Der blaue Reiter ist gefallen. Else-Lasker-Schüler-Jubiläumsalmanach. Herausgegeben von Hajo Jahn - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 09.09.2015


Der blaue Reiter ist gefallen. Else-Lasker-Schüler-Jubiläumsalmanach. Herausgegeben von Hajo Jahn
Angelina Boczek

Zu ihrem 25-jährigen Bestehen hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft ihren elften Almanach herausgebracht. Er versammelt die Beiträge vom XX. ELS-Forum, das 2014, zum Ausbruch des ...




... Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren stattgefunden hat.

Der Nachruf aus dem Jahre 1917 von Else Lasker-Schüler an den Maler Franz Marc, er starb am 4. März 1916 auf den Schlachtfeldern von Verdun:

"Als der blaue Reiter war gefallen ...
Griffen unsere Hände sich wie Ringe -
Küßten uns wie Brüder auf den Mund.

Harfen wurden unsere Augen,
Als sie weinten: Himmlisches Konzert.

Nun sind unsere Herzen Waisenengel.
Seine tiefgekränkte Gottheit
Ist erloschen in dem Bilde: Tierschicksale."


So beginnt der soeben erschienene Jubiläumsalmanach, der die "Urkatastrophe des XX. Jahrhunderts" (den Ersten Weltkrieg) focussiert und zeigt, dass dies gleichzeitig "die Hoch-Zeit des Expressionismus und der Durchbruch der Moderne" war, "Mit Else Lasker-Schüler als Symbolfigur dieser Epoche".

Die zum Teil bislang unveröffentlichten Beiträge behandeln auf sehr unterschiedliche Weise das Thema "Kunst und Krieg". Es konnten von dem couragierten Herausgeber Hajo Jahn, Gründer und Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Autoren_innen gewonnen werden, wie Renate Ahrens, Jörg Becker, Matthias Buth, Brucu Drogarmaci, Alfred Grosser, Ulla Hahn, Peter Handke, Sylvia Löhrmann, Karl Otto Mühl, Herta Müller, Michael Obst.

Ergebnisse neuerer Forschungen sind in diesen Band eingeflossen, unter anderem der erhellende Beitrag: "Fotografische (Selbst-)-Inszenierungen der Dichterin Else-Lasker-Schüler", von der Kunsthistorikerin Burcu Dogramaci. Sie belegt, dass das Medium Fotografie schon damals ein wichtiges Instrument war, die Selbst-Darstellung von Künstlern_innen für die Öffentlichkeit in die eigenen Hände zu nehmen. Bekannt ist das Foto, in dem Else-Lasker-Schüler von der Seite her, Flöte spielend, aufgenommen wurde. Es handelt sich hier um eine "künstlerische Verwandlung" im Foto-Atelier, sowohl durch die Kleidung als auch durch ihre Haltung wird deutlich, dass es hier nicht um eine private Aufnahme einer als Exzentrikerin verschrieenen Dichterin geht, wie früher irrtümlich angenommen. Nicht zuletzt die Anzahl der Abzüge, 100 Stück (für ein geplantes Varietéprojekt "Der Fakir"), beweisen, dass die Lasker-Schüler wusste, was sie tat. Anhand weiterer Selbstportraits wird gezeigt, wie ernst es der Künstlerin damit war, durch "sorgfältige Komposition und ... Stilisierung" ein Bild von sich zu schaffen, welches ihrer Stellung als Schriftstellerin und bildenden Künstlerin gerecht wurde.

Auch die jüdische Dichterin Gertrud Kolmar, Zeitgenossin Else Lasker-Schülers, wusste sich zu inszenieren, weniger im Bild als in ihren Dichtungen. Darüber schreibt die Kolmar-Kennerin und Germanistin Ulla Hahn, selbst Lyrikerin und Romanschriftstellerin, in einem bewegenden Aufsatz bzw. Lebensabriss, sie stellt klar: "Leicht sind wir Deutschen geneigt, im Falle einer jüdischen Autorin, deren existentielle Gefühle des Andersseins und der Fremdheit vor allem im Dritten Reich der gesellschaftlichen Ächtung und Verfolgung zuzuschreiben, doch ist wohl immer auch Privateres, Persönlicheres im Spiel."

