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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 31.12.2003


Die Reklamation, das neue Album von Wir sind Helden
Marie-Louise Leinhos

"Guten Tag, die Reklamation" so heißt die Single des ersten Albums. Was die vierköpfige Band zu Helden machte und ob sie von ihrer Musik leben können, verraten Judith und Pola in einem Interview.




Eine der außergewöhnlichsten Newcomerbands im Bereich des Retropunk sind "Wir sind Helden". Nachdem Berlins musikalische Nerven nach Bands wie MIA leicht blank lagen, sorgen sie nun für musikalischen Balsam auf die Ohren. Mit einer Mischung aus poppigen Musikparts untermalt von Keyboardklängen ganz im Stile der frühen 80er und zynisch meistervoll und lebensorientierten Texten begeistern Judith und ihre Bandkollegen ihre Fans.
Das neue Album wird seit Monaten mit Spannung erwartet.
Am 7.Juli 2003 ist es nun endlich so weit. "Die Reklamation" lässt nicht länger auf sich warten.
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Im Vorfeld war es AVIVA-Berlin möglich, Judith (Gesang und Gitarre) und Pola (Drums) Fragen zu ihrer Arbeit und ihrem Leben als Musikerinnen zu stellen.

AVIVA-Berlin: Ihr seid gerade frisch aus dem Studio gekommen? Etwas ungewöhnlich, erst eine Tour zu spielen und das ins Studio zu gehen?
Judith: Nein, wir waren erst im Studio, haben dann immer mal wieder kurz getourt und sind dann wieder ins Studio gegangen. Als das Album fertig war, machten wir eine 14-tägige Tour, quer durch Deutschland. Nun sind wir seit 10 Tagen zurück und haben die letzten Dinge bezüglich des Covers und der Fotos entschieden. Jetzt ist alles eingetütet und auf dem Weg.
AVIVA-Berlin: Ein gutes Gefühl, oder?
Judith: Ja, unbeschreiblich.
AVIVA-Berlin: Und wie reagierten die Leute auf Tour auf euch? In welchem Rahmen habt ihr gespielt?
Pola: Es sind ganz unterschiedliche Konzerte. Wir hatten ein Konzert in Nordham in einem kleinen Club, da kamen an die 100 Leute. Dann hatten wir Konzerte in München mit ca. 1000 Leuten. Egal, vor wie vielen Menschen, es hat immer sehr viel Spaß gemacht und jeder der kam, war wichtig.
AVIVA-Berlin: Würdet ihr euch daher als publikumsbezogene Band charakterisieren?
Judith:
Ja, auf jeden Fall. Uns ist das Livespielen und auch der Kontakt zu den Fans extrem wichtig. Das bezieht sich nicht nur auf die Konzerte. Ich stehe per Email in engem Kontakt mit meinen Fans.
AVIVA-Berlin: Und Du beantwortest wirklich alle Deine Mails persönlich?
Judith:
Ja, und ich nehme mir richtig Zeit dazu. Sogar bis zu einem Maße, für dass ich ausgelacht werde.
Pola: Nach unseren Konzerten sind wir auch gerne an unserem Merchandise Stand anzutreffen, und quatschen dann auch mit unserem Publikum. Es liegt eine Mailingliste aus, auf der die Fans unseren Newsletter anfordern können. Für uns ist auch interessant, wie die Menschen so drauf sind, die zu unseren Konzerten kommen.
AVIVA-Berlin:Und was würdet ihr sagen, welche Songs sind auf der Tour am besten angekommen? Ihr hattet ja im Vorfeld 2 Singleauskopplungen, u.a. "Guten Tag, die Reklamation" und "Müssen nur Wollen".
Pola: Total unterschiedlich, aber "Müssen nur Wollen" ist der Song, bei dem es am meisten abgeht. Es liegt eben auch daran, weil er relativ bekannt ist und es daher auch Spaß macht, ihn vielleicht zum ersten Mal live zu hören.
AVIVA-Berlin: Woher kam die Idee für das Video zu "Müssen nur Wollen?"
