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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 30.09.2005


Doro Pesch im Interview
Tatjana Zilg

Als erster Frau gelang es ihr, sich im Heavy Metal-Genre ganz nach oben durchzukämpfen. Doro erzählt von der Freundschaft zu Boxstar Regina Halmich, von neuen Projekten und von der Zeit mit Warlock




Nicht nur für ihre Fans ist Doro etwas ganz besonderes. Seit Anfang der Achtziger arbeitete sie sich mit Disziplin, Hingabe an die Musik und Freude an der Rockszene bis an die internationale Spitze eines bisher männerdominierten Genres.
Im Interview mit AVIVA-Berlin lobte sie spontan den Ansatz, eine frauen-fokussierte Website zu gestalten, und erzählte, dass auf ihrem nächsten Album ein Song zu diesem Thema zu finden sein wird.

Doro Pesch: "The Inner Circle" wird ein Song über Frauen weltweit. Es ist wie ein kleines Netzwerk. In Amerika gibt es mittlerweile Frauen in Keypositionen bei den größten Musikmagazinen, Plattenfirmen oder beim Fernsehen. Überall sind jetzt Frauen, mit denen ich mich extrem gut verstehe. Das ist mir seit ein paar Jahren aufgefallen und dann dachte ich mir, ich muss einen Song darüber schreiben. Es ist wie eine unsichtbare Power. Früher, als ich angefangen habe, war das alles eher männerbeherrscht. In den Plattenfirmen gab es Sekretärinnen, aber sonst kaum Frauen. Dass die Chefstellen von Frauen besetzt werden, war vor zwanzig Jahren noch unmöglich.
1986 konnte ich mit "Warlock" als erster deutsche Band bei dem legendären "Monster of Rock"-Festival in Castle Donington/England spielen. Für uns war es der Wahnsinn, als erste deutsche Band dort sein zu können. Aber für die Presse war es das erste Mal, dass eine Frau diese Bühne betreten hat. Das gab es damals im Metal-Bereich nicht. Heutzutage ist das ja gang und gäbe, aber in den Achtzigern habe ich immer das Gefühl gehabt, man muss sich doppelt und dreifach behaupten und dafür kämpfen, dass man für die gleiche Leistung Respekt und Beachtung bekommt.

AVIVA-Berlin: Deine neue Single "We Are Like Thunder” ist die Eingangshymne für Regina Halmich. Was fasziniert Dich am Boxsport?
Doro Pesch: Ich bin totaler Boxfan, seitdem ich klein war. Ich war Muhammad Ali Fan. Als ich drei, vier Jahre alt war, bin ich nachts aufgestanden und habe mir mit meinen Eltern Boxen angeschaut, damals war das ja noch schwarz-weiß. Das hat mich immer extrem fasziniert. Ich mag professionelle Kämpfe. Die Technik dahinter und wie Gewinner und Verlierer sich verhalten. Mir hat das nicht viel gebracht, zu sehen, wie die sich gegenseitig schlagen, sondern wie jeder mit Ehre versucht zu gewinnen. Meine Faszination liegt wahrscheinlich im Kampf selbst. Mein Vater hatte einen LKW und war Transportunternehmer. Ich war nicht im Kindergarten, sondern oft mit meinen Eltern im LKW unterwegs. Da habe ich damals schon als ganz kleiner Mensch gemerkt: das Leben ist ziemlich hart.

AVIVA-Berlin:Wie habt Regina Halmich und Du Euch kennengelernt?
Doro Pesch: Seit 1994 trainiere ich Thai-Boxen, um mich für die Tourneen fit zu machen. Mein Boxlehrer sagte mir, ich solle mir möglichst viele Kämpfe ansehen. Thai-Boxen macht man mit Fäusten, Ellenbogen, Knien und Füssen. Es ist das beste Konditionstraining. Ich bin in unterschiedliche Kämpfe gegangen und einer war in den Satori - Sälen in Köln. Der Ringsprecher kündigte ein neues Duell mit Regina Halmich an. Sie ist mit "All we are" eingezogen. Das ist der Lieblingssongs von den Fans. Zusammen mit "Für Immer" ist "All we are" unser Hit. Nach dem Kampf bin ich zu ihr gegangen. Wir kannten uns schon vorher vom Sehen, Regina ist Rockfan und zu meinen Konzerten gekommen. Über die Jahre hat sich dann eine tiefe Freundschaft entwickelt. Im Jahr 2000 rief sie mich an und fragte, ob ich nicht eine Hymne für sie machen könnte. Ich schlug ihr "Fight" vor, der Song war extrem aggressiv und hart. Regina musste dafür kämpfen, dass der Song im Fernsehen vor ihrem Kampf läuft. Aber sie hat es durchgeboxt, im wahrsten Sinne des Wortes. Vor einem Jahr habe ich eine neue Platte gemacht und ich habe mit ihr besprochen, ob sie Lust auf eine neue Hymne hat. Dann haben wir "She´s like Thunder" geschrieben.

