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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 24.10.2016


Marianne Faithfull - No exit
Silvy Pommerenke

Die Grande Dame des Rock´n´Roll, das ehemalige Enfant terrible, präsentiert ihre besten Songs der letzten 50 (!) Jahre auf der Bühne und wirkt unglaublich anrührend, wie sie mit Gehstock auf die Bühne schreitet ...




... begleitet durch eine vierköpfige Band, von der einige Mitglieder gut als ihre Enkel durchgehen könnten (das Publikum mit ergrautem Haar ist selbstredend auch in die Jahre gekommen, und statt ausgelassenem Tanzgemenge wird gepflegt auf Bestuhlung gesessen und bestenfalls mit der Fußspitze gewippt).

Dabei hat ihre Musik nichts an Energie verloren, die Stimme beeindruckt nach wie vor durch das kratzig-heisere, leicht nasale. Es gibt keine zweite Stimme wie ihre, weswegen sie wohl auch so viele Jahrzehnte auf der Bühne erfolgreich war bzw. immer noch ist.

Sehr amüsant sind ihre Zwischenansagen und die (sich hoffentlich erfüllende) Prophezeiung, dass sie, wenn sie vielleicht keine weiteren fünfzig Jahre, so doch wenigstens noch zwanzig Jahre auf der Bühne stehen wird. Sie kommt ins Plaudern, lässt sich zwischendurch von ihrem personal assistant einen Sessel bringen, um ihre kaputte Hüfte zu schonen. Aber da ist sie ganz Profi: während andere in ihrem Alter (siebzig Jahre werden es in diesem Dezember) wohl eher zu couch potatoes geworden sind, lässt sie sich von öffentlichen Auftritten nicht abbringen, genießt das Leben im Rampenlicht und kann sich auch gar kein anderes vorstellen. Das ist alles so charmant und cool, da verzeiht frau/man dann auch gerne, dass die Tonqualität von CD und DVD nur suboptimal ist. Und irgendwie ist das dann auch wieder sehr authentisch, weil es fast gewollt nach old school oder retro klingt.

Und weil Faithfull immer schon unangepasst war, bringt sie nicht nur die Hits ihrer Karriere mit der Begründung: "I went to look for songs, that will not so well known, that will special. That will rare." Zum Unangepasst Sein gehört dann wohl auch die Wahl ihres nächsten Veranstaltungsortes. Und zwar wird sie – fast auf den Tag genau ein Jahr nach den Terroranschlägen – im Pariser Club "Le Bataclan" auftreten.

Dort wird frau/man sich sicherlich auch davon überzeugen können, dass Faithfull beispielsweise bei "The price of love" unter Beweis stellt, dass sie es immer noch richtig krachen lassen kann. Und bei einem ihrer nach wie vor besten Songs "Late Victorian Holocaust" (den Nick Cave für Faithfull geschrieben hat) mit gigantischem Gitarrensolo versehen ist, und dass eben auch Evergreens wie "The eyes of Lucie Jordan" oder "Sister Morphine" nichts von ihrer Ursprünglichkeit und Frische eingebüßt haben. Zwischendurch linst Marianne Faithfull immer wieder in die Notenblätter, weil selbst die Ultra-Hits "As Tears Go By" oder "Sister Morphine" nicht mehr ganz textsicher sitzen. Aber wer will ihr das verdenken?

Die größte Neuigkeit des Abends aber wohl ist, dass sie mit dem Rauchen aufgehört hat. Verschmitzt zückt stattdessen sie eine e-Zigarette mit den Worten: "It gives me a thrill!" Ach ja, so ändern sich die Zeiten.

AVIVA-Tipp: Alles in allem ist dieses Album (CD und DVD) eine schöne Reminiszenz an die fünfzigjährige Bühnenkarriere einer der wichtigsten Musikerinnen unserer Zeit, die von VH1 in die Liste der "100 Greatest Women of Rock and Roll" aufgenommen wurde. Da können auch einige Abzüge in der Tonqualität und Abmischung relativ schmerzfrei hingenommen werden!

Marianne Faithfull
No exit

Label: earMUSIC / Verycords
VÖ: September 2016

Marianne Faithfull live

25.11.2016, Paris, Le Bataclan

Marianne Faithfull im Netz: www.mariannefaithfull.org

Weiterhören auf AVIVA-Berlin:

Give my Love to London
Marianne Faithfull ist mit knapp 68 Jahren von umwerfender stimmlicher und persönlicher Präsenz – frei nach dem alten Spruch: was sie nicht umbringt, macht sie nicht härter, sondern immer besser. (2014)

Horses and High Heels
Auf die anfängliche Dunkelheit folgen die ersten Sonnenstrahlen. "Horses and High Heels" zieht soulig runter und baut rockig wieder auf. Was am Ende bleibt, ist ein Lächeln und eine gute Portion Zuversicht. Und die innige Bitte, dass dieses Album nicht Marianne Faithfulls letztes Klangwerk war. (2011)

Weitersehen auf AVIVA-Berlin:

Irina Palm
Bei der 57. Berlinale begeisterte Marianne Faithfull Publikum und Presse als Witwe, die im Rotlicht-Milieu das Geld für die lebensnotwendige Operation ihres Enkels verdient. Das Tabuthema wird von Regisseur Sam Garbarski behutsam und humorvoll umgesetzt. Die Besetzung der Maggie mit Marianne Faithfull erweist sich als 100 % Glücksidee: Sehr einfühlsam und mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik füllt die Rocksängerin und Schauspielerin, die schon in über 20 Filmen mitgewirkt hat, jede Minute ihrer Performance und lässt die außergewöhnliche Rolle absolut glaubhaft werden. (2007)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Memories
Es sind Memoiren der besonderen Art, erzählt von einer außergewöhnlichen Frau und Künstlerin. Marianne Faithfull widmet sich noch einmal den glanzvollen aber auch schmerzhaften Kapiteln ihres Lebens und scheut sich nicht davor, ihren Fans und LeserInnen auch den "schwachen" Menschen hinter der Ikone Faithfull zu offenbaren. (2009)




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Beitrag vom 24.10.2016

Silvy Pommerenke