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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 14.01.2022


Evke Rulffes - Die Erfindung der Hausfrau. Kinder, Küche und Karriere? Über Arbeitsteilung, Rollenbilder und gekippte Machtverhältnisse
Isabel Rohner

Wer Hedwig Dohm, Simone de Beauvoir, Gerda Lerner oder Elisabeth Badinter gelesen hat, weiß es schon längst. Dennoch wird es mal wieder Zeit, es zu wiederholen: Die Hausfrau, wie wir sie heute kennen, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Ihre Rolle wurde durch frauenfeindliche Gesetze festgetackert bis sie vermeintlich zum "natürlichen Zustand" wurde. Ein Stereotyp, das sich bis heute hartnäckig hält. Die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes zeichnet einen Teil der Geschichte der Hausfrau nach.




Frau muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen und um die Zukunft aktiv gestalten zu können. Besonders produktiv ist dies, wenn es um Geschlechterstereotypen und etablierte Rollenbilder geht. Denn auch wenn das Mantra seit hunderten von Jahren wiederholt wird: An Geschlechterrollen ist nun wirklich nichts natürlich, sondern sie sind Ergebnisse von Erziehung, Bildungszugang und gesetzlichen Rahmen. Letztere bspw. haben die Frauen bis vor nicht allzu langer Zeit (in der Schweiz z.B. bis 1971) aus der Gesetzgebung ausschlossen und ihnen - zumal, wenn sie verheiratet waren - Mobilität, Berufstätigkeit und Besitz limitiert.

Die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes hat sich die Geschichte der "Hausfrau" genauer angeschaut. Dabei nimmt sie insbesondere den Zeitraum vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in den Blick, mit Schwerpunkt auf der Spätaufklärung.

So beschreibt die Autorin lesenswert, wie stark Frauen im Mittelalter in Zünften und Berufen vertreten waren und wie sie mit dem Wachstum der städtischen Gesellschaften ab dem 15. Jahrhundert nach und nach verdrängt wurden. Sie führt vor Augen, wie wichtig und verbreitet das gemeinsame Arbeiten von Eheleuten in unterschiedlichen Berufen war und wie stark die Rolle der sogenannten "Hausmutter", die einem landwirtschaftlichen Betrieb vorstand, und ihn und seine Beschäftigten organisierte. Evke Rulffes zeigt nachvollziehbar, wie die "Hausmutter" im 18. und 19. Jahrhundert mehr und mehr – aus ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen - dem Konzept der bürgerlichen Hausfrau wich, die die Dienstleistungen in ihrem Haushalt selber erledigen musste, die vormals gegen Bezahlung ausgeführt wurden.

Leider stellt Evke Rulffes keine Verbindung zwischen diesem Prozess und den Forderungen im Kontext der Frauenbewegungen her. Denn natürlich wurde die Trennung von öffentlicher Sphäre/Berufstätigkeit gegen Bezahlung für den Mann und heimischer Sphäre / unbezahlte Arbeit und Abhängigkeit für die (bürgerliche) Frau, schon früh kritisiert – unter anderem natürlich auch von der bereits oben erwähnten Hedwig Dohm (und vielen anderen). Auch die Rolle der Gesetzgebung im Konzept der "Hausfrau" liegt nicht im Fokus der Autorin, sie wird am Ende des Buches auf lediglich fünf Seiten abgehandelt. Gerade mit Blick auf die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts wäre dies jedoch sehr interessant und ergiebig gewesen: Mit den Bildungszugängen, die sich die Frauen ab der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert erkämpften, stieg auch ihre Erwerbstätigkeit und ihre Unabhängigkeit. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die rechtlichen Kompetenzen des Ehemanns über die Kindererziehung, die Berufstätigkeit der Ehefrau oder ihre Möglichkeiten, ein eigenes Bankkonto zu haben oder den Führerschein zu machen, langsam aber sukzessive zurückgedrängt und neue Frauenbilder und Vorstellungen von Beziehungen entstanden.

Evke Rulffes Schwerpunkt jedoch liegt nicht im 20. und 21. Jahrhundert, sondern Ende des 18. Jahrhunderts und dort insbesondere auf einem Werk: dem Haushaltsratgeber "Die Hausmutter in allen ihren Geschäften" (1778-1781) von Christian Friedrich Germershausen.

Über dieses fünfbändige Werk und seine Auswirkungen auf das Frauenbild im 18. und 19. Jahrhundert hat die Autorin 2018 auch promoviert. So ist denn auch zu erklären, warum Germershausens Werk in der "Erfindung der Hausfrau" anders als andere Autor*innen und deren Werke sehr viel und detailreich Raum einnimmt. Rulffes widmet Germershausen ungefähr drei Viertel (!) ihres knapp 260-seitigen Buches (plus Anhang).

Kulturhistorisch sind ihre Ausführungen zu Germershausen dabei durchaus spannend, an vielen Stellen und mit Blick auf die Zielsetzung einer Kulturgeschichte der Hausfrau - "Von der Herrin im Haus zur Dienerin am Mann" lautet die Überschrift auf dem Back-Cover – jedoch etwas einseitig. Der politische Bogen ins Heute gerät ins Abseits und wird am Ende auf nur wenigen Seiten etwas allzu knapp nachgeliefert.

Gerade der Bezug zum Heute wird vom Verlag jedoch beworben – Untertitel auf der Verlagsseite: , Text auf dem Back-Cover: "Warum haben vor allem Frauen, allen voran Mütter das Gefühl, sie müssten alles alleine schaffen? Warum ist es ihnen unangenehm, sich Hilfe zu organisieren? Warum bleibt selbst das Organisieren von Hilfe an ihnen hängen?" All diese Fragen mit Germershausen zu erklären – was mit Sicherheit nicht die Absicht der klugen Autorin war! -, funktioniert allerdings nicht.

Zur Autorin: Evke Rulffes ist Kulturwissenschaftlerin. Sie promovierte 2018 an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Arbeit über "Die angewiesene Frau. Christian Friedrich Germershausens ›Hausmutter‹«, in der sie mit alten Haushaltsratgebern der Spätaufklärung beschäftigte. Außerdem ist sie Redaktionsmitglied der Zeitschrift ilinx – Berliner Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sie lebt heute als Kuratorin und Autorin in Berlin.
Mehr Infos: evkerulffes.de

AVIVA-Tipp: Wer gerne wissenschaftliche, kulturhistorische Sachbücher liest und sich für die Zeit der Spätaufklärung und ihre Ratgeberliteratur interessiert, erfährt im Buch von Evke Rulffes viel Interessantes und Lesenswertes. Wer eine Kulturgeschichte bis heute erwartet, wird irritiert sein. Dazu ist der Fokus auf Germershausen zu dominant.

Evke Rulffes
Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung

Kinder, Küche und Karriere? Über Arbeitsteilung, Rollenbilder und gekippte Machtverhältnisse
HarperCollins, erschienen 2021
288 Seiten
22 Euro
Mehr zum Buch: www.harpercollins.de



Literatur > Sachbuch

Beitrag vom 14.01.2022

AVIVA-Redaktion