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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.03.2015


Naomi Klein - Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima
Anna Solovei

Die kanadische globalisierungskritische Aktivistin, Schriftstellerin und Journalistin fordert eine Entscheidung: ein konsumorientierter Lebensstil, der das Leben auf der Welt in naher Zukunft...




... unmöglich machen wird, oder ein Kurswechsel, der eine emanzipierte, klimafreundliche Gesellschaft etablieren kann.

Auf 560 Seiten beschäftigt sich die Autorin mit der Fossilindustrie und ihren Auswirkungen auf die Umwelt, mit alternativen, gesellschaftlichen Organisationsformen, mit der Entlarvung von Umweltschutzorganisationen und Unternehmer_Innen, und mit unterschiedlichen Strömungen der Klimaschutzbewegung. Über ihre beachtliche Recherche hinaus legt sie ihrem aktuellen Werk eine Analyse der vorherrschenden Ideologien sowie deren historischen Ursprung zu Grunde.

Klimaschutz - das Konzept einer neuen Wirtschaftsweise

Wie schon dem Titel zu entnehmen ist, stellt Klein dem Kapitalismus den Klimaschutz als entgegengesetztes Konzept gegenüber. Der Kapitalismus der nach Klein auf einer extraktivistischen Wirtschaftsweise, worunter eine permanente Ausbeutung fossiler Rohstoffe zu verstehen ist, führt zum Anstieg des Emissionsausstoßes und dieser wiederrum zum Klimawandel. Der Klimaschutz, der sich damit zum Kernthema des politischen Diskurses wandelt und einen Kurswechsel bezüglich der Wirtschaftsweise nach sich zieht, begegnet allerdings stark manifestierten ideologischen Barrieren seitens der Fossilindustrie.

Die Fossilindustrie und ihre Maßnahmen gegen eine Alternative

Klein stellt uns verschiedene Projekte vor, die von der Fossilindustrie finanziert werden und die Vehemenz der Verweigerung gegenüber alternativen Wirtschaftsweisen verdeutlichen.
Sie erzählt von Konferenzen, auf denen der Klimawandel relativiert bis hin geleugnet wird, von Geo-Engineering, einem Forschungszweig, der sich mit kurzfristigen Maßnahmen zur Senkung der Durchschnittstemperatur beschäftigt. Dabei beschreibt sie verschiedenste Methoden wie die "Pinatubo-Option", welche auf dem Versprühen von Sulfat in der Stratosphäre basiert. Die erwünschte Folge: "Die Tröpfchen fungieren als winzige, lichtstreuende Spiegel, die verhindern, dass die Hitze der Sonne mit voller Intensität auf die Erdoberfläche gelangt. [...] Die Methode ist relativ billig, und wenn sie funktioniert, würde der Kühleffekt ziemlich schnell einsetzen". Die Konsequenzen dieser Methode: Die Niederschläge werden weltweit beeinflusst. Afrika und Teile Asiens werden verstärkt mit Dürreperioden konfrontiert sein, und Monsune, die als wichtigste Niederschlagsquelle in spezifischen Teilen der Erde dienen, setzen aus. Dabei weist uns Klein mit diesem Beispiel auf ein in der Geschichte der Menschheit immer wiederkehrendes Phänomen hin: Die Fokussierung auf die Bekämpfung von Symptomen anstatt von Ursachen.

Ein weiteres Beispiel sind die zurzeit weit verbreiteten und in immer größeren Maßstäben expandierenden unkonventionellen Abbaumethoden fossiler Rohstoffe wie zum Beispiel Fracking, die oft als saubere Alternative zu konventionellen Methoden der Energiegewinnung aus Kohle und Erdöl dargestellt wird. Klein widerlegt diese Behauptungen mit erschreckenden Zahlen. Sie führt unter anderem die Studie der Colorado School of Public Health an, die nachgewiesen hat, dass in unmittelbarerer Nähe von Fracking-Abbaugebieten das Risiko, Kinder "mit angeborenen Herzfehler zu bekommen zu 30%" ansteigt.