Pola: Das waren Freunde von uns, die auch schon unser erstes Video gedreht haben. Wir haben sie kennen gelernt, da sie uns für eine Langzeitdoku über eine Band ansprachen. Durch die gute Zusammenarbeit entschlossen wir uns, dass sie auch das zweite Video machen sollten. Die Idee kam von Ihnen und wir haben sie dann gemeinsam fertiggesponnen.
AVIVA-Berlin:Der Text ist ja stellenweise sehr zynisch.Man findet euch in einem Schaufenster wieder, als arme Musiker, die jedem dankbar sind, der einen Groschen in die Box wirft. Wie verhält es sich finanziell, könnt ihr mittlerweile von eurer Musik leben?
Judith: Ja. Lustigerweise auf einem ähnlichen Level wie vorher, aber eben sehr studentisch.
AVIVA-Berlin: Du schreibst sehr lebensbezogene Texte. Sind diese reine Fiktion oder auch Themen, die Du selbst erlebt hast?
Judith: Unterschiedlich, also es ist immer fast Beobachtung, entweder Selbstbeobachtung, die nah an meinen eigenen Erfahrungen dran ist, oder die meiner Freunde entspricht. Gesellschaftliche Themen beschäftigen mich einfach, oder Themen, die einfach aus Gesprächen entstehen. Oder aus Büchern.
AVIVA-Berlin: Du liest ziemlich viel?
Judith: Nicht mehr soviel wie früher. Keine Zeit.
AVIVA-Berlin: Durch die Musik?
Pola: Das ist eine schwierige Frage. Wir kommen alle aus ganz unterschiedlichen Teilen Deutschlands, haben mal hier mal da gelebt. Judith und ich leben mittlerweile in Berlin, Mark lebt in Hamburg und Jean-Michel in Hannover.
Judith: Naja, wir sind immer noch über verschiedene Städte zerstreut, sind die meiste Zeit entweder in Berlin oder ganz wo anders. Man kann sagen, wir sind nicht wirklich sesshaft. Mittlerweile sind wir auch viel auf Tour. Das Album allerdings haben wir zusammen in Berlin aufgenommen, und die anderen beiden Jungs haben sich dann zur Zwischenmiete in Berlin eine Wohnung genommen.
AVIVA-Berlin: Und wie sind dann "Wir sind Helden wirklich entstanden?
Pola: Es war so, dass Judith, Jean-Michel und ich uns ca. vor 3 Jahren kennen gelernt haben. Wir merkten schnell, dass es passt und dass wir zusammen Musik machen möchten. Dann haben wir uns immer in einer der drei Städte getroffen und zusammen Musik gemacht. Marc kannte ich von einer anderen Band und den habe ich dann abgeworben.
AVIVA-Berlin: Musste ihr euch erst auf eine Musikrichtung einigen oder war es vorne rein klar, dass eure Texte z.B. deutschsprachig sind?
Judith: Deutschsprachig zu singen, war von Anfang an klar. Der Musikstil hat sich entwickelt. Klar, am Anfang ist er noch nicht so deutlich, es hat keiner gesagt, wir wollen so und so klingen. Sondern man probiert eben, findet sich zusammen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass wir sehr verschiedene Sachen machen, weil wir auch unterschiedlichste Stile mögen, und mit der Zeit kristallisiert sich heraus, was denn an der Musik das Eigentliche ist. Es ist aber keine bewusste Entscheidung, sondern ganz viele Kleine, die eben unterbewusst bei dem Gefühl des Zusammenspielens entstehen.
Pola: Und da wir einen Keyboarder haben, kann man ja auch soundmäßig viel ausprobieren. Die Frage, ob wir deutschsprachig singen möchten, haben wir uns so nie gestellt, da wir durch Judiths Musik ihre Texte kennen gelernt haben und es war klar, dass dies einer der Grundpfeiler unserer Band ist.
AVIVA-Berlin: Judith, Du singst aber nicht nur, sondern spielst auch Gitarre?
Judith: Ja, ich spiele Bass, Keyboard und Gitarre.
AVIVA-Berlin: Mit viel Jahren hast Du damit angefangen?
