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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 22.08.2006


Interview mit Julia Neigel
Silvy Pommerenke

Das Treffen findet Anfang August im Café Einstein in der Kurfürstenstraße statt. Bei sonnigem Wetter und vollem Lokal sitzt Julia Neigel mit Milchkaffee, im tiefausgeschnittenem Leopardenkleid...




...braungebrannt und sichtlich entspannt mir gegenüber. Ihre grünen Augen blicken mich offen an und sind - neben ihrer verrauchten tiefen Stimme - wirklich sehr beeindruckend.

AVIVA-Berlin: Dein Terminplan in der letzten Zeit war sehr voll, und du hast in den vergangenen Tagen mehrere Fernsehauftritte gehabt. Wie ist das für dich, nach so vielen Jahren wieder im Rampenlicht zu stehen?
Julia Neigel: Ich hatte mich aus der Öffentlichkeit ganz zurückgezogen, daher ist es nun sehr schön. Es ist genau das, was mir gefehlt hat in all den Jahren. Ich habe ja nicht freiwillig aufgehört, und es fühlt sich an, als ob ich wieder zu Hause angekommen bin, und ich meinen Beruf endlich wieder ausüben kann. Auf der Bühne zu stehen ist etwas Wunderbares, ich liebe dieses Leben!

Fotos: pr/Alexandra Adrian
AVIVA-Berlin: Du hattest in den letzten acht Jahren viel Ärger mit Deinen ehemaligen Musikern. Daraus entwickelten sich Rechtsstreitigkeiten, bei denen es unter anderem um Urheberrechte an Deinen Songs ging. War dies auch der Grund, warum Du mit Deiner Rückkehr in die Öffentlichkeit so lange gewartet hast?
Julia Neigel: Ja, es ging vorher nicht. Ich bin `98 zum ersten Mal mit den beiden aneinander geraten, weil es um eine Erotik-Photosession ging. Sie wollten, dass ich es mache, ich aber nicht. Und dann gab es Streit. Ich verlor das Vertrauen. Am Anfang meiner Karriere ging ja der Gitarrist, der auch mein Lebenspartner war, mit mir als einziger diesen Weg. Er war Tag und Nacht an meiner Seite, und ich habe ihm voll vertraut. Dass da etwas nicht stimmt, ist mir vorher nie aufgefallen. Ich begann dann alles zu hinterfragen, die Verträge, Songrechte, und stellte fest, dass alles unwahr war. Da war es schon 2003, und es war klar, ich werde kein neues Album machen. Aber außergerichtlich war da nichts zu klären, weswegen ich anfing, die ganze Sache mit einer Klage durchzuziehen. Dann begann allerdings Krieg, der so weit ging, dass mir gegenüber Rufmord in der Branche betrieben wurde, und es wirklich bedrohlich wurde. So bedrohlich, dass ich zur Polizei und zur Staatsanwaltschaft ging. Mittlerweile wurden etliche Strafanzeigen erstattet, außerdem sind da noch die laufenden Verfahren. Einer dieser Prozesse wurde aber jetzt dahingehend abgeschlossen, dass ich 75 Prozent des Liedes "Schatten an der Wand" bekommen habe. Das ist der erste richtige Schritt in Richtung Wahrheit und Freiheit. Während dieser Phase wäre es mir unmöglich gewesen, gleichzeitig zu arbeiten.

AVIVA-Berlin: Solche unerfreulichen Rechtsstreitigkeiten ziehen ja auch total viel Energie ab. Da ist es schon verständlich, dass Du nicht schon eher Dein Comeback hattest.
Julia Neigel: Das auch, aber sie haben auch versucht, es zu verhindern. Sie haben es geschafft, über einen branchenbekannten Anwalt, dem ganzen einen Riegel vorzuschieben. Sicher wäre es gegangen, aber es hätte nicht richtig funktioniert. Jetzt sieht das anders aus.

AVIVA-Berlin: Wie ist denn das nun für Dich, "Schatten an der Wand" zu spielen? Dieses Lied steht ja stellvertretend für die Rechtsstreitigkeiten der letzten Jahre. Du hast jetzt zwar 75 Prozent der Rechte zugesprochen bekommen, aber ist das Lied nicht auch negativ besetzt? Wirst Du Deine alten Lieder in Zukunft spielen?
Julia Neigel: Ich werde sie in Zukunft singen. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da wollte ich keinen meiner Songs mehr singen, weil sie ja alle falsch gemeldet waren. Weil die Vorstellung für mich ein Horror war, dass ich auf Tour gehe, die gar nicht dabei sind, aber Geld daran verdienen - da war es negativ besetzt. Die Melodien stammen von mir. Man sollte gerade als Künstlerin auch eine Geschäftsfrau sein, und das Recht haben, Leistungen zu empfangen. Aber jetzt ist es anders. Die anderen 69 Fälle werden noch verhandelt, und ich weiß, wir werden die Wahrheit zeigen und Gerechtigkeit bekommen.