Unfruchtbarkeit als Ergebnis eines konsumorientierten Lebensstils

Genau diese Zahlen veranlassten Klein, dieses bemerkenswerte Werk zu verfassen: Sie möchte nicht nur die Seilschaften der Fossilindustrie, die verschiedenen Widerstandsbewegungen von indigenen Völkern gegen Abbaugebiete dokumentieren oder uns eine Analyse des heutigen Wirtschaftssystems darlegen und Alternativen aufzeigen. Es ist auch ihre eigene Mutterschaft und die Unfruchtbarkeit mit der sie über mehrere Jahre hinweg konfrontiert war, die sie letztendlich dazu anregte über Konsequenzen unseres heutigen Lebensstils nachzudenken, denn der Klimawandel löst ungemein hohen Druck auf die Existenz verschiedenster Spezies aus. Klein erzählt uns von der Meeresschildkröte aus deren Eiern kaum noch Jungen schlüpfen, weil der Sand, in dem die Eier vergraben werden zu heiß ist, sie schildert die Verhaltensweisen riffbildender Korallen, die auf Grund von hohen Temperaturen mittelweile so hungrig sind, dass sie ihre eigenen Eier und Spermien verzehren und damit ihre Fortpflanzung verhindern. Im Vorwort berichtet Klein, wie sie ihrem Sohn ein Buch über einen Elch vorliest und sich selbst dabei die Frage stellt ob dieser jemals einen sehen wird. Der Grund: im Teersandgebiet in Nord-Alberta erkranken immer mehr Elche an Krebs, da sie Wasser zu sich nehmen das mit Teersandgiften verseucht ist, darüber hinaus verkleinern sich die Elchpopulationen in den North Woods ebenso wie in Minnesotas stetig.

Es ist alles zugleich: brillant recherchierte Berichterstattung, tiefgehende Analyse und eine Sammlung politischer Handlungsempfehlungen. Naomi Klein legt ein Buch vor, das zum Nachdenken unseres gegenwärtigen konsumorientierten Lebensstils anregt indem sie uns die bitteren Konsequenzen direkt vor Augen führt. Sie belässt es aber nicht dabei, sie benennt keine konkrete Alternative, legt aber die Merkmale dieser in aller Ausführlichkeit dar und schöpft damit Hoffnung. Bei "Kapitalismus vs. Klima" handelt es sich um kein reines Sachbuch, das von trockenen und komplexen Formulierungen gekennzeichnet ist. Klein verwendet einen einfachen, jeder und jedem zugänglichen, lebhaften Schreibstil, der sich durch Metaphern auszeichnet, Emotionen und Temperament hat und an einigen Stellen Wertungen nicht ausschließt. Der Vorwurf der "Pseudo- Wissenschaftlichkeit" scheint an einigen Stellen berechtigt zu sein, verschwörungstheoretische Ansätze, wie sie Klein oft vorgeworfen werden, müssen zurückgewiesen werden. Das Buch ist mit zahlreichen Fußnoten versehen, die ein mit Quellen bestücktes 93seitiges Register ergeben. Jede aufgestellte These ist von Klein mit zahlreichen Studien und Beispielen belegt.

AVIVA-Tipp: Naomi Klein hat mit ihrer neuesten Veröffentlichung abermals bewiesen, dass sie eine herausragende und mutige Journalistin ist, die ihrer Gesellschaftskritik keine Grenzen setzt. Sie fürchtet sich auch nicht davor, ihren Werken eine persönliche Note zu verleihen und damit Emotionen miteinzubeziehen. Ihr Buch motiviert dazu, den Status quo zu überwinden und zur Tat zu schreiten.

Zur Autorin: Naomi Klein: ist eine vielfach ausgezeichnete Journalistin, Kolumnistin und Autorin des internationalen Bestseller "No Logo!", der in 28 Sprachen übersetzt und von der New York Times als "Bibel einer Bewegung" bezeichnet wurde. Sie schreibt und berichtet regelmäßig für große Sender und Zeitungen wie CNN, BBC, The Los Angeles Times, The Washington Post, RAI, CBC. 2003 erschien eine Sammlung ihrer Aufsätze unter dem Titel "Über Zäune und Mauern: Berichte von der Globalisierungsfront". 2004 schrieb und co-produzierte sie ´The Take´, eine preisgekrönte Dokumentation über die anti-kapitalistische Bewegung in Argentinien. Naomi Klein ist Miliband Fellow an der London School of Economics und hält einen Ehrendoktortitel für Zivilrecht der University of King´s College, Neuschottland. Klein ist mit dem Journalisten Avi Lewis verheiratet und lebt in Toronto.
Website der Autorin: www.naomiklein.org

Naomi Klein
Die Entscheidung- Kapitalismus vs. Klima

Originaltitel: This changes everything. CAPITALISM VS. THE CLIMATE
Aus dem Englischen von Christa Prummer-Lehmair und Sonja Schuhmacher und Gabriele Gockel
S. Fischer Verlag, erschienen März 2015
Gebunden, mit Schutzumschlag, 560 Seiten
ISBN: 978-3-10-002231-8
26,99 Euro
www.fischerverlage.de

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Naomi Klein – Die Schock- Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen Kapitalismus

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Beitrag vom 24.03.2015

AVIVA-Redaktion