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Beitrag vom 15.05.2016
Joanna Bator - Dunkel, fast Nacht
Bärbel Gerdes
Wie der Titel schon verrät, handelt es sich bei Joanna Bators neuen Roman um ein düsteres Buch. Virtuos erzählt die polnische Schriftstellerin die Geschichte zweier Schwestern, einer kaputten Gesellschaft und die der Katzenfrauen.
Sie kann es einfach! Schon mit ihren mehrfach ausgezeichneten Romanen Sandberg und Wolkenfern bewies Joanna Bator zu welch erzählerischen Höhen sie in der Lage ist, wie mühelos sie die bunten Fäden ihrer Romane aufnehmen und miteinander verknüpfen kann und auf welch fantasievolle, ja, magisch-realistische Weise sie gesellschaftliche Stimmungen und Situationen erwecken kann.
Ihr im Frühjahr 2016 ins Deutsche übersetzter Roman Dunkel, fast Nacht gewann in Polen die höchste literarische Auszeichnung, den Nike-Preis. Ciemno, prawie noc, so heißt er im Original, hat Bator fast vollständig in Japan geschrieben. Vier Jahre hat sie dort gelebt, ihr Lieblingsautor ist Hariki Murakami, und das scheint auch in diesem Roman durch, in dem der Vater der Protagonistin in einem Schloss in unterirdischen Stollen vergeblich nach dem Schatz einer Fürstin Daisy sucht und in dem es Katzenfresser und Ektoplasma gibt.
Alicja Tabor, eine Journalistin, berichtet uns von der Rückkehr in ihre Heimatstadt, die sie vor langer Zeit fast fluchtartig verlassen hatte. Drei Kinder sind in diesem Ort verschwunden, und es scheint, dass nicht viel Mühe darauf verwendet wird, sie wiederzufinden. Doch gleich beim Betreten des seit Jahren leerstehenden Hauses ihres Vaters überfällt Alicja die Erinnerung: alles ist düster und unheimlich und immer stärker schieben sich die Traumata ihrer Kindheit in den Vordergrund, zuallererst in Gestalt ihrer älteren Schwester Ewa, von der sie liebevoll Kamelin genannt wurde und die sich das Leben genommen hat. Immer besser versteht Alicja den Grund dafür und ist entsetzt über die Vielschichtigkeit ihrer Entdeckungen. "Ich war nicht hergekommen, um meine Schwester zu beweinen, denn das würde ich ohnehin bis an mein Lebensende tun. Ich war zurückgekommen, um zu verstehen, was geschehen war."
Joanna Bator macht es der Leserin nicht einfach: dem entsetzlichen Verbrechen an das Mädchen stellt sie das entsetzliche Verbrechen an die Täterin gegenüber und überlässt es uns, darüber nach zu denken oder sogar darüber zu urteilen.
Die Autorin bildet eine Gesellschaft ab, die nur allzu gerne nach schnellen Lösungen sucht, indem sie Menschen ausgrenzt und verurteilt und die ebenso bereitwillig ist, sich auf selbsternannte Propheten oder Erlöser einzulassen.
Wie ihre vorigen Romane so spielt auch dieses Buch im früheren Schlesien, dem Ort Walbrzych, das ehemalige Waldenburg, das auch Bators Geburtsort ist. Polnisch-deutsche Geschichte trifft hier aufeinander, individuelle Traumata, so es denn überhaupt solche gibt, treffen auf gesellschaftliche.
Sie sei an Mikroerzählungen interessiert, sagt Joanna Bator, die große Geschichte interessiere sie nicht. Und so nimmt sie uns mit in den unheimlichen Garten, wo die Protagonistin mit Hans, dem Teddybären aus der DDR, Schutz vor der geisteskranken Mutter sucht oder zu der transsexuellen Bibliothekarin, die die erwachsene Alicja bei ihrer Suche unterstützt.
Und sie nimmt uns mit in die Welt des Internets mit seinen Hasstiraden und seiner sprachlichen Verrohung.
Bators Roman ist düster, doch auch überbordend von Fantasie. Es ist beeindruckend, mit welcher Sprachmacht sie schreibt, wie sie es schafft, dennoch Ironie und selbst Humor in dunkelste Kapitel einzuarbeiten. In einem Interview äußerte Bator sich so: "Ich habe immer geglaubt und glaube immer noch, dass das Einzige, was uns in einer besonders schlimmen Situation, in einer persönlichen oder globalen Katastrophe übrigbleibt, die Möglichkeit ist, die eigene Geschichte neu zu erzählen."
AVIVA-Tipp: Krimi? Drama? Auf jeden Fall wieder ein sehr packender und lesenswerter Roman der polnischen Autorin.
Zur Autorin: Joanna Bator, geboren 1968 in Polen, studierte Kulturwissenschaften und Philosophie in Woclaw und publizierte in wichtigen polnischen Zeitungen und Zeitschriften. Für ihre Reportage Japonski wachlarz (Der japanische Fächer) erhielt sie 2005 den Beata-Pawlak-Preis. Für ihren Roman Sandberg, der auch in Deutschland ein großer Erfolg wurde, wurde sie mit dem Preis der Gesellschaft der polnischen Buchverlage ausgezeichnet. 2013 erhielt sie für Ciemno, prawie noc den Nike-Literaturpreis. Für ihren Roman Dunkel, fast Nacht stand Joanna Bator gemeinsam mit Lisa Palmes auf der Shortlist des Internationalen Literaturpreises – Haus der Kulturen der Welt 2016.
Joanna Bator ist Hochschuldozentin und lebt in Japan und Polen.
Zur Übersetzerin: Lisa Palmes ist Polonistin und Germanistin und hat zahlreiche Werke aus dem Polnischen übersetzt, u.a. von Mariusz Czubaj und Lidia Ostałowska. Sie arbeitete an der Humboldt-Universität und lebt heute als freie Übersetzerin in ihrer Wahlheimat Berlin.
lisapalmes.de
Joanna Bator
Dunkel, fast Nacht
Originaltitel: Ciemno, prawie noc im Verlag W.A.B., Warschau
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes
Suhrkamp Verlag, erschienen am 7.3.2016
511 Seiten, gebunden, auch als E-Book erhältlich
ISBN 978-3-518-42497-1
24,95 Euro
Mehr Infos zum Buch und zur Autorin unter:
www.suhrkamp.de
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Joanna Bator – Wolkenfern
Mit ihrem Roman um zwei starke Frauen entfaltet die mehrfach ausgezeichnete polnische Autorin ("Sandberg") erneut ihr erzählerisches und kompositorisches Können. Virtuos übersetzt von Esther Kinsky (2013)