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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 14.01.2019


Katherine Mansfield - Fliegen, tanzen, wirbeln, beben. Vignetten eines Frauenlebens 1903-1922. Mit einem Essay von Virginia Woolf
Bärbel Gerdes

"Das einzige Schreiben, auf das ich je eifersüchtig war!" So heißt es in Virginia Woolfs Tagebuch über die "Rivalin" Katherine Mansfield. Das schillernde, wirbelnde, in mehr als einer Hinsicht atemlose Leben der 1888 in Neuseeland als Katherine Beauchamp geborenen Autorin Mansfield zeigt sich in ihren persönlichen Aufzeichnungen, die seit Herbst 2018 in einer wunderbaren Manesse-Ausgabe vorliegen.




Katherine Mansfield preschte durch ihr Leben, als wüsste sie, dass es kein langes werden würde.

In Wellington wächst sie mit ihren drei Schwestern und ihrem Bruder in einem Bankiershaushalt auf. Schon früh entdeckt sie musische Begabungen: sie schreibt Kurzgeschichten, die sogar in einer SchülerInnenzeitung erscheinen, hat dann jedoch das Ziel, Cellistin zu werden. Die Jahre zwischen 1903 und 1906 verbringt sie mit ihrer Familie in London. Die Mädchen besuchen dort das Queen´s College. Hier begegnet sie zum ersten Mal der ebenfalls 1888 geborenen Ida Baker, die ihr zu einer lebenslangen Begleiterin werden wird.

Zurückgekehrt beschließt die fast Neunzehnjährige, Schriftstellerin zu werden und widmet sich der Liebe von Frauen und Männern. Ihre Tagebuchaufzeichnungen brennen. Mit ihr spüre ich das sogenannte sexuelle Begehren stärker als je mit einem Mann. Sie fesselt mich und versklavt mich, und ich bete sie und ihren vollkommenen Körper an. Sie wirft sich in dramatische Beziehungen, genießt, leidet und fragt sich, ob sich wohl auch andere Gleichaltrige so grenzenlos ´wollüstig´ fühlen, so fast krank vor Begehren.

1907 reist sie mit einer Reisegruppe durch den Urwald Neuseelands in das Maori-Gebiet. Sie beobachtet und schreibt. Erste Geschichten, die sie unter dem Pseudonym K.M. oder K. Mansfield veröffentlicht, erscheinen in einem australischen Literaturmagazin.

Doch auch dies kann sie nicht über die Sehnsucht nach England hinwegtrösten. Sie verabscheut die Alltäglichkeit ihrer Familie. Entwürdigend sei dieses Leben, die Bestellungen beim Metzger, die schmutzige Wäsche. Sie würden ihr Leben ruinieren.
Und so kehrt Mansfield 1908 alleine nach London zurück und stürzt sich erneut ins Leben. Sie verliebt sich in einen Mann, wird schwanger, heiratet überstürzt einen anderen, den sie noch in der Hochzeitsnacht verlässt, lebt in einer lesbischen Beziehung mit Ida Baker … Die Mutter reist aus Neuseeland an und schleppt ihre Tochter nach Bad Wörishofen, wo Katherine das Kind verliert – ob Fehlgeburt oder Abbruch ist nicht bekannt. Kaum Aufzeichnungen sind zu finden über die Jahre, die folgen. Doch die spärlichen zeigen eine Frau, die sich einsam und verlassen fühlt und der es schlecht geht. Veronal stand auf meinem Nachttisch, schreibt sie 1910, Vergessen – tief schlafen – verlockend! Aber ich nahm keins.

Nach der Rückreise ihrer Mutter, die sie kurze Zeit später enterbt, bleibt Katherine Mansfield ein halbes Jahr In einer deutschen Pension wohnen. Dieser 1911 erschienene Band enthält Kurzgeschichten, die die Verfassung der Autorin spiegeln, das absurde Essen mit den Pensionsgästen in Deutsche beim Fleisch, aber auch das verstörende DAS-KIND-DAS-MÜDE-WAR
Ich muss streiten um vergessen zu können, ich muss bekämpfen, um mich selbst wieder achten zu können. Ich muss mich nützlich machen, um wieder an das Leben glauben zu können., notiert sie in ihrem Tagebuch.

Nachdem Mansfield 1911 John Middleton Murry, den Herausgeber der Zeitschrift Rhythm kennenlernt, wird sie seine Mitarbeiterin und Geliebte, später seine Ehefrau. Auch er wird sie bis an ihr Lebensende begleiten in einer Beziehung, die schmerzliche Tiefen und kurze Höhen enthält, in der sich die beiden quälen und doch nicht loslassen. Gleichzeitig fördert er ihr Schreiben, veröffentlicht ihre Geschichten, führt sie in literarische Kreise ein.
1916 gibt es erste gravierende Anzeichen von Lungentuberkulose. Ida Baker, die zwischenzeitlich zu ihrem Vater nach Rhodesien gezogen war, kehrt zurück und macht das, was sie Katherine bereits 1908 versprach: sie wolle sie auf ihrem Weg zur Schriftstellerin unterstützen, auch finanziell. Denn leben kann Mansfield von ihren Einkünften nicht – auch drohende Armut wird eine stete Begleiterin bis an ihr Lebensende sein.
Ida Baker gibt ihre eigenen Pläne, Musikerin zu werden, auf und widmet ihr Leben fortan ihrer Freundin. Ihren Feldwebel wird Virginia Woolf später Ida Baker nennen und sich darüber ärgern, wenn diese bei ihren wenigen Besuchen, die Katherine ihr gestattet, gegenwärtig ist. Auch Mansfield selbst ist Ida gegenüber ambivalent. Sie braucht sie und ist auf sie angewiesen, gleichzeitig ist sie abgestoßen von deren Unterwürfigkeit und Selbstaufgabe.

