Ute Scheub - Heldendämmerung - Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 18.03.2010


Ute Scheub - Heldendämmerung - Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist
Undine Zimmer

"Die männliche Identität ist fragiler als die weibliche!", so die zentrale Aussage der Journalistin und Autorin Ute Scheub. In ihrem Buch eröffnet sie uns eine wahrhaft provokante These, die in...




...Kontrast zu allem steht, was die Geschichte uns bisher über die Konstruktion von "Männlichkeit" gelehrt hat, oder nicht?

Würden die Bedingungen der Gleichberechtigung für alle - Frauen und Männer, verbessert, könnten sich notwendige strukturelle Verbesserungen für beide entwickeln, so das Hauptargument der Autorin. Positive Veränderungen können jedoch kaum herbeigeführt werden, ohne dass die ungleiche Verteilung von Macht und Zugang zu Bildung aufgehoben wird. Machtgefüge, die Frauen den Zugang zu Bildung und Bürgerrechten verweigern, nehmen sich demnach selbst das Potential für ihre eigene Entwicklung.

Ihre Hauptthese untermauert Scheub in fünf Kapiteln mit zahlreichen Beispielen, Anekdoten, kulturwissenschaftlichen Exkursen, ExpertInneninterviews und eingeflochtenen Reportagen. So profitiert besonders das Kapitel über Afghanistan von ihrem persönlichen Engagement in Projekten, wie dem "Verein zur internationalen Völkerverständigung Scheherazade e.V.", in Kabul.

Wer regiert die Welt? Bestandsaufnahme hegemonialer Männlichkeit

Scheub eröffnet das erste Kapitel mit einer Analyse von Europas mächtigsten Köpfen und versieht sie mit zu ihrem Führungsstil passenden Spitznamen: Obama wird zu Obamerika, dazu gesellt sich Muschik (Macho) Putin, Sarkozy wird zu Super-Sarko dem bling-bling Präsident. Nicht zuletzt finden auch die Merkeleien der Angela Merkel - der "Königin mit dem mächtigen Dekolletée" - Erwähnung.

Frauen sind nicht friedlich und Männer nicht kriegerisch

Zumindest nicht von Natur aus, behauptet Scheub und zieht eine Reihe von WissenschaftlerInnen und ExpertInnen im Interview, Studien zu Kinderverhalten und Hirnforschung heran. Damit übt sie Kritik an der Forschung, die geschlechtliche Aggressions-Unterschiede biologisch zu verifizieren versucht. Das Fazit lautet: Die Geschlechter Aggression ist kulturell anerzogen, Frauen besitzen neurologisch gesehen nicht weniger Aggressionspotential als Männer, leben es aber kulturell bedingt unterschiedlich aus. Scheub glaubt aber, dass es auch anders geht und verweist auf ForscherInnen, die 25 friedliche Gesellschaften präsentiert haben, welche geschlechtsegalitär sind. Diese Beispiele dienen wohl als Idealbild einer kosmopolitischen Gesellschaft, in der im nächsten Schritt auch Frauen als Vermittlerinnen in Aktion treten werden.

Die Potenz des Deutschen Helden ist seine Waffe

Seit spätestens dem Kaiserreich verschmilzt die Potenz der deutschen Männlichkeit im Militär und in seiner Waffe. Diese gab ihm die nötige Autorität und Haltung, als Familienoberhaut und Versorger zu agieren. Nimmt man ihm die Waffe, so die Konsequenz, nimmt man ihm die Potenz. Das Fazit lautet also wenig überraschend, der deutsche Mann und der deutsche Vater befinden sich in einer großen Krise. Denn dazu tragen die deutschen Männer den Schuldkomplex des Zweiten Weltkrieges in sich und dies äußert sich heute oftmals in Fremdenhass. Dem gegenüber gestellt wird die heutige Medialisierung von Männlichkeit und Machismos, der sich Scheub in einem kulturwissenschaftlichen Exkurs über Bushido widmet.

