wenn es schwierig ist. Und in dessen Mittelpunkt ein gemeinsames Projekt steht, ein Film und ein Buch – über das Leben des jeweils Anderen.

Besuche in Tel Aviv und Ost-Jerusalem wechseln sich ab, Treffen werden arrangiert und kurzfristig gecancelt, je nach politischer Situation, die alles bestimmt. Auch die Freundschaft der beiden, die sich dann doch bei Kaffee, Rührei oder Maqluba über alle Schwierigkeiten hinweg vorsichtig entwickelt.
Denn was für den einen Besatzung ist, stellt für die andere die tägliche Bedrohung durch Terroranschläge dar.

Und doch: Es tun sich Fragen auf, die so vorher nicht gestellt wurden. Dass das an die Substanz geht und unbequem ist, versteht sich von selbst.
Man will Verständnis haben für den anderen. Man bemüht sich. Darum, zu verstehen, zu begreifen und zu akzeptieren. Und doch. Man wird wütend. Ist enttäuscht und verletzt. Oder geschockt. Lizzie Doron konnte vor allen Dingen die Lage nicht nachvollziehen, in der sich die arabischen Frauen befinden. In einem früheren Interview mit AVIVA-Berlin im Jahr 2012 erzählte sie uns bereits von der Arbeit an diesem Buch und kritisierte diesen Zustand besonders: "(...)I think, that I had a problem, a very hard feeling towards the women status and women´s position in Arab society. His wife, who graduated university, and he´s a professor – she cannot sit with us for lunch! It was so shocking. I say that a society that humiliates, humiliate isn´t the word, that puts away women, will never achieve peace, because if you are not equal in your society, you cannot build a relationship with others."

Eben dieser Erfahrungsprozess ist in dem nun veröffentlichten Buch dokumentiert und er eröffnet bittere Erkenntnisse über Unverständnis und Nichtwissen. Ebenso aber auch schöne Momente, in denen der Wunsch nach Frieden stärker ist als enttäuschte Hoffnungen und verletzte Gefühle, als die Trauer über den Verlust getöteter Verwandten oder Freund_innen. Ein ständiges sich einander Annähern und voneinander Entfernen.

Und zum Schluss? Wir wissen es nicht.
Was bleibt, ist die Absurdität, das kafkaeske der Situation, der allgegenwärtige Konflikt und die Bedrohung.
Lizzie Doron plädiert für die 2-Staaten-Lösung, das Problem ist ihrer Meinung nach nicht die Lösung selbst, sondern der Weg dahin.
Keine von Idealismus, sondern von Logik geprägte Erkenntnis liefert zu Beginn der Reise nach Italien Dani, der (pragmatische) Ehemann der Autorin, ein Finanzberater, der beklagt, dass der Traum vom Frieden viel Geld kosten würde: "Du bist schon seit dreißig Jahren damit beschäftigt, ohne dass es etwas gebracht hätte. Wärst Du meine Klientin, hätte ich Dir schon längst geraten, den Laden dichtzumachen."

Dass dieses Buch in Deutschland, nicht aber in Israel auf hebräisch oder den arabischen Ländern auf arabisch erscheint, ist symptomatisch für die Situation, in der wir uns noch immer befinden. Vor allem aber, um Nadim und seine Familie vor der Hamas zu schützen, hat die Autorin der verzögerten Herausgabe des Buches in Israel zugestimmt. Aus demselben Grund hat sie signifikante biografische Details und Namen geändert.

Drohungen von der Hamas verhinderten bis heute auch, dass der Film realisiert werden konnte. Es kostete den Filmemacher Nadim Abu Heni einige Monate, bis er erkennen musste, dass er sich und seine Familie in große Gefahr bringen würde, dass er als Verräter angesehen würde, wenn er einen Film über "eine gute Israelin" machen würde.
Vor allem in Europa und besonders in Deutschland, wo Israel häufig als alleiniger Aggressor angesehen und verurteilt wird, sollte "Who the Fuck Is Kafka?" gelesen werden, um die Sicht beider Seiten zu zeigen.

AVIVA-Tipp: Das richtige Buch zur richtigen Zeit. Ein Engagement wie das von Lizzie Doron schafft ein Bewusstsein darüber, wie viel Arbeit noch vor uns liegt und dass es sich lohnt, hart dafür zu arbeiten.

Zur Autorin: Lizzie Doron, geboren 1953, lebte in einem Kibbuz auf den Golanhöhen, bevor sie Linguistik studierte und lehrte. 2003 wurde ihr Roman "Ruhige Zeiten" mit dem von Yad Vashem vergebenen Buchman-Preis ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Jeanette Schocken Preis - Bremerhavener Bürgerpreis für Literatur. In der Begründung der Jury heißt es: "Lizzie Doron ist eine israelische Schriftstellerin, die jenen eine Stimme gibt, die sie selber nicht erheben, die jenen Raum verschafft, den sie sich selber nicht nehmen könnten. Sie schreibt über Menschen, die von ´dort´ kommen, die den Holocaust überlebten und nun zu leben versuchen. In Israel. Fremd, schweigend, versehrt – und stets ihre Würde wahrend. Mit großer Behutsamkeit nähert die Autorin sich ihren Figuren und mit großem Respekt wahrt sie Distanz." "Warum bis Du nicht vor dem Krieg gekommen?", das erste Buch von Lizzie Doron, erschien 2004 im Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag. Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und Berlin.

Zur Übersetzerin: Mirjam Pressler wurde 1940 in Darmstadt geboren. Sie studierte an der Akademie für Bildende Künste in Frankfurt a.M. und in München. Nachdem sie ein Jahr lang in einem Kibbuz in Israel gelebt hatte, kehrte sie 1970 nach Deutschland zurück. In der Folgezeit verfasste sie mehr als 30 Kinder- und Jugendbücher und erhielt hierfür den "Deutschen Jugendliteraturpreis". Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin arbeitete Pressler als Übersetzerin. So verdanken ihr zahlreiche Originaltitel auf Hebräisch, Niederländisch und Englisch ihre Übersetzung, darunter Werke von Uri Orlev ("Lauf, Junge, lauf"), Amos Oz ("Unter Freunden"), Zeruya Shalev ("Späte Familie"), sowie von Lizzie Doron, Nava Semel, Tamar Verete-Zahavi, Mira Magén und Aliza Olmert. Im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2015 wurde Mirjam Pressler für ihre Übertragung des Buches "Judas" von Amos Oz aus dem Hebräischen mit dem Preis in der Sparte Übersetzung ausgezeichnet.

Lizzie Doron
Who the Fuck Is Kafka?

dtv premium
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Deutsche Erstausgabe, erschienen Februar 2015
256 Seiten
14,90 Euro
ISBN 978-3-423-26047-3

Mehr zum Buch, Lesungsterminen und Links zu Interviews mit Lizzie Doron unter:
www.dtv.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Interview with Lizzie Doron (anlässlich der Deutsch-Israelischen Literaturtage 2012)

"Das Schweigen meiner Mutter" von Lizzie Doron (2011)

"Es war einmal eine Familie", von Lizzie Doron (2009)

"Der Anfang von etwas Schönem" von Lizzie Doron (2007)

"Ruhige Zeiten" von Lizzie Doron (2005)






Literatur

Beitrag vom 23.03.2015

Sharon Adler