Sarah Thornton - 33 Künstler in 3 Akten - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 28.02.2016


Sarah Thornton - 33 Künstler in 3 Akten
Dorothee Robrecht

"Was ist ein Künstler, ein echter Künstler?" Die kanadische Kunstsoziologin Sarah Thornton hat dazu 33 der international erfolgreichsten Künstler_innen befragt. Die Kunstkritikerin des New Yorker und der Süddeutschen Zeitung ist eine Insiderin was Kunst angeht, und...




... sie selbst wirkt nicht weniger glamourös als die Welt, die sie beschreibt.

Fotos im Netz zeigen eine attraktive Frau Ende 40, die vor Kunstwerken posiert, und in ihrem Buch präsentiert sie sich als Expertin, die alles kennt, persönlich kennt, was Rang und Namen hat auf der internationalen Bühne - seien es Künstler_innen, Galerist_innen oder Kurator_innen.

33 Künstler in 3 Akten ist ihr zweites Buch über die Kunstwelt, ein dickes Buch mit gut 400 Seiten. In diesem Buch, so schreibt sie im Vorwort, gehe es darum, "die ideologische Grenze zu markieren, die einen Künstler von einem Nichtkünstler beziehungsweise einen echten von einem weniger beeindruckenden Künstler trennt". Grundlage des Buches sind Interviews, die Thornton u.a. mit Ai Weiwei, Jeff Koons, Cindy Sherman und Marina Abramovic geführt hat. Ihre Gesprächspartner_innen sind fast alle in den 50er bzw. 60er Jahren geboren, und ausnahmslos alle sind berühmt - womit die Ausgangsfrage gleich zu Anfang schon beantwortet wäre: Ein echter Künstler? Das ist ein arrivierter Künstler, jemand, der oder die Erfolg hat, Geld verdient.

Besonders aufschlussreich ist das nicht, ebenso wenig wie das, was Thornton selbst in einem Interview als Ergebnis ihrer Recherchen so zusammenfasst: "Künstler sein ist kein Job, es ist eine Identität, die man ganz und gar leben muss." Trotzdem lohnt die Lektüre, sie macht sogar Spaß:
Das Buch ist gekonntes Feuilleton. Schon der Titel ist schick, mehr als nur ein elegantes numerologisches Spiel: 33 Künstler in 3 Akten. Die angekündigten Akte versprechen ein Theaterstück, und was Thornton dann ausbreitet, ist tatsächlich eine Art Bühne, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. 33 Stars treten auf, erst der, dann die, und wenn diese Prozession nicht langweilig wird, dann weil Thornton sie klug strukturiert. Ihre 3 Akte sind letztlich nichts anderes als ganz normale Kapitel, wie jedes Sachbuch sie hat, doch Thornton weiß, was eine gute Inszenierung ist. Immerhin, es geht ja auch um Rollen, um die Rollen nämlich, die Politik (Akt I), Kontakte, Liebe, Konkurrenz (Akt II) und Können (Akt III) spielen - für arrivierte Künstler_innen, versteht sich, nicht für die, die es nicht schafften bis ins Rampenlicht.

Thorntons Blick hinter die Kulissen ist unaufgeregt, ihr Ton der einer Person, für die Glamour Routine ist. Dass sie alle Künstler_innen nicht nur interviewt, sondern auch porträtiert, inklusive kurzer Exkurse zu deren Leben, macht ihr Buch zu einer Art Enzyklopädie: frau/man lernt viel, darunter auch einiges, was gängige Annahmen konterkariert, besonders solche über Frauen, die Kunst machen.

Herausgegriffen seien hier nur ihre Porträts von Cady Noland and Yayoi Kusama. Cady Noland, 1956 in Washington D.C. geboren, ist – wie es so schön heißt – die teuerste lebende Künstlerin der Welt. 2014 wurde eine ihrer Skulpturen bei Sotheby´s versteigert, für 6.6 Millionen Dollar, und das, obwohl sie seit 20 Jahren keine Einzelausstellung mehr hatte. Wenn Thornton erzählt, dass die Künstlerin Ausstellungen hasse, dass sie einem berühmten Galeristen drohte, ihn zu erschießen, sollte er wagen, ihre Arbeiten zu zeigen, widerspricht das nicht nur dem Klischee, dass Frauen verzweifelt kämpfen müssen um jede Möglichkeit, ausgestellt zu werden. Es zeigt auch, dass Verweigerung kein Hindernis sein muss auf dem Weg zu kommerziellem Erfolg.

Ähnlich a-typisch ist auch die Geschichte der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama, Jahrgang 1929. Kusama, inzwischen fast 90, ist keine Künstlerin, die lange ignoriert wurde und erst spät Anerkennung fand wie etwa Louise Bourgeois. Erfolgreich war Kusama schon als junge Frau im New York der 50er und 60er Jahre - so erfolgreich, erzählt Thornton, dass Andy Warhol eine ihrer Arbeiten kopierte. Wenn ihre Karriere pausierte, dann weil sie sich 1973 einwies in eine Nervenheilanstalt. Und in der lebt sie bis heute - gebietend über acht Assistentinnen, die die nächsten Ausstellungen vorbereiten, in London, Madrid oder Tokio. So zynisch es klingt: selbst Alter und Wahnsinn haben die Karriere dieser Frau nicht gekillt.

AVIVA-Tipp: Ein lesenswertes Buch, trotz seines unhinterfragten Elitismus. Zu Wort kommen ausschließlich Künstler_innen, die es geschafft haben. Wie Künstler_innen sich sehen, die weniger Erfolg haben, spielt hier keine Rolle, dabei wäre doch auch das interessant gewesen. Davon abgesehen animiert das Buch zum googeln, denn es macht neugierig auf die Arbeiten der hier vorgestellten Künstler_innen.

Zur Autorin: Sarah Thornton studierte Kunstgeschichte und Soziologie, promovierte über die britische Technoszene und lehrte Soziologie an der University of Sussex und am Goldsmith College. Heute ist sie Autorin für internationale Magazine, u.a. für den "Economist" und artforum.com, für den "New Yorker" sowie für zahlreiche weitere Zeitungen, wie z.B. die "Süddeutsche Zeitung". Im S. Fischer Verlag erschien von ihr die hochgelobte Reportage "Sieben Tage in der Kunstwelt". (Verlagsinformation)
Mehr Infos unter: sarah-thornton.com

Sarah Thornton
33 Künstler in 3 Akten

Originaltitel: 33 Artists in 3 Acts (UK and US)
Aus dem Amerikanischen von Rita Seuß
Hardcover, 448 Seiten
Fischer Verlag, erschienen 2015
978-3-10-002270-7
24,99 Euro
www.fischerverlage.de

Weiterführende Links

Ein Interview mit Sarah Thornton zu ihrem Buch "33 Künstler in 3 Akten" auf "hey woman!"

Facebook Seite von Yayoi Kusama

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Female Trouble - Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen, herausgegeben von Inka Graeve Ingelmann

Marina Abramovic: The Artist Is Present ein Film von Matthew Akers




Literatur

Beitrag vom 28.02.2016

AVIVA-Redaktion