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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 24.12.2018


Elena Ferrante - Lästige Liebe
Doris Hermanns

Nach dem vierten und damit letzten Band der "Neapolitanischen Saga" liegt nun der Debütroman der Autorin "Lästige Liebe", in dem sich die Haltung einer Tochter zu ihrer Mutter nach deren Tod grundlegend ändert, in neuer Übersetzung vor.




Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod ihrer Mutter macht sich deren Tochter Delia auf den Weg, herauszufinden, was geschehen ist. Amalia, die Mutter, war von Neapel aus auf dem Weg zu Delia, die in Rom lebt. Dreimal rief sie sie noch an, es waren verwirrende, kurze verstörende Telefonate. Zwei Tage später, an Delias Geburtstag, wird ihre Leiche am Strand gefunden.

Delia reist nach Neapel, der Stadt ihrer unglücklichen Kindheit, die für sie mit Gewalt und brutalen Auseinandersetzungen verbunden ist. Sie erinnert sich an Männerbünde, an Verwandte, die schweigend der Gewalt zugesehen haben, statt Schutz zu bieten. Auch zu ihrer Mutter hatte sie keine enge Beziehung. Zwar besuchte diese sie regelmäßig, hielt dabei aber an ihren eigenen Gewohnheiten fest, so dass die Tochter immer froh war, wenn sie wieder abfuhr. "Schon immer hatte ich mir Hinterhalte ausgemalt, die eigens dazu ausgeheckt waren, sie vom Erdboden verschwinden zu lassen." Während es in der Neapolitanischen Saga Lila selber ist, die beschließt zu verschwinden, ist es hier die Tochter, die dies der Mutter wünscht. Und sie wünscht sich Distanz, was sich auch in der Sprache niederschlägt. Der neapolitanische Dialekt ist für sie die Sprache der Mutter, die sie zu vergessen versucht, wie auch vieles andere.

Bei der Beisetzung trägt sie – ungewöhnlich für eine Frau – ihren Sarg mit, über deren Körper sagt sie: "Ich hatte das dringende Bedürfnis, ihn loszuwerden."

Aber das Loslassenwollen reicht nicht, weder von ihrer Mutter, noch von der Stadt. Ihr scheint, als ob die Straßen zerfließen, als ob sie die Orte mit sich fortnähme. Ein Mann verfolgt sie, Kleidung taucht auf, andere verschwindet, und es geschehen immer wieder mysteriöse Dinge, die sich erst langsam klären, als sie in der Lage ist, sich den Erlebnissen ihrer Kindheit zu stellen und für sich erkennt: "Die Kindheit ist eine Fabrik von Lügen, die in der Vergangenheitsform fortdauern, zumindest meine ist so gewesen."

Der Roman ist auf eine ganz selbstverständliche Art von der Beschreibung von Körperlichkeiten durchzogen. Wann haben wir je zuvor von einer Frau gelesen, die während einer Beerdigung anfängt zu menstruieren? Wann so von der unterschiedlichen Kleidung von Müttern und Töchtern?

Erinnerungen vermischen sich mit dem, was jetzt in Neapel geschieht. Und mit den Erinnerungen rückt ihre Mutter und ihre Kindheit ihr näher. Die Grenzen verschwimmen. Sie muss erkennen, dass das, was sie dachte, in ihrer Kindheit passiert sei, nur in ihrer Erinnerung geschehen war. Wo erst die Distanz zu ihrer Mutter im Vordergrund stand, muss sie jetzt feststellen, "Ich war identisch mit ihr, und doch litt ich unter der Unvollständigkeit dieser Identität."

Es ist überaus verständlich, dass das "Ferrante-Fever" in Italien bereits mit diesem, dem ersten und überaus fesselnden Roman der Autorin begann.

AVIVA-Tipp: Auch in diesem großartig geschriebenen Roman steht die Beziehung zweier Frauen wieder im Vordergrund. Und doch hat diese Geschichte etwas ganz eigenes. Wo sie erst als Krimi erscheint, wechselt sie schnell zu einer psychologischen Erzählung, bei der sich die Ebenen vermischen. Und am Ende ist die Protagonistin eine andere, als sie vorher gedacht hatte. Dieses Debüt zeigt auf, wie beeindruckend Ferrante von Anfang an geschrieben hat. Und bereits im Februar 2019 wird ihr zweiter Roman Frau im Dunkeln ebenfalls in neuer Übersetzung erscheinen.

Zur Autorin: Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga –Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller und hat sich millionenfach verkauft. Ihr Kinderbuch Der Strand bei Nacht ist im Oktober 2018 erschienen. Im Februar 2019 soll ihr Roman Frau im Dunkeln in neuer Übersetzung wieder erscheinen, sowie voraussichtlich im März 2019 die Übersetzung von Frantumaglia. Mein geschriebenes Leben.
Mehr Infos zu Elena Ferrante unter: www.elenaferrante.de

Zur Übersetzerin: Karin Krieger, geboren 1958 in Berlin, übersetzt vorwiegend aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Claudio Magris, Anna Banti, Armando Massarenti, Margaret Mazzantini, Ugo Riccarelli, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco und Giorgio Fontana. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und erhielt 2011 den Hieronymusring.

Elena Ferrante
Lästige Liebe

Originaltitel: L´amore molesto
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Suhrkamp Verlag, erschienen am 2. Oktober 2018
Gebunden mit Umschlag. 206 Seiten
ISBN 978-3-518-42828-3
Euro 22,00
Zum Buch: www.suhrkamp.de

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Literatur

Beitrag vom 24.12.2018

Doris Hermanns