Judith: Im Alter von 12 Jahren. Ich hatte aber nie richtig Unterricht. Am Anfang war ich sehr fleißig und spielte sämtliche Songbooks dieser Welt durch. Dabei habe mir die Finger blutig gespielt (lacht, Pola schaut unglaubwürdig). Und wenn ich irgendjemand kennen gelernt habe, der Gitarre spielen konnte, habe ich mir eben ein Lied zeigen lassen.
AVIVA-Berlin: Ihr habt mal zusammen mit Nena gespielt. Ist Nena ein Vorbild für Dich, Judith?
Judith: Als Kind habe ich ihre Platten gehört, aber ich würde nicht sagen, dass sie zu meinen musikalischen Wurzeln gehört.
AVIVA-Berlin: Wo siehst Du die eher?
Judith: Bei Sachen, auf die man so nicht kommen würde. Ich stehe eher auf Songwriter Musik, wie Bob Dylan, Bob Marley, das waren die ersten Platten, die ich hörte und die Jackson Five.
Aber hauptsächlich haben mich die Songwriter-Platten meiner Mutter von Leonard Cohen inspiriert. Auch heute höre ich mir noch gerne Sachen von Randy Newman an.
AVIVA-Berlin: Überraschenderweise müsst ihr für die Guano Apes bei MTV Campus Invasion in Kiel einspringen. Und aufgeregt?
Pola: Wir sind schon ein wenig aufgeregt.
Judith: Ich merke, dass ich aufgeregt bin, weil ich nach der Tour schon meine Motoren runtergefahren hatte. Während der Tour braucht man einfach die ganze Zeit ein hohes Level an Energie. Danach ist man dann dankbar für jedes introvertierte Loch, dass sich auftut. Mit einer Einladung zur MTV Campus Invasion haben wir am wenigsten gerechnet. Unser Keyboarder z.B. ist auch gerade auf Hochzeitsreise. Aber es ist eine schöne Überraschung.
AVIVA-Berlin: Habt ihr gelegentlich noch Lampenfieber?
Pola: In unterschiedlichen Maßen. Wenn man mitten in der Tour steckt und es ist das siebte Konzert, ist man etwas routinierter. Dennoch herrscht eigentlich immer eine kontinuierliche Spannung und das ist auch wichtig.
Judith: Ich genieße es auch extrem, für mich ist es auch totale Verschwendung, auf der Bühne nervös zu sein. Wenn Du dir dieses Gefühl nämlich mal abschminkst, kann man sehen, wie die Leute reagieren. Man erlebt die Reflektion der eigenen Energie von der Musik untermalt, und das ist eines der schönsten Gefühle, die ich bisher als Musiker erleben konnte.
VIVA-Berlin: Ihr seid also nach Albumproduktion und Tour etwas ausgepowert?
Judith: So richtig ausgepowert sind wir nicht. Die Batterien sind noch voll, aber ein gesunder Instinkt sagt uns, dass es an der Zeit ist, einen Gang runterzuschalten.
AVIVA-Berlin: Was ist für euch eine Heldentat?
Judith und Pola: Eine Heldentat ist eigenmotiviert, erfordert Mut, und ist unkonventionell.
Judith: Für mich sind Heldentaten immer auch von Liebe getragen. Sie beziehen sich auf andere Menschen.
AVIVA-Berlin: Wenn ihr die Möglichkeit hättet, für einen Tag ein Comic-Held zu sein, in wessen Rolle würdet ihr gerne schlüpfen?
Judith: Ganz spontan, da ich momentan etwas erholungsbedürftig bin, wäre ich gerne Snoopy. Ich würde abwechselnd in der Sonne auf der Hütte liegen, und zwischendurch wieder ein bisschen Action machen, aber hauptsächlich die Nase flach halten.
Pola: Unter dem Urlaubsaspekt betrachtet wäre ich gerne Indianer Jones.
Judith: Ist das nicht der, der immer in Konfrontation mit messerbespickten Leichen gerät?
Pola: Ja, Indiana Jones macht immer eine merkwürdige Form des Aktiv-Urlaubes. Das könnte ich mir doch dann ganz gut vorstellen.

Weitere Informationen und Tourdates zu "Wir sind Helden": www.wirsindhelden.com


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Beitrag vom 31.12.2003

AVIVA-Redaktion