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Beitrag vom 13.01.2009
Seyla Benhabib - die Rechte der Anderen
Henriette Jankow
Die Sozialphilosophin stellt den Universalismus der Menschenrechte in Fragen und fordert eine Auseinandersetzung mit dem Fremden angesichts der brüchig gewordenen westlichen Identitäten.
Seit geraumer Zeit erreichen uns stets Meldungen über afrikanische Flüchtlinge, die sich über das Mittelmeer ihren Weg nach Italien und Spanien, nach Europa bahnen. Viele von ihnen kommen auf der langen Reise zu Tode. An den Grenzen Europas angekommen, wird ihnen zumeist der Eintritt verwehrt.
Im Süden der USA an der Grenze zu Mexiko hat man zwischen Arizona und dem mexikanischen Bundesstaat Sonora eine Mauer von bis zu viereinhalb Metern Höhe errichtet, um die illegale Einwanderung in die USA zu unterbinden.
Ein Charakterzug der Globalisierung ist die Verschwommenheit von nationalstaatlichen Grenzen und die damit einhergehende Problematik, Fremdes und Eigenes zu ordnen.
Die amerikanische Politologin und Sozialphilosophin türkisch-jüdischer Herkunft Seyla Benhabib widmet sich in ihrem Buch den "Rechten der Anderen" und fordert eine Reflexion über einen neuen Universalismus der Menschenrechte.
In der UN-Menschenrechtscharta ist festgelegt, dass jede/r ein Recht auf Staatsangehörigkeit hat. Dieses universelles Menschenrecht auf politische Zugehörigkeit bildet für Benhabib den Ausgangspunkt ihres Essays: Sollten jedoch alle MigrantInnen und illegalen Einwanderer ihr Recht auf Staatsbürgerschaft oder den Wechsel dieser tatsächlich einfordern, wird schnell klar, dass eine universelle Umsetzung des Menschenrechts in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts nicht umgesetzt werden würde.
Um alternative Praktiken aufzuweisen, die eine Überdenkung der derzeitigen Definitionen nationaler Identität und des Umgangs mit dem Fremden nach sich zögen, greift die Autorin auf Kants "Weltbürgerrecht" zurück, nach welchem jeder Mensch zumindest ein "Gastrecht" – heutzutage eher als Asylrecht zu verstehen – hat. Benhabib weitet Kants Gedanken aus und konstatiert, dass ein Gastrecht vor dem Hintergrund eines universellen Anspruchs auf Menschenrechte, welchen sie mit Hannah Arendts Gedanken über das "Recht auf Rechte" theoretisch fundiert, unzureichend ist. Unter dem Motto "Kein Mensch ist illegal" fordert sie ein Recht auf Staatsbürgerschaft für alle und folglich eine Basis für die Durchsetzung sämtlicher anderer Menschenrechte.
In ihren Schlussbemerkungen führt Benhabib die aktuelle Zuwanderungspolitik westlicher, demokratischer Gesellschaften, welche durchgehend die Menschenrechtscharta unterzeichnet haben, ad absurdum. In den USA können legale oder dokumentenlose EinwanderInnen in der Armee dienen. Wählen dürfen sie nicht.
Zur Autorin: Seyla Benhabib , 1950 in Istanbul geboren, verbrachte ihre Kindheit in der Türkei. Zu Beginn der 1970er Jahre nahm sie mit Hilfe eines Stipendiums ein Studium in den USA auf. Heute hat sie eine Professur für Politische Philosophie an der Yale University inne. Gegenstände ihrer theoretischen Auseinandersetzungen sind Fragen des Asylrechts, der Staatsangehörigkeit, des Multikulturalismus, der Nationalität und kulturellen Konflikten. Dabei lehnt sie sich an VordenkerInnen wie Kant, Hegel und Arendt und Habermas. Außerdem im Suhrkamp Verlag ist von Seyla Benhabib erschienen: "Selbst im Kontext, Kommunikative Ethik im Spannungsfeld von Feminismus, Kommunitarismus und Postmodern" (1995) und "Hannah Arendt – Die melancholische Denkerin der Moderne" (2006).
AVIVA-Tipp: Mit ihrem moralphilosophischen Essay stößt Benhabib eine wichtige Debatte über die Neuordnung der Gesellschaften im 21. Jahrhunderts an. Am Thema Interessierte erhalten bei dieser Lektüre sehr viel Input. Allerdings dürfte es für LeserInnen ohne einen kulturwissenschaftlichen oder philosophischen Hintergrund schwer sein, den Gedanken der Autorin zu folgen.
Seyla Benhabib
Die Rechte der Anderen
Suhrkamp Verlag, erschienen im Oktober 2008
225 Seiten, Gebunden
ISBN 978-3-518-41998-4
Euro 24,80