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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 29.09.2018


Colette - Die Katze
Bärbel Gerdes

In ihrem Kammerspiel um ein Paar und eine Katze seziert Sidonie-Gabrielle Claudine Colette genüsslich die Auflösung einer Ehe bereits kurz nach der Hochzeit. 85 Jahre nach der Erstveröffentlichung von "La Chatte" hat der schmale Roman nichts von seiner Spannung eingebüßt – und leider hat sich auch kaum das Verhältnis zwischen Frauen und Männern geändert.




Beginnen wir mit Camille: neunzehnjährig, aus gutem Hause stammend, aus einer neureichen Familie stammend, erblicken wir sie fast vollständig aus den Augen ihres frisch angetrauten Ehemannes Alain: vierundzwanzig, ebenfalls aus gutem Hause stammend, jedoch aus einer alten Seiden-Dynastie. Alain lebt mit seiner Mutter in einer großen Villa. Und dort lebt auch Saha, eine reinrassige, zarte, vollkommene Kartäuserkatze voller zauberhafter Anmut.

Auf der einen Seite ist Alains Faszination von Camille, die er als modernes junges Mädchen [kannte]. Er kannte ihre Art Auto zu fahren, ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu gut. Doch gleichzeitig weiß Alain, dass er nicht Camille liebt, sondern ein vollkommenes Abbild von ihr... ein Porträt oder die lebhafte Erinnerung an gewisse Stunden und bestimmte Kleider.
Vollkommen ist nur die Katze.

Camille und Alain heiraten trotzdem und das Drama nimmt seinen Lauf. Denn Camille begegnet ihrem Neuangetrauten voller Neugier, Offenheit und Lust. Ihre selbstbewusste Körperlichkeit stößt Alain ab, der sie besitzen möchte, sie fügsam will, ihr seinen Willen – auch in der Sexualität – aufzwingen möchte. Er machte sie sich untertan. Alain betrachtet sie stets wie durch Glas, abschätzig, beurteilend, kritisierend.

Nachdem das Ehepaar vorübergehend in die Hochhauswohnung eines Freundes gezogen ist, verengt sich das Kammerspiel auf wenige Zimmer. Saha leidet unter dem Verlust ihres Herrchens, sie nimmt ab, so dass er sie zu sich holt. Schon schnell bestimmen Eifersüchteleien den Alltag. Von der kalten Geringschätzung Alains ist nur die Katze ausgenommen. In einer kaum erträglichen Dichte schildert die Autorin das Auseinanderdriften dieser Beziehung – gesehen aus den Augen Alains.

Unter dem Titel Eifersucht wurde Colettes La Chatte 1959 und 1986 in Deutschland herausgegeben. Als die 1873 geborene Colette ihn schrieb, war sie 60 Jahre alt. Ihre Claudine-Romane, die ab 1900 erschienen, hatten sie berühmt gemacht. Diese hatte zunächst ihr Ehemann für sich reklamiert und veröffentlichte sie jahrelang unter seinem Namen. Nach der Trennung von Monsieur Willy hatte Colette zunächst eine Affäre mit Nathalie Clifford Barney. Zahlreiche weitere Liebhaberinnen und Liebhaber folgten. Unterdessen schrieb sich Colette in die Herzen der Französinnen ein: 1910 wurde ihr Roman La Vagabonde für den Prix Goncourt, einer der wichtigsten französischen Literaturpreise, nominiert.

Ihr Leben spiegelte sich in den weiblichen Figuren ihrer Romane. Die Frauen treten, gerade in erotischen Belangen, selbstbewusst auf. Colette thematisierte die unmögliche Liebe zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau, ein Thema, das leider auch heute nichts von seiner Aktualität verloren hat – frau blicke nur zum jetzigen französischen Präsidenten und seiner Frau.
Auch Colettes dritter Ehemann sei deutlich jünger gewesen, heißt es in dem kenntnisreichen Nachwort. 1941 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft von der Gestapo verhaftet. Colette gelang es, seine Freilassung zu erwirken.

Zeit ihres Lebens war Colette, die 1954 von Gicht geplagt in Paris starb, eine leidenschaftliche Katzenliebhaberin. Auch in diesem Roman zeugen ihre feinen Beobachtungen der Katze, die präzisen Schilderungen ihres Verhaltens davon.

AVIVA-Tipp:Einen wunderschönen Band haben die beiden Verlegerinnen Brigitte Ebersbach und Sascha Nicoletta Simon herausgebracht. Der rosafarbene Leinenbuchrücken schleicht sich so harmlos an wie die Katze Saha durch die Kapitel, die eigentliche Protagonistin dieses schmalen und aktuellen Romans.

Zur Autorin: Colette, eigentlich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette, wurde 1873 in Burgund geboren. Die französische Varietékünstlerin, Journalistin und Schriftstellerin schrieb zwischen 1900 und 1903 die Claudine-Romane, die sie berühmt machten. Zu ihren bekanntesten Romanen gehören Chéri> (1920), Sido (1930) und Gigi (1944). Zahlreiche ihrer Romane wurden verfilmt. Colette gilt als die große Dame der französischen Literatur. Zwischen 1948 und 1959 entstand eine 15-bändige Ausgabe ihres Gesamtwerkes. Sie war die zweite Frau, die Mitglied der Académie Goncourt wurde. 1953 wurde sie zum Grand Officer der französischen Ehrenlegion ernannt. Als Colette 1954 starb, wurde sie mit einem pompösen Staatsbegräbnis geehrt.

Colette
Die Katze

Originaltitel: La Chatte
Aus dem Französischen von Elisabeth Roth
ebersbach & simon, Reihe: Klassiker Edition, erschienen am 15. August 2018
144 Seiten Lesebändchen, Fadenheftung. Einband: Halbleinen
ISBN 978-3-86915-156-4
18.00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.ebersbach-simon.de

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Bärbel Gerdes