Da die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft mit dem "Zentrum für verfolgte Künste" Solingen, verbunden ist und mit dem Internet-Portal Exil-Archiv, befinden sich in diesem Almanach Aufsätze, Essays und Vorträge zu historischen und aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen, zu Themen des "modernen Krieges", der Kriegsfotografie, zum Exil. Zum Thema "Exil" verfasste Herta Müller ein "flammendes Plädoyer", in dem sie das "Beschweigen" anprangert, was bis heute andauere, denn es finde sich in Deutschland nur ein einziger Ort, an dem begonnen wurde, sich mit "Exil und Verfolgung" während der NS-Zeit auseinanderzusetzen, dies sei das "Zentrum für verfolgte Künste". Herta Müller macht uns an einem sehr einfachen Beispiel klar, was gemeint ist: Der legendäre Film "Casablanca", der 1952 in die deutschen Kinos kam, "25 Minuten kürzer als das Original. Alle Bezüge zum Exil waren herausgeschnitten. Es gab keinen Major Strasser oder andere Nazis ... Aus dem bewegenden Film über das Exil wurde kitschiger Mist in der Filmtradition der fünfziger Jahre, der Sissi- und Heimatfilme. - Es gab keine Juden in dem Film, da "die (jüdischen) Produzenten des Films (die) antisemitischen Vorurteile des Publikums kannten."

Erst 1975 wurde die vollständige Fassung von ´Casablanca´ im deutschen Fernsehen gezeigt." Herta Müller nennt noch weitere "beschämende" Beispiele für das Ausblenden des Exils, der ExilantInnen, der Toten des Exils: "Wer im Exil war, gilt in Deutschland bis heute nicht als Opfer."

AVIVA-Tipp: Der inhaltsreiche Band, innen und aussen schön gestaltet, den Umschlag schuf der Künstler Wolf Erlbruch, mit zahlreichen Abbildungen, bietet Rückschau auf unsere Vergangenheit, verbunden mit aktuellen Themen von Krieg und Krisen.
"An die Stelle eines "Nie wieder", das weder bei deutschen Schülern noch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund verfängt, muss eine zeit- und jugendgemäße Form der Bildungs- und Erinnerungsarbeit treten. Die Werte und Überzeugungen, für die jene widerständigen Personen und Persönlichkeiten stehen, sind heute so gültig wie gestern.", stellt die die Journalistin und Redakteurin des Exil-Archivs, Ulrike Müller in einem ihrer Beiträge fest – "unendlich" ist wohl die Liste der Exilierten, sie wird wohl nicht abgeschlossen werden können, täglich vermehrt sie sich...

Hajo Jahn (Herausgeber).
Der blaue Reiter ist gefallen.
Else-Lasker-Schüler Jubiläumsalmanach

Zum 25-jährigen Bestehen der ELS-Gesellschaft.
Zum 70. Todesjahr von ELS.
Peter Hammer Verlag, erschienen August 2015
416 Seiten mit zahlreichen Abbildungen in Farbe und Schwarzweiss. Broschiert.
18,00 Euro
ISBN 978-3-7795-0532-7
www.peter-hammer-verlag.de


Zum Herausgeber: Hajo Jahn ist Vorsitzender und Gründer der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und Stiftung "Verbrannte und verbannte Dichter-/KünstlerInnen – für ein Zentrum der verfolgte Künste".

Mehr Infos unter:

www.else-lasker-schueler-gesellschaft.de

www.exil-zentrum.de

www.exil-archiv.de

www.exil-club.de

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Angelina Boczek