In afghanischen Dörfern wird an den Fäden globaler Politik gesponnen

Religiöser Fanatismus, extremer kultureller und sozialer Druck, einhergehend mit sexueller Frustration oder Nichtvorhandensein von Sexualität, bietet laut Scheub die Grundlage für eine Psychoanalyse der Männlichkeit von Attentätern und Selbstmordattentätern. Der 11. September wird aus dieser Perspektive betrachtet als ein Resultat von Vaterkomplex und gekränkter Männlichkeit.
Die patriarchalischen Strukturen in den von Scheub genannten Gesellschaften basieren auf einem stark ausgeprägt machistischem Männlichkeitsbild. Diese bedienen sich der Mechanismen von Folter und Ausbeutung, Unterdrückung der Frau, abnormer Gewalt, Machismos und Homophobie um ihre Stärke aufrecht zu erhalten. Daraus folgen aber, wie Scheub darstellt, tiefe männliche Identitätskrisen, für die es keinen Raum in der patriarchalischen Gesellschaft gibt und die in fanatischen Formen ein Ventil suchen. Zugespitzt könnte man sagen: Männlichkeit wirkt selbstzerstörend auf Männlichkeit wo Weiblichkeit kein Raum gegeben wird.

Gleichberechtigung

Das letzte Kapitel wird Erfolgsgeschichten gewidmet. Wie die Erfolgsgeschichte des NGO "Sonke Netzwerk" in Afrika, das sich für Geschlechtergerechtigkeit in Privathaushalten einsetzt. Die lange und grausame Geschichte des Vergewaltigens, das in der afrikanischen Gesellschaft immer noch allzu präsent ist, wird zur Hintergrundfolie für starke Frauenorganisationen in Afrika, die anders als hierzulande rege Kooperationen mit Männern führen. Afrika wird somit zum Erfolgsbeispiel und Vorbild gleichberechtigter Zusammenarbeit. Ebenso wird die Frauenorganisation im Kosovo zum Beispiel für einen Kampf der Geschlechter, der gemeinsam ausgetragen wird. In einem Konflikt mit den UNO-Friedenstruppen stellten sich die kosovaischen Soldaten auf die Seite der Frauenorganisation, indem sie sich selbst als Feministen bezeichneten.

AVIVA-Fazit: Worum es Ute Scheub geht, sind die Verhältnisse von Herrschaft und Gewalt, Täter und Opfer. Die größten Bedrohungen für globale männliche Macht sind jedoch nicht gleiche Bildungschancen für Frauen und die Gleichberechtigung, sondern, so Scheub, die Veränderung. Scheub beschreibt Komplexes und Umfassendes in einem lockereren Stil mit vielen literarischen Anspielungen. Die Autorin scheint ihre Vergleiche von überall nehmen zu können und so kann auch der Erfolg einer Frauenorganisation in Ruanda für den europäischen Kontext als Vorbild fungieren. Die Stärke des Buches liegt vor allem in einzelnen Abschnitten, die auch für sich stehen können. Im Ganzen werden Thesen streckenweise zu polemisch zusammengefasst, etwa dann, wenn die Autorin zuspitzt: "`Das Patriarchat gefährdet Ihre Gesundheit, es tötet, Frauen und Männer` könnten Gesundheitsminister als Warnbanderole auf Zigarettenschachteln und Bierflaschen kleben".

Zur Autorin: Ute Scheub ist Autorin und freie Journalistin. Sie war 1978/79 Mitbegründerin der "taz" und 2003 des deutschen Frauensicherheitsrats. Mit ihrer afghanischen Freundin hat Scheub den "Verein zur internationalen Völkerverständigung Scheherazade e.V." gegründet. Seit Herbst 2006 ist sie europäische Koordinatorin des weltweiten Projektes "1000 Peacewomen Across the Globe". Weitere Infos und Kontakt: www.utescheub.de

Ute Scheub
Heldendämmerung - Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist

Pantheon, Klappenbroschur, 1. Auflage März 2010
400 Seiten
ISBN 978-3-570-55110-3
14,95 Euro

Weitere Infos finden Sie unter:

www.1000peacewomen.org

www.frauensicherheitsrat.de

www.afghanistan-nimroz.de


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Beitrag vom 18.03.2010

Undine Zimmer