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Beitrag vom 15.04.2018
Ella Blix - Der Schein
Bärbel Gerdes
Fast 500 Seiten Hochspannung erzeugt der Roman des Autorinnenduos Tania Witte und Antje Wagner. Ella Blix, so das Pseudonym der beiden, hat einen atemlosen, geheimnisvollen und sensiblen Jugendroman mit tollen Ingredienzien geschrieben: eine eingeschworene Clique in einem Internat, eine Ostseeinsel und ein dunkles Schiff am Horizont.
Nein, kein Hanni-und-Nanni-Roman, nein, kein 08/15-Personal, das kaum unterscheidbar ist. Ella Blix fegt jegliche Klischees über den Haufen.
Die sechzehnjährige Alina Renner wird für ein halbes Jahr in ein Internat auf eine Insel geschickt, weil ihr Vater einen Forschungsauftrag in den USA erhalten hat. Ihre Mutter ist vor neun Jahren gestorben, so dass Alina nicht zuhause bleiben kann. Für Alina bedeutet das: Berlin verlassen, keinen Smartphone-Empfang, Doppelzimmer und außer frischer Luft und Meer nichts los. Bis sie eines Abends aus dem Fenster des Turmzimmers blickt und ein schwarzes Schiff sieht, das grüne Blitze entsendet. Alina macht sich im angrenzenden Naturschutzgebiet, dessen Betreten strengstens verboten ist, auf die Suche und trifft auf die geheimnisvolle Tinka, zu der sie sich seltsam hingezogen fühlt.
Schon bald gehört Alina zur Clique der "Lonelies", jener Mädchen und Jungen, die am Wochenende nicht nach Hause fahren können. Gigi ist darunter, der sich gerne schminkt und Frauenkleider trägt, und auch Lexie, die Jüngste, die einfach alles weiß. Sie versuchen den Rätseln auf der Insel auf die Spur zu kommen und machen eine verstörende Entdeckung. Jeglicher Schein trügt – Alina muss alles bisher Geglaubte in Frage stellen.
Was Antje Wagner und Tania Witte hier vollbracht haben, ist ein unglaublich spannender und mysteriöser Roman, der auch Erwachsene süchtig weiterlesen lässt. Geschickt kombinieren sie das bekannte Genre des "begrenzten Raums", der Insel, des Internats mit den Möglichkeiten neuer Medien und Technologien und zeitgemäßer Themen: Mobbing, Einsamkeit und Verlorenheit, Solidarität und Ausgrenzung und vor allem Vorurteile: wie schnell muss Alina viele Urteile revidieren, die sie nur aufgrund des Augen-Scheins gefällt hat.
Gleichzeitig sprudelt das Autorinnenpaar vor überbordender Phantasie, sei es bei der Gestaltung der Internatszimmer, sei es im Verlauf der Geschichte, die immer fantastischer wird, jedoch auf magische Weise.
Antje Wagner hat schon mehrere Romane für Jugendliche und Erwachsene geschrieben, Tania Witte publiziert das erste Mal für Jugendliche. Frau merkt diesem Buch an, dass es, obgleich für Menschen ab 12 Jahren empfohlen, auch Ältere erreichen möchte und auch kann. Stereotype werden auf den Kopf gestellt, feste Vorstellungen zertrümmert. Wohltuend ist die Darstellung starker Mädchen und Frauen, besonders bemerkenswert die Vielschichtigkeit der Charaktere.
Neben der Spannung ist es ein äußerst witziges und wortspielerisches Buch, das laut auflachen lässt und gierig weiterlesen – ganz so wie damals als Jugendliche: ungeduldig, aufgeregt und jede freie Minute herbeisehnend.
AVIVA-Tipp: Der Schein ist ein ganz besonderes Leseabenteuer! Mysteriös, spannend und witzig zeichnet es den Inselaufenthalt des coolen Mädchens Alina, das in sich viel Trauer und Wut trägt. Ein tolles Debüt des Autorinnenduos – mehr davon!
Zu den Autorinnen:
Antje Wagner, 1975 in Lutherstadt Wittenberge geboren, studierte deutsche und amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften in Potsdam und Manchester. Sie übersetzt aus dem Englischen und schreibt Romane und Erzählungen für Jugendliche und Erwachsene. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nahm sie 2012 in den Kanon der 20 besten deutschsprachigen Autoren unter 40 Jahre auf. Mit ihren Jugendbüchern "Unland", "Schattengesicht" und "Vakuum" hat sie sich bereits einen Namen gemacht und steht für außergewöhnliche Mysteryromane. Antje Wagner ist gerne und viel auf Lesungen unterwegs und erhielt bereits mehrfach Stipendien. Sie lebt in Hildesheim und Potsdam.
