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Beitrag vom 12.12.2010
Jo Kyung Ran - Feine Kost
Claire Horst
Filme übers Essen gibt es genug. Eat Man Drink Women, Das große Fressen oder Chocolat fallen der Cineastin auf Anhieb ein. Mit Worten statt Bildern den Appetit anzuregen ist nicht ganz so leicht...
...Doch Jo Kyung Ran, einer in Südkorea sehr bekannten Autorin, ist das mit ihrem aktuellen Roman gelungen. Selbst Spiegeleier beschreibt sie so köstlich, dass der Leserin das Wasser im Mund zusammenläuft.
Ihre Protagonistin Ji-Won ist Köchin in einem italienischen Edelrestaurant. Seit ihr Freund sie verlassen hat, hat sie allerdings ihren Geschmackssinn verloren und sinnt nur noch auf Rache. Ihr Kochstudio, mit dem sie sich selbständig gemacht hatte, hat sie geschlossen. Denn mit einer ihrer Schülerinnen, der bildschönen und magersüchtigen Schauspielerin Sae-Jon, lebt ihr Geliebter jetzt zusammen.
Die sieben Monate, über die sich die Romanhandlung zieht, verbringt Ji-Won mit Kochen, Rezepteschreiben und der Planung ihrer Rache. Und die hat natürlich mit dem Kochen zu tun...
Rans Roman ist eine detaillierte Psychostudie einer einsamen und unglücklichen Frau. Deren Umfeld besteht nur aus ihrem Chef, einem genialen Koch, einer einzigen Freundin, ihrem alkoholkranken Onkel und dem Hund, den ihr Freund bei ihr zurückgelassen hat. Ji-Wons zunehmende Vereinsamung zeigt sich unter anderem daran, dass der Hund in der Wohnung verwahrlost und nicht mehr ausgeführt wird. Dem Onkel schmuggelt sie Getränke in die Klinik – denn sonst kann sie nichts für ihn tun, glaubt sie. Wie sie selber hat auch ihn der lieblose familiäre Hintergrund zerstört.
Ji-Wons Analysen der psychischen Probleme ihrer Bekannten hängen immer mit deren Essgewohnheiten zusammen, und auch ihr Onkel hat sich als Psychologe auf Essstörungen spezialisiert. Liebe wie Hass äußert diese ungewöhnliche Frau über das Kochen für ihre Mitmenschen. Und so übersteht sie selbst eine Vergewaltigung mit dem Gedanken an die Zubereitung ihres eigenen Körpers: "Bevor Sie mich opfern, bestreuen Sie meinen Kopf bitte mit Weizenmehl. Und garnieren Sie mit kleinen Maiskolben. Na los, töten Sie mich! Und essen Sie mich schnell auf."
Brutal und feinfühlig zugleich beschreibt die Autorin die Psychologie ihrer Ich-Erzählerin, lässt die Ursache ihrer Gestörtheit Seite für Seite deutlicher werden. An Kindheit und Liebesleben, Freundschaften und Berufsleben erinnert sich Ji-Won mit Distanz und Schmerz zugleich, verbunden sind sie alle mit dem Geschmack von Gemüse, Fleisch und Gewürzen. Essen ist Strafe und Belohnung zugleich, die einzige Verbindung zu ihrem eigenen Körper.
AVIVA-Tipp: Als es zum furiosen Finale kommt, ist die Leserin schon so im Bann der Gewürze und feinsten Zutaten, dass sie erst auf den letzten Seiten bemerkt, welchem Rezept sie gerade nachschmeckt. Mitleid mit der vollends in ihrem Rachefeldzug verstrickten Protagonistin und Faszination für ihre ausgefeilte Methode halten sich die Waage mit dem Ekel, während der Geschmack des ungewöhnlichen Gerichtes sich imaginär im Mund ausbreitet...
Zu der Autorin: Jo Kyung Ran wurde 1969 in Seoul geboren. In ihrer Heimat ist die südkoreanische Autorin ein Star, sie zählt zu den wichtigsten neuen literarischen Stimmen des Landes. Ihre Romane und Erzählungen wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, für "Feine Kost" erhielt sie 2008 den renommierten Donghin Prize. Der Roman wurde in zehn Länder verkauft. (Verlagsinformationen)
Jo Kyung Ran
Feine Kost
Originaltitel: Tongue
Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel und Angelika Winkler
Sammlung Luchterhand, Erscheinungstermin: 15. November 2010
Taschenbuch, Klappenbroschur, 288 Seiten
ISBN: 978-3-630-62185-2
9,00 Euro