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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 17.02.2009


Swetlana Geier - Ein Leben zwischen den Sprachen
Yvonne de Andrés

Russisch-deutsche Erinnerungsbilder. Die Autorin gehört zu den bedeutendsten Übersetzerinnen der russischen Literatur. Sprache war ihr ganzes Vermögen, wurde ihr Schutzbrief und ihr Schicksal.




In diesem Buch schlüpft Swetlana Geier, gewöhnlich die Frau hinter den Texten, in den Vordergrund. Sie berichtet ihrer Gesprächspartnerin Taja Gut über ihre Erfahrungen als Übersetzerin, ihre Entdeckungen der Sprache und über ihr eigenes Leben. Frau glaubt kaum, dass Deutsch nicht Swetlana Geiers Muttersprache ist. Sie ist eine der wichtigsten Übersetzerinnen von russischer Literatur in die deutsche Sprache. Ihr sehr feines Sprachvermögen zerlegt die Text ganz fein und ermöglicht uns damit, kaum gekannte Nuancen der russischen Klassiker zu verstehen.

1923 als Tochter russischer Eltern als Swetlana Iwanowa geboren, erlebte sie zwei totalitäre Herrschaftssysteme, die um die Perfektion der Entmenschlichung zu konkurrieren scheinen. Ihr Vater war Naturwissenschaftler und auf Pflanzenzucht spezialisiert. Er war kein Mitglied der KPdSU und wurde 1938 im Zuge von Stalins großer Säuberung verhaftet. 1939 starb er an den Folgen der Haft. Swetlana Geier kommentiert dies so: "Ich habe durch ihn auch vieles an Solshenizyn verstanden. Es gibt Leute, die kann man nicht totschlagen."

Ihre behütete Kindheit ist nach dem Tod des Vaters endgültig vorbei. Sie erhält Privatunterricht in Deutsch und Französisch. Zweimal die Woche lernte sie bei Fräulein Freimann ostpreußisches Deutsch, macht 1941 ihr Abitur. Ein "Goldenes Zeugnis" mit lauter Einsen. Dies ermöglicht ihr die Immatrikulation an der Fakultät für westeuropäische Sprachen und Literatur. 1941 ist auch das Jahr des Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunion. Kiew wurde eingekesselt und Swetlana Geier entschied, sich von den "Mördern ihres Vaters" nicht evakuieren zu lassen, sondern auf die Deutschen zu warten. Nach der Ankunft der Deutschen hat sie eine ungewöhnliche Begegnung und eine zumindest platonische Liebesaffäre mit dem Wehrmachtsoffizier Graf Schmising-Kerssenbrock, für den sie zufällig übersetzt. Swetlana Geier bezeichnet die Affäre als "eine Marienbader Elegie." Es wird eine folgenschwere Begegnung. Dank seiner Intervention wird ihr ein Stipendium in Deutschland versprochen, wenn sie vorher ein Jahr als Dolmetscherin auf der Baustelle der Dortmunder Brückenbau AG einem kriegswichtigen Betrieb arbeitet.

1943, mit der Schlacht von Stalingrad, wendet sich das Blatt des Krieges. Die Deutschen sind auf dem Rückzug und Swetlana Iwanowa, kann davon ausgehen, als Kollaborateurin eingestuft zu werden. Ihre Mutter und sie selbst erhalten einen Marschbefehl und können so der nach Deutschland zurückkehrenden Brückenbaufirma folgen. Nach Festnahme und abenteuerlicher Flucht aus dem Ostarbeiterlager in Dortmund gelingt es ihrem Förderer und Freund, sie 1942 als Angehörige der Ostgebiete für das "Alexander-von-Humboldt-Stipendium" vorzuschlagen. Ihr Traum geht in Erfüllung. Ausgestattet mit Papieren und Pässen geht die Reise mit der Mutter nach Freiburg. Sie ziehen nach Günterstal, einen Freiburger Vorort. Ausgestattet mit 300 Reichsmark nimmt sie das Studium der Literaturwissenschaften und vergleichenden Sprachwissenschaften, in einer ziemlich leeren, kalten und tropfenden Universität auf. Mit zweiundzwanzig heiratet sie, nimmt den Namen Geier an und bekommt zwei Kinder. Die Abenteuer und Odysseen spielen sich in den folgenden Jahren nur noch in der von ihr übersetzten Literatur ab. Sie lebt noch heute in Günterstal.

Zur Autorin: Swetlana Geier wurde am 26. April 1923 in Kiew als Swetlana Iwanowa geboren. Sie ist Literaturübersetzerin, die aus ihrer Muttersprache, dem Russischen, ins Deutsche übersetzt. Berühmt wurde sie durch die Neuübersetzung der Romane von Dostojewski. Sie lebt seit 1943 in Deutschland. Swetlana Geier bezeichnet sich selber als: "Ich habe mich nie als Übersetzerin gesehen. Auch heute, nach 50 Jahren, nicht. Ich glaube, ich fühle mich einfach als mich selber. Ich lebe gern, ich atme gern. Und übersetzen ist eine Form zu atmen."

AVIVA-Tipp: "Ein Leben zwischen den Sprachen" ist die beeindruckende Odyssee einer ungewöhnlichen Frau. Die Rolle der Übersetzerin und Vermittlerin ist immer eine besondere und deren Bedeutung wird in Kriegssituationen noch übersteigert. Die Erinnerungen der Swetlana Geier vermitteln auch die Freude und das Interesse an Sprache und überlassen es der Phantasie der Leserin, wie die Geschichte weiter geht.

Swetlana Geier
Ein Leben zwischen den Sprachen

Russisch-deutsche Erinnerungsbilder
Aufgezeichnet von Taja Gut
Pforte Verlag, erschienen Juni 2008
Gebunden, 197 Seiten
ISBN: 9783856362126
19,00 Euro


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Beitrag vom 17.02.2009

Yvonne de Andrés