AVIVA-Berlin: Dein aktuelles Live Album "Stimme mit Flügel(n)" ist unplugged nur mit einem Flügel und Deiner Stimme eingespielt wurden. Wie ist die Idee dazu entstanden? Hatte das etwas mit dem Konzert in der Justizvollzugsanstalt zu tun? Lag es an den erhöhten Sicherheitsbestimmungen, dass ihr nicht mehrere Instrumente einschleusen konntet?
Julia Neigel: Weniger. Es war halt so, dass ich in den acht Jahren, in denen ich kein Album veröffentlicht habe, mit dem Singen nicht aufhören wollte. Für mich war das Folter. Es war klar, dass ich mein deutsches Material nicht singen kann, also habe ich angefangen, ein Alternativprogramm aufzubauen, mit dem ich auf Tour gegangen bin. Ich habe Spaß daran gehabt, mir Coversongs auszusuchen, und als deren Interpretin aufzutreten. Fünf verschiedene Sprachen sind im ganzen Konzertprogramm zu hören. Ich habe dieses Konzert in Lingen genutzt, um es nur mit einem Klavier auszuprobieren. Ich glaube aber nicht, dass wir die Instrumente nicht mitnehmen konnten. Sondern es ging wohl einfach um die Größe des Saales. Da passten 600 Leute rein, und auch die Bühne war nicht so groß, dass man eine Rockband drauf stellen konnte. Und bei dem Konzert in Stuttgart hatte ich dann die Idee, das aufzunehmen. Als eine Perle für die Fans, bevor das neue Studioalbum kommt, das dann wieder an die sechs vorigen Alben anknüpft. Im September habe ich noch ein Konzert mit einem großen 50 Mann-Orchester, und es sind auch noch ein paar Konzerte mit Bigband geplant.

AVIVA-Berlin: Du nennst Dich jetzt Julia und nicht mehr Jule. Das bietet dir in der Tat viel Möglichkeiten, künstlerisch neu anzufangen. Ist in diesem Rahmen auch die Idee eines Latino-Albums entstanden, oder ist das unabhängig davon geschehen? Würdest Du sagen, es gibt einen deutlichen Bruch zwischen vorher und nachher?
Julia Neigel: Gar nicht. Ich werde meine schon veröffentlichten Songs wieder singen, und das ganze Material der sechs Alben nutzen, die unter dem Namen "Jule Neigel Band" existieren. Es ist für mich die Chance gewesen, nach so langer Pause wieder zurückzukehren und die Öffentlichkeit über diesen Fake aufzuklären. Dazu gehörte auch, dass ich meinen echten Namen verwende. Es war ein Kosename, den ich mir nie ausgesucht habe. Es gibt viele negative Erinnerungen an diesen Vornamen. Jetzt möchte ich einfach unter meinem echten Namen Platten veröffentlichen, und die alten Alben werden auch irgendwann einmal diesen Namen tragen. Da wird nicht mehr "Jule Neigel Band" stehen. Warum auch?

AVIVA-Berlin: Es ist allerdings verwunderlich, dass Du dann so lange unter dem Namen Jule aufgetreten bist. Es ist ja oft so, dass man sich dagegen wehrt, wenn man von anderen einen Namen aufoktroyiert bekommt.
Julia Neigel: Es gab viele Knebelungen, die auch mit diesen zwei Männern einhergingen. Die haben versucht, mein Talent auf ihre Art und Weise zu nutzen. Der Name "Jule Neigel Band" war nicht meine Idee, und der hätte mich mein Leben lang geknebelt. Es gab auch Verträge, dass, falls mir was zugestoßen wäre, die meine Verträge geerbt hätten. Ich hatte alle Plattenverträge alleine, und im Grunde hätte ich als eigene Karikatur des Namens "Jule Neigel Band" mein Leben gefristet. Es war gar nicht so einfach, aus dieser Form der Gehirnwäsche wieder herauszukommen, denn dieses Bandkonzept, so wie es uns suggeriert wurde, stellte sich letztendlich als kompletter Fake raus. Das war aus meiner heutigen Sicht ganz klar geplant, obwohl die anfangs keine Branchenleute waren. Deswegen ist es für mich ganz wichtig gewesen, dass dieser Name schlichtweg aus der Öffentlichkeit verschwindet.