Jedoch ermöglicht dies Katherine Mansfield, zu schreiben. Eine brennende Sehnsucht hat sie danach, gut zu schreiben, besser zu werden. Ihr Tagebuch ist hierfür Versuchs- und Übungsfeld. Sie entwickelt Geschichten aus dem, was ihr passiert, über die kleine kranke Katze genauso wie über ihr Leben mit Ida, über die Kündigung der Köchin genauso wie über die Mücke, die morgens aus ihrem Kaffeebecher trinkt. Sie reflektiert, schreibt ihre Träume auf. Fiktion wechselt sich ab mit tatsächlichen Begebenheiten.

1918 veröffentlicht sie in Virginia Woolfs Hogarth Press Prelude, das Dörte Hansen in ihrem Nachwort ein Meisterwerk nennt. Katherine Mansfield wendet sich damit ihrer alten Heimat Neuseeland zu. Diese Geschichten sind auch Andenken an ihren 1915 im Ersten Weltkrieg gefallenen Bruder. Aber alles muss geheimnisvoll, strahlend, nachleuchtend erzählt werden, weil du, meine kleine Sonne, untergegangen bist.

Die Sammlung Bliss (1920) mit ihrer atmosphärisch so dichten, psychologisch feinsinnigen Titelgeschichte verleitet Woolf zu dem Ausruf, sie (Mansfield) sei erledigt.
Ihr zu Lebzeiten größter Erfolg wird der 1923 veröffentlichte Band The Garden Party and Other Stories (dt.: Die Gartenparty).
The Dove´s Nest (1923, dt. Das Taubennest) enthält Das Puppenhaus. Wohl keine Leserin kann sich dieser Geschichte entziehen, die mit großer Empathie die Ausgrenzung zweier Kinder aus einer verarmten Familie beschreibt, die sich so sehr wünschen, einen Blick auf eben jenes Puppenhaus zu werfen, das einer wohlsituierten Mitschülerin gehört.

Mansfields Leben und damit auch ihre Aufzeichnungen werden zunehmend überschattet von ihrer Krankheit und der Angst vor dem Tod, die wuchs & wuchs & wuchs ins Unermessliche. Gemeinsam mit Ida fährt sie zu Kuren nach Italien und in die Schweiz, zu einer Strahlentherapie nach Paris. Die zerrüttete Beziehung zu Murry fordert ihre Kräfte.
1922 reist sie in der Hoffnung auf Heilung nach Fontainebleau, wo der Esoteriker Georges Gurdjieff sein Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen leitet. Dort stirbt sie am 9. Januar 1923 nach einem Blutsturz.

Niemand nahm das Schreiben so ernst wie sie, verbeugt sich Virginia Woolf 1927 in ihrer Rezension des Journal of Katherine Mansfield vor ihrer Kollegin und Freundin. Auf sämtlichen Seiten ihres Tagebuchs, so intuitiv und flink sie daherkommen, ist ihre Haltung zu ihrem Werk bewundernswert überlegt, schonungslos und nüchtern., schreibt sie und bescheinigt ihr ein unheimlich sensibles Gemüt.

AVIVA-Tipp: Ein unbedingter Lesetipp ist dieser Auszug aus den Tage- und Notizbüchern Katherine Mansfields. Ihre sprachliche Eleganz, Empathie und auch Bissigkeit werden hier sichtbar. Einziger Wermutstropfen ist, dass der Verlag die Leserin umherirren lässt in dieser unkommentierten Ausgabe, so dass oft nicht nachzuvollziehen ist, in welchem Land, an welchem Ort wir uns gerade befinden. Eine Hilfe ist es, das Nachwort zuerst zu lesen.