AVIVA-Berlin: Wie würdest Du die nächste Single, die im November auf dem Markt kommt, und das Album, das im Frühjahr 2006 erscheint, beschreiben? Bleibst Du Deinen musikalischen Wurzeln treu?
Doro Pesch: Es wird wieder jede Mengen Hymnen geben, totale Heavy-Songs, Balladen und den deutschen Song "In Liebe und Freundschaft". Ich denke mal, dass er die erste Single werden wird. Ein sehr schöner Song, sehr emotional, ich würde sagen zwischen "Für immer" und "Alles ist gut". Vor drei Wochen hatte mein Vater Geburtstag, er lebt leider nicht mehr. Ich stand mit meiner Mum am Grab - es war sehr emotional. Auf einmal hatte ich die Idee für den Song. Nachts habe ich mich sofort hingesetzt und den Song fertiggemacht, am nächsten Tag bin ich in das Studio gegangen und habe es den Leuten vorgespielt. Eigentlich war ich an der Single "Above The Ashes" dran, auch ein wahnsinnig schöner Song, mehr eine Hymne, ganz sensibel, eine Magic-Ausstrahlung. Na ja, und dann konnte ich mich nicht entscheiden und habe die beiden Songs vielen Leuten vorgespielt, und die sagten: "Hey, komm, nimm doch den Deutschen, die Fans mögen die deutschen Songs extrem gern."

AVIVA-Berlin: Seit ein paar Jahren ist Deutschrock ja wieder stark im Kommen. Es gibt eine Menge neuerer Bands.
Doro Pesch: Ich mach das mehr aus dem Gefühl heraus. Egal, welcher Trend gerade ist. Wenn man sich danach richtet, hat man schon verloren. Ich gehe da eigentlich immer instinktiv dran. Der Song hat ein sehr schönes Gefühl, es ist ein ganz simpler Song, aber drückt alles aus, auch, was in der Rockszene so abgeht. Es ist alles sehr freundschaftlich. Man fühlt sich schon seit vielen Jahren sehr verbunden. Ein ganz tiefes Gefühl von Zusammengehörigkeit und Liebe. Das Album soll im März/April 2006 kommen, wie es heißen wird, weiß ich noch nicht. Der Arbeitstitel ist "Warrior Soul". Das Cover ist wieder ein Gemälde von dem Künstler, den ich sehr gern mag, Geoffrey Gillespie. Gleichzeitig bin ich ab morgen (Mitte September, Anm. Red.) in der Schweiz für Dreharbeiten eines Filmes, "Anouk, der Weg des Kriegers". Er spielt in der Bronzezeit. Ich bin die Tochter des Ältesten, der sein Volk führt. "Warrior Soul" wird wohl als Filmmusik verwendet werden.

AVIVA-Berlin: Steht schon fest, wann der Film in den Kinos zu sehen sein wird?
Doro Pesch: Ja, nächstes Jahr. Zunächst wird der Film in den Schweizer Kinos veröffentlicht. Aber ob er in die deutschen Kinos kommen kann, wird hart umkämpft. Auf jeden Fall wird er im 3sat gezeigt werden, aber vorher soll er auch hier in die Kinos kommen. Ich hab ein gutes Gefühl dabei. Der Regisseur ist Luke Gasser.