AVIVA-Berlin: "Stimme mit Flügel(n)" gibt es als normale CD und als Goldedition. Wer kam auf diese Idee?
Julia Neigel: Als ich mir das Varieté in Stuttgart angesehen habe - das ist eines der schönsten in Deutschland - kam plötzlich ein Mann auf mich zu und bot mir das an. Er hat ein eigenen Presswerk und macht nichts anderes, als Gold CDs im Internet zu veröffentlichen. Sein Backkatalog besteht aus live Konzerten von ganz tollen Künstlern wie Elvis Presley, Edith Piaf oder Johnny Cash. Die CD hat eine Goldbesprühung, und sie klingt mit dieser audiophilen Grundlage noch besser, als eine normale.

Fotos: pr/Alexandra Adrian
AVIVA-Berlin: Du singst auf dem neuen Album unter anderem englische Coverversionen. Wirst Du dennoch in Zukunft weiter ausschließlich auf Deutsch singen, oder überlegst Du, in einer anderen Sprache zu singen?
Julia Neigel: Wenn es um das Komponieren und um das Texten geht, bleibe ich beim Deutschen. Aber irgendwann kann es möglich sein, dass meine alten, schon veröffentlichten Songs, inklusive der neuen auf Englisch oder Spanisch aufgenommen werden, und in Europa vermarktet werden. Jeder Musiker möchte international Platten veröffentlichen, und das will ich auch. Und wenn in Spanien Deutsch nicht verstanden wird, dann kann man das auf Spanisch singen. Ich habe mich darin geübt, insofern bin ich da schon etwas routiniert.

AVIVA-Berlin: Aber du sprichst kein fließendes Spanisch?
Julia Neigel: (Lacht) Kein Wort!

AVIVA-Berlin: Ist es schwieriger, Dich auf ein ganzes Orchester einzustellen, oder ist es egal, ob da 50 Musiker oder nur fünf sind? Ist es nicht emotional irgendwie beeindruckender, wenn Du von einem ganzen Orchester begleitet wirst?
Julia Neigel: Es ist ganz egal - Singen ist Singen. Außerdem habe ich ja schon mit Orchestern im Studio gearbeitet. Ich kenne also dieses Gefühl. Außerdem habe ich ja auch als Kind klassische Musik gemacht und in einem Orchester gespielt.
Und deswegen ist das nichts Ungewöhnliches für mich, und nichts Neues. Als Sängerin begleitet zu werden ist natürlich etwas Neues. Aber ich habe keine Angst davor, im Gegenteil ich freue mich.

AVIVA-Berlin: Ich muss nochmal auf dieses Latino-Album zurückkommen: Wie weit sind deine Pläne bereits fortgeschritten?
Julia Neigel: Das Album wird noch kommen. Die Pläne brauchen noch zwei Jahre, weil ich davor so vieles zu tun habe. Das Studioalbum, eine Biographie, ein Anekdotenbuch, und möglicherweise, wenn die Rechtslage bis dahin für alle Songs schon geklärt ist, werde ich meine Songs neu aufnehmen. Es gibt so viel zu tun.

AVIVA-Berlin: Wann werden wir die nächste größere Tournee von dir erwarten können?
Julia Neigel: Vom 20. November bis 20. Dezember 2006 wird es eine Klavier- und Gesangstournee zu "Stimme mit Flügel(n)" geben. Im großen Stil durch ganz Deutschland. Auf der Homepage kann man sich die Daten holen. Es wird natürlich das Studioalbum folgen, dann die große Tournee mit der Band und die Open Airs.

AVIVA-Berlin: Das ist wunderbar. Möchtest du den Leserinnen noch etwas Spezielles sagen?
Julia Neigel: Ja, dass ich ein Glückspilz bin! Ich sage dir, dass dieser Präzedenzfall durchgezogen und dass er "gewonnen" wurde, ist ungewöhnlich. Und dass diese Rechte zurückgekehrt zum Eigner sind, wird einiges in der Branche korrigieren.

Lesen Sie auch die CD-Rezension von zu "Stimme mit Flügel(n)".

Julia Neigel im Netz: www.julianeigel.de



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Beitrag vom 22.08.2006

Silvy Pommerenke