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Beitrag vom 10.09.2014
Jen Davis - Eleven Years
Dorothee Kröger
In ihrer Fotoserie inszeniert die US-Amerikanerin anhand von Selbst- und Fremdwahrnehmung die Intimität ihres Alltags, in dem sie den eigenen Körper fotografisch auf das Verhältnis von Identität...
... und Körperbild erkundet.
Ein Konsens mag wohl darüber herrschen, dass Projekte, wie die elfjährige Selbstdokumentation der US-Amerikanerin Jen Davis, notwendig sind, um an allgemein bekannten und vermeintlich durchschauten Schönheitsidealen zu rütteln. "Eleven Years" weist jedoch keine belehrende Rhetorik einer toughen Frau in ihren 20ern auf, der das Bewusstsein konstruierter Körperbilder ausreicht, um darüber zu stehen. Es ist die Darstellung einer nicht überwundenen Unsicherheit mit dem eigenen Körper, der nicht dem Ideal einer normiert-schlanken Frau entspricht. Im Medium der Fotografie reflektiert die junge Davis anhand von Selbst- und Fremdwahrnehmung unterschiedliche Formen des eigenen Erscheinungsbildes
"I thought of the photographs as a hyper mirror, showing an estranged replica of me that I occasionally didn´t even recognize." (Jen Davis)
Von 2002 bis 2013, "Eleven Years", nahm Davis sich mittels Selbstauslöser in ihrer Wohnung, aber auch an öffentlichen Orten auf. Die entstandenen Fotos waren zunächst nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Für sie war es eine Art der Selbsterkundung, bei der sie gleichzeitig als Voyeuristin und Narzisstin, hinter und vor der Kamera, agierte. Dabei setzte sie Fragen in Bezug auf Körperbild und Identität in inszenierte Motive um: Was ist Liebes? Bin ich liebenswert? Kann jemand mich attraktiv finden?
Ihre eigene Kamera fungierte als ein Liebhaber, der, vieles offenlegte, das sie ohne "seinen" Blick, einen Blick von außen, nicht erfahren hätte.
Intime Szenen unter der Dusche, im Bett oder im zärtlichen Umgang mit einem Mann schreiben eine BetrachterInnenrolle vor, die Voyeurismus und den offenen Umgang mit Intimität vereint. Die Wirksamkeit der Motive geht über eine Verschiebung der Perspektive hinaus, die Davis´ Selbstinszenierung als Bruch mit glatten Modelfotografien sieht. Die Fotografien sind nicht frei von Scham, sondern integrieren ihn in die Intimität der Aufnahmen. Wer die Künstlerin demnach auf ihren Fotos in einer ausgelieferten Position begreift, übersieht, dass die Motive selbst inszeniert und dadurch bewusst gewählt sind. Durch diese Art von Rollenwechsel, der die Macht des BetrachterInnenblicks entkräftigt und zu hinterfragen beginnt, findet der nennenswerte Perspektivenwechsel statt, der diesen Fotografie-Band auszeichnet.
"I had to put myself in front oft he camera to really understand what it was I was trying to communicate" (Jen Davis)
Die Bilder, die gesellschaftliche Formen weiblicher Repräsentation herausfordern, sind nicht ausschließlich als Dokumente zu betrachten. "Inszeniert" meint auch, dass Davis eigene Wünsche in den Motiven thematisiert. Die Aufnahmen, die sie mit Liebhabern in einem unterschiedlichen Grad der Intimität zeigen, sind teilweise mit "Fantasy" betitelt und geben Aufschluss über ein Verlangen, das durch das eigene Aussehen beeinträchtigt werden kann.
Jen Davis, die mit 23 Jahren begann, ihr Erscheinungsbild zu hinterfragen, studierte an der Yale University School of Art. Die Wahl ihrer Motive und deren stilistische Umsetzung ist beeinflusst durch niederländische Maler des 17. Jahrhunderts, wie Johannes Vermeer. Ihre Aufnahmen sind markiert durch das Spiel mit Licht und Schatten, das die Szenen konstituiert. Diese eröffnen größtenteils den Blick auf Situationen des Alltags, die der Außenperspektive üblicherweise unzugänglich sind. So sitzt sie mit einem Handtuch auf dem Badewannenrand, liegt nackt und alleine auf dem Bett oder wirft einen ernsten Blick in den Badezimmerspiegel.
Keines der Bilder zeigt ein spontanes Lachen oder eine herzliche Geste. Der stets ernste, nachdenkliche Blick bildet das stringente Konzept, welches die sozialen Schönheitsstandards im nicht-öffentlichen Raum hinterfragt.
Zur Fotografin: Jen Davis, geboren 1978, lebt und arbeitet in Brooklyn, New York. Elf Jahre hat sie an dieser Serie von Selbstporträts gearbeitet, die in nationalen und internationalen Medien (z.B. Camera Austria, New York Times Lens Blog, Huffington Post, The Telegraph, Oprah.com) diskutiert und vielfach ausgestellt wurde, darunter im Museum of Fine Arts in Boston. Davis´ Arbeiten sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten, u.a. im Art Institute of Chicago. Sie unterzog sich nach dem Fotografieprojekt "Eleven Year" einer Operation, um Gewicht zu verlieren.
(Quelle: Verlagsinformation)
Die Fotografin im Netz: www.jendavisphoto.com
AVIVA-Tipp: Auf eine sensible Weise zeigt sich in "Eleven Years" von Jen Davis die Unsicherheit einer Frau, die nicht gephotoshopt und genormt ist. Jen Davis´ Fotografien weisen weder einen Wunsch nach Perfektion, noch eine Zufriedenheit mit dem eigenen Körper auf. Es ist ein kritischer Umgang mit einem allzu oft behandelten Thema, der zeigt, wie gesellschaftliche Schönheitsideale den Umgang mit sich selbst in Befangenheit und Nachdenklichkeit stürzen kann.
Jen Davis
"Eleven Years"
Künstlerin: Jen Davis
Texte von: Anne Wilkes Tucker, John Pilson
Gestaltung: Other Means
KEHRERVERLAG, erschienen Frühjahr 2014
Schweizer Broschur, 128 Seiten, Englisch
ISBN: 978-3-86828-458-4
39,90 Euro
Mehr zum Thema:
Magda Albrecht, Bloggerin und Soziologin, schreibt für die maedchenmannschaft. Ihr besonderes Interesse gilt feministischer Theorie, queer/feministischem Aktivismus und der Bekämpfung von Körpernormierungen. Auf maedchenmannschaft schreibt sie:
"Die Be- und Abwertung von Körpern ist so normalisiert, dass wir oftmals gar nicht merken, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung eher Menschen zugebilligt wird, die bereits gesellschaftliche Normen erfüllen. Eine dünne Frau isst eine Pizza und findet Diäten "voll blöd"? Voll feministisch! Eine dicke Frau schleckt ein Eis und trägt einen hotten Bikini? Ab zur Ärztin, ist ja voll ungesund!!!"
Mehr zu den Beiträgen der Serie "(Mein) Fett ist politisch", in denen Frauen über "norm-abweichende Körperlichkeit" reflektieren:
"Fett am Strand. Ist das nicht voll ungesund?!" Von Frauen, die glücklich und "fett" sind und den Vorwürfen ihnen gegenüber, ungesund zu leben.
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