AVIVA-Berlin: Du kannst auf eine fast zwanzigjährige Musikkarriere zurückblicken. Erinnerst Du Dich noch, wie es war, als Du zum ersten Mal mit Heavy Metal in Berührung kamst?
Doro Pesch: Ich habe 1980 mit meiner ersten Band angefangen. Ich bin musikinteressiert, seitdem ich denken kann. Ich bin in der Glamrock-Zeit aufgewachsen, mit T Rex, Slade, Led Zeppelin, den Stones. Als ich acht, neun, zehn Jahre alt war, wollte ich gerne Sängerin werden. Musik war immer wichtig in unserer Familie. Als ich ein bisschen älter wurde, habe ich darüber nachgedacht, was ich im Leben machen möchte. Da ich auch alles mit Grafik mag, habe ich eine Lehre zur Grafikerin angefangen. In der Lehre bin ich ziemlich krank geworden. Zuerst wusste ich gar nicht, was es ist. Na ja, und dann war ich bei tausend Ärzten, die sagten, nein, es ist alles in Ordnung. Hinterher kam es raus, da war es schon fast zu spät, ich hatte Lungentuberkulose im Endstadium. Ich war ein Jahr im Krankenhaus, das erste halbe Jahr wusste man nicht, ob ich überlebe. In dem einen Jahr hat sich ganz viel verändert, ich war damals 16. Ich habe auch alle meine Freunde verloren, den Kontakt zu unserer Clique. Ich musste in Quarantäne und durfte nicht besucht werden. Ich habe nicht gedacht, dass ich das überlebe und hatte ganz viel Zeit. Ich habe Gedichte geschrieben und Musik war das einzige, was einen über Wasser gehalten hat. Ich dachte, wenn ich jemals aus dem Krankenhaus rauskomme, dann mache ich das, was ich gerne mache. Nach einem Jahr konnte ich endlich entlassen werden und zwei Wochen später hatte ich meine erste Band. Es musste Heavy Metal sein, weil sich soviel Aggression und Emotion angestaut hatten. Nach einer kurzen Zeit haben wir uns zu einer Band zusammengeschlossen, die hieß Warlock. Das war der Durchbruch, 1983 bekamen wir einen ersten Plattenvertrag. Die ersten Tourneen und dann ging es weltweit super ab. 1986 bin ich nach Amerika gegangen, wo ich für drei Tage in New York eine Promotion-Tour machen wollte. Ja, und dann bin ich sofort dageblieben. 1991 bekam ich die Grüne Karte, seitdem geht es immer hin und her.

AVIVA-Berlin: Du bist sehr viel auf Tournee. Bleibt das auch weiterhin so?
Doro Pesch: Ja, 2005 haben wir auf einer Menge Festivals gespielt, was ich extrem gern mag. Wir haben auch zum ersten Mal in der Türkei gespielt, in Istanbul. Es war tierisch, tierisch geil. Da kamen ganz viele Leute aus dem Iran, ich wusste gar nicht, dass die Leute auch die Musik hören oder hören dürfen.

AVIVA-Berlin: Was wünscht Du Dir für die Zukunft?
Doro Pesch: Dass ich noch viele Jahre Musik machen kann und dass es wieder besser wird in der Welt. Es ist schon extrem, was gerade in der Welt abgeht. Ich war immer ein Amerikafan: Ich habe es so geliebt, für Sachen, die ich hier nicht konnte, für die Freiheit, dass man dort seine Träume verwirklichen kann. In Louisiana und in New Orleans haben wir unser "Für immer"-Video gedreht. Das war in den Sümpfen von Louisiana, in einer Riesenvilla, wo schon viele Filme gedreht wurden. Das gibt es jetzt wahrscheinlich alles nicht mehr. So schnell kann es gehen, wie schnell sich alles ändert.
Ich hoffe, dass es noch viele gute Jahre gibt, jeden Tag genießen, Hundertprozent ausnutzen. Was immer man machen will, nicht aufschieben. Und Gesundbleiben, Weltfrieden. Das ist auch der Herzenswunsch von allen unseren Fans, wenn man sich mit ihnen unterhält.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit all Deinen Projekten.

Lesen Sie auch die Rezension der CD "We Are Like Thunder".



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Beitrag vom 30.09.2005

AVIVA-Redaktion