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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.03.2012


Bau Dir Deine rosa Parallelwelt - Wie Lego® Geschlechterrollen zementiert
Marie Heidingsfelder

Mit seiner neuen, speziell für Mädchen entwickelten Produktserie "Friends" leistet das dänische Erfolgsunternehmen einen äußerst zweifelhaften Beitrag zur Konstruktion von weiblicher Identität.




Einen Großteil meiner Kindheit habe ich mit meiner Schwester im Weltraum verbracht: Wir bauten Raketen, erforschten unbekannte Planeten, lebten in Raumstationen und kämpften mit außerirdischen Monstern. Wir trugen Astronauten-Anzüge, Helme, Waffen, Werkzeuge und ein breites Dauergrinsen im gelben Gesicht – Kurz, wir waren lost in space, verloren im Lego®-Universum.
Dass wir als Mädchen für den Konzern nur Teil einer Randgruppe waren, interessierte uns nicht – es war die Geschäftsführung von Lego® selbst, die es sich schließlich zum Ziel machte, die Mädchenquote zu erhöhen. Das erste Ergebnis der Bemühungen war 1997 die Serie Lego Belville®: Rosa Kartons voller Stereotypen, eine Welt aus Pferdeställen, Traumschlössern und Prinzessinnen, die den unterrepräsentierten Mädchen den Spaß am Konstruieren näher bringen sollten. Doch während ein Heer von mittlerweile deutlich männlich markierten Rittern, Vikingern, Robotern und Forschern seinen Siegeszug in die Zimmer der Jungs fortsetzte, blieb der Mädchenanteil unter den SpielerInnen bei schwachen 9%.

Die neue Serie "Lego Friends®"
In seinem jüngsten Versuch, eine höhere Balance in dieses Ungleichgewicht zu bringen, hat das dänische Unternehmen in einer internationalen Forschungsreihe vier Jahre lang insgesamt 3500 Mädchen und deren Mütter befragt, um eine neue und attraktive Serie für Mädchen zu entwickeln. Das Ergebnis ist das im März deutschlandweit erschienene Lego Friends, das sich unter anderem durch mehr Details, eine breitere Farbpalette, mehr Inneneinrichtungs-Elementen und realistischere Figuren auszeichnen soll.

Gute Absichten, hehre Ziele – aber ein höchst zweifelhaftes Resultat:
In der vorstädtischen Fantasiewelt Heartlake-City dreht sich alles um fünf junge Frauen: Mia, Emma, Stephanie, Andrea und Olivia, die im Gegensatz zur eher jungen Zielgruppe bereits die Tätigkeiten junger Erwachsener ausüben. Sie leben nicht mehr bei ihren Eltern, fahren Auto, besitzen ein Haus oder leiten ein Cupcake-Café. Gleichzeitig sind sie allerdings eher kindlich gestaltet sind: Ihre vergrößerten und um Rundungen ergänzten Figuren tragen T-Shirts mit Herzen, Blumen und Schmetterlingen und haben einen übergroßen Kopf mit ebensolchen Augen. Der Eindruck einer Mini-Barbie drängt sich auf. Als animierte Figuren auf der Lego®-Website zeigen sie ein fast lächerlich klischeehaft Verhalten: Sie lächeln sich an, umarmen sich im Sekundentakt und verbringen ihre Zeit mit Flüstern und Kichern.

Neben dem Cupcake-Café, dem Auto und dem Haus gehören zur Lego Friends® Serie unter anderem: Eine Tierarzt-Praxis, eine Bäckerei, ein Welpenhaus, ein Swimmingpool, eine Hundeshow und der Butterfly Beauty Shop. Selbst das einzige weniger klischeehafte Element, der Inventors Workshop, ist dabei, wie die übliche Serie, farblich von Rosa, Lila und Pink dominiert. So entsteht ein seltsames vorstädtisches Matriarchat, unter dessen blauem Himmel Arbeit, Hobby und Freizeit zu einer rosa zuckrigen Sphäre von Freundschaft, Spaß und Konsum verschmelzen. "Ich bin für Mädchen" kann man jedes Element der neuen Serie rufen hören.

Warum die Aufregung?
… könnte mensch fragen, wo doch fast alle Mädchen irgendwann eine "rosa Phase" erleben, nur noch mit Diadem in die Schule wollen und trotzdem irgendwann wieder Jeans tragen. Eine berechtigte Frage, die das grundsätzliche Problem allerdings verfehlt: Es geht nicht um Phasen, sonder darum, inwiefern Lego® mit seiner neuen Serie langfristige Erwartungen, Identifikationsmuster und Ideale für das Leben der Zielgruppe kreiert. Denn mit Heartlake City entsteht eine Bonbon-farbige Parallelwelt tradierter Weiblichkeit: Frauen lieben Tiere, Frauen wollen sich schön machen, Frauen wollen dekorieren und Frauen lieben Luxus. Und wenn Frauen arbeiten, dann im Minirock und mit rosa Werkzeug. Im lang etablierten Original Lego City® bestimmen hingegen tradiert männliche Bereiche den Alltag: Polizei, Autos, Feuerwehr, Raumfahrt und Züge.

Exklusion statt Inklusion
In der aktiven Abgrenzung der Mädchen (statt ihrer Integration in die schon vorhandene Lego City®) baut der Konzern also fleißig weiter an Geschlechterrollenstereotypen und erklärt diese implizit zur "natürlichen Basis" für eine absolute Trennung der männlichen und der weiblichen Sphäre: Die dargestellte Autonomie von Mia, Emma, Stephanie, Andrea und Olivia ist erstens nur in der Abwesenheit von männlichen Figuren denkbar und zweitens keine Grundlage dafür, als Frau ein Interesse für Technik, Maschinen, Expeditionen und Verbrecherjagden zu entwickeln. Die Werte, das Selbstbild und der Erwartungshorizont der jungen Zielgruppe werden daher implizit eingeschränkt und auf ein Ideal von Weiblichkeit reduziert, das wir realgesellschaftlich lange und dankbar hinter uns gelassen haben.

Selbstverständlich ist die Mobilisierung flacher Stereotypen keine Besonderheit der Lego Group®, sondern ein weit verbreitetes Phänomen. Sind aber vergleichsweise undistanzierte Kinder die Zielgruppe, steigt die Gefahr, Geschlechterrollen unbewusst und dauerhaft zu zementieren. So arbeitet Lego® munter an der medialen Naturalisierung konstruierter Verhältnisse mit, anstatt mehr Frauen in AstronautInnenanzüge zu stecken.


Die offizielle Präsentation der Produkte finden Sie unter: friends.lego.com.

Die rosarote Welt von "Heartlake City" können Sie in diesem offiziellen Werbespot "bestaunen".

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(Quellen: Lego®)


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Beitrag vom 23.03.2012

AVIVA-Redaktion