Zur Autorin: Katherine Mansfield, wurde am 14.10.1888 in Wellington, Neuseeland, als Katherine Beauchamp geboren. Ab 1908 lebte sie in England. Zu ihren Werken gehören die Kurzgeschichten-Sammlungen Prelude (1918), Bliss (1920) und The Dove´s Nest 1923. Ihr größter Erfolg zu Lebzeiten wurde die 1922 veröffentlichte Sammlung The Garden Party and Other Stories. Posthum erschien 1924 Something Childish. Katherine Mansfield starb am 9. Januar 1923 in Fontainebleau.
Mehr Inforationen über Katherine Mansfield: www.fembio.org und www.katherinemansfieldsociety.org

Die Übersetzerin: Irma Wehrli geboren 1954 in Liestal, studierte Anglistik, Germanistik und Romanistik an der Universität Basel (lic.phil. I, "summa cum laude"). 1980 zog sie nach Davos um, wo sie sich lange in diversen Bereichen der ehrenamtlichen und Freiwilligenarbeit (Menschenrechte, Umwelt, Kirche) engagierte. Sie ist selbständige literarische Übersetzerin seit 1984, mit den Schwerpunkten klassische englischsprachige AutorInnen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Westschweizer Gegenwartsliteratur. 2011 erhielt sie das Zuger ÜbersetzerInnenstipendium für ihre Arbeit an Thomas Wolfes "Of Time and the River". Unter anderem übersetzte sie Willa Cather, Oscar Wilde, Thomas Hardy und Elizabeth Bowen.
www.viceversaliteratur.ch

Der Herausgeber: Dr. Horst Lauinger studierte 1985–1992 Deutsche Philologie, Philosophie sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Salzburg und Marburg an der Lahn (Hessen). Er leitet den Menasse-Verlag.

Nachwort: Dörte Hansen, 1964 in Husum geboren, ist Journalistin und Schriftstellerin. Ab 1984 studierte sie in Kiel Soziolinguistik, Anglistik, Romanistik und Frisistik. 1994 wurde Hansen an der Universität Hamburg mit einer soziolinguistischen Arbeit promoviert. Sie arbeitete für mehrere Hörfunksender, bis 2012 als Kulturredakteurin bei NDR Info. Bekannt wurde sie 2015 mit ihrem Roman Altes Land, das im selben Jahr mit dem Preis Lieblingsbuch des Jahres des unabhängigen Buchhandels ausgezeichnet wurde sowie 2016 mit dem Usedomer Literaturpreis. 2018 erschien Mittagsstunde. Dörte Hansen lebt in Husum.

Katherine Mansfield
Fliegen, tanzen, wirbeln, beben. Vignetten eines Frauenlebens 1903-1922

Mit einem Essay von Virginia Woolf
Aus dem Englischen übersetzt von Irma Wehrli
Nachwort von Dörte Hansen
Herausgegeben von Horst Lauinger
Manesse Verlag, erschienen am 15.10.2018
384 Seiten
ISBN 9978-3-7175-2482-3
22,00 Euro
Mehr zum Buch: www.randomhouse.de

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Katherine Mansfield - Ãœber die Liebe. Katherine Mansfield - In einer deutschen Pension
Am 9. Januar 2013 jährte sich der Todestag der neuseeländischen Autorin Katherine Mansfield zum 90. Mal. Sie gilt als Erneuerin der englischen Kurzgeschichte und ihre wunderbaren Erzählungen sind bis heute lesenswert geblieben. (2013)

Katherine Mansfield in "Im Zimmer meines Lebens. Biografische Essays über Sylvia Plath, Gertrude Stein, Virginia Woolf, Marina Zwetajewa u.a."
Die Autorin wählt einen thematischen Mittelpunkt, der viel mehr beinhaltet, als vier Wände und einen Tisch: Den "Kampf um das eigene Zimmer, die Suche nach dem Platz zum Schreiben, dem Raum der Kreativität" von Schriftstellerinnen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. Frieling ist in ihren kurzen Essays Problemen auf der Spur, denen "alle schreibenden Frauen gleichermaßen unterworfen sind", zeigt eine Gratwanderung und Zerreißprobe auf, die Gesellschaft und Familie insbesondere für Frauen bereithalten. Hinzu kamen die Kriege und Umwälzungen einer Epoche der Extreme – viele Künstlerinnen gingen daran zugrunde. (2010)

"Katherine Mansfield. In einer deutschen Pension", gelesen von Nina Hoss
Ein Kuraufenthalt im idyllischen Bayern, wie spannend... "Und ob!", scheint uns die Autorin zurufen zu wollen. Denn in ihren Erzählungen unterhält sie mit bissigen Pensionsgeschichten. (2007)

Katherine Mansfield in "Grenzgängerinnen der Moderne"
Der Band "Gelebte Sehnsucht", herausgegeben von Susanne Nadolny und erschienen bei der Edition Ebersbach, stellt 8 Künstlerinnen vor. Von Helen Hessel über Claire Goll bis Annemarie Schwarzenbach. (2006)

Katherine Mansfield in "Schwarze Katzen - Bunte Katzen"
"Künstlerinnen und Schriftstellerinnen & ihre Katzen", vorgestellt von Britta Jürgs, Herausgeberin des AvivA-Verlags. Exemplarische Bild-Texte dokumentieren den immensen Einfluss der Tiere auf die Frauen und ihr Schaffen. Hanna Höch, Paula Modersohn-Becker, Katherine Mansfield, Leonor Fini, Alice Schwarzer, Rita Mae Brown und viele andere kreative Frauen kommen zu Wort und zeigen ihre Kunst. (2005)

Häufig erwähnt wird Mansfield auch in: Frances Spalding - Virginia Woolf. Leben, Kunst & Visionen



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Beitrag vom 14.01.2019

Bärbel Gerdes