Mehr Infos: www.wagnerantje.de
Tania Witte wuchs in Trier auf. Nach dem Studium der Medienpädagogik und Erwachsenenbildung, arbeitete sie als Journalistin, Lektorin, Musik-, Literatur- und Filmkritikerin und als Autorin. Tania Witte hat bisher vier Romane veröffentlicht. In der taz erschien 2013 wöchentlich für ein halbes Jahr ihr Roman Lust. Ausgerechnet. Seit 2014 schreibt sie für das Zeit Magazin Online die Kolumne Andersrum ist auch nicht besser. Gemeinsam mit vier weiteren Initiator*innen gründete sie 2008 die Berliner Spoken-Word-Bühne "Shut Up And Speak". Sie lebt in Berlin.
Mehr Infos: www.taniawitte.de
Ella Blix
Der Schein
Arena Verlag, erschienen 2018
472 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag mit Prägung und UV-Lackierung
ISBN 978-3-401-60413-8
Ab 12 Jahre
18,00 Euro (auch als E-Book)
www.arena-verlag.de
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Antje Wagner (Hrsg.): Unicorns don´t swim
Selbstprogrammierte Computerspiele mit Einhorn, in der Halfpipe skaten oder die erste Verliebtheit. In der Anthologie "Unicorns don´t swim" finden alte Mädchenstereotypen coole Gegenentwürfe. (2016)
Antje Wagner - Vakuum
Die mehrfach ausgezeichnete Autorin packt den Horror in ihre Jugendbücher - ohne liebestolle Vampire. Im neuen Roman bleibt die Welt in einem unerklärlichen Nebel stehen, der alles verschluckt bis auf fünf Jugendliche. (2012)
Antje Wagner - Schattengesicht
Wechselnde Städte, verlassene Häuser, schlechtbezahlte Schwarzarbeit, Angst vor der Polizei und der Tod als ständiger Begleiter - Im Leben von Mila und Polly ist keine Spur Bonny-und-Clyde-Romantik der jungen Autorin, die 2009 mit "Unland" national bekannt wurde, ist ein im doppelten Sinn unheimlich gutes Buch gelungen. (2010)
Antje Wagner - Unland
Das 14-jährige Pflegekind Franka zieht von Berlin in ein kleines Dorf in Sachsen-Anhalt. Unheimliches passiert hier in den Wäldern rundum die Ruinen von Unland. Ein Jugendbuch-Krimi von Antje Wagner. (2009)
Antje Wagner - Ein Zimmer im Briefumschlag
Als Stadtschreiberin von Erfurt setzte sich Antje Wagner von Anfang April bis Ende Juli letzten Jahres mit den Impressionen der thüringischen Landeshauptstadt auseinander. Ob ihre Liebesbriefe das Produkt "eines literarischen Arbeitstagebuches" waren, oder ob sie in der Einsamkeit der Stadtschreiberwohnung ein Gegenüber vermisste, und es sich durch das Verfassen dieser epistulas erschuf, ist eine unbeantwortete Frage. Zumindest erschienen die Ergebnisse in einer Reihe von Kolumnen der "Thüringer Allgemeinen" Samstagsausgaben. (2007)
Tania Witte – Leben nebenbei
In ihrem Fortsetzungswerk erzählt die Autorin, wie es mit den ProtagonistInnen aus ihrem Romandebut "Beziehungsweise Liebe" weitergeht. Größtenteils genderqueere Identitäten wirbeln im Berliner Großstadtleben erneut heteronormative Begehrensstrukturen durcheinander. Der Einstieg ist auch möglich, ohne den Vorgängerroman gelesen zu haben. (2012)
Tania Witte: beziehungsweise liebe
Das Romandebüt der Journalistin, Spoken-Word-Performerin und Schriftstellerin Tania Witte erzählt von komplexen und sexuell offenen Beziehungskonstellationen einer sympathisch-queeren Community Abgebildet wird der urbane Kosmos einer lesbischen Szene in Berlin. Die Autorin liefert einen unterhaltsamen Einblick in die Widrigkeiten und Freuden lesbischer Liebe. (2011)