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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 14.05.2013


Barbie Dreamhouse Experience: Ein Alptraum in Pink
Lou Zucker

Model oder Popstar werden, gesundheitsschädlichen Körpermaßen entsprechen und sich mit pinkem Luxus umgeben: Das sind die Träume, in die junge Mädchen ab dem 16. Mai am Alex eintauchen können.




2500 Quadratmeter Glitzer, Glamour und Geschlechterstereotype:
Gleich hinter dem Alexanderplatz, an einem der zentralsten Orte Berlins, verweben sich ab dem 16. Mai 2013 Sexismus und Kapitalismus in ihrer pinkesten Form. Laut der Firma EMS Entertainment, welche für das Spektakel verantwortlich ist, entsteht hier die "einzigartige, lebensgroße und interaktive Installation, die das weltberühmte Barbie™ Spielzeughaus zum Leben erweckt."

Catwalk für Kinder

Endlich brauchen Kinder – und ältere Besucher_innen - nicht einmal mehr ihre eigene Fantasie anzustrengen, um in das "Leben" des Puppen-Klassikers einzutauchen. Bad, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und natürlich Barbies begehbarer Kleiderschrank lassen sich nun in Lebensgröße durchlaufen. Um die Ausstellung zum echten Erlebnis zu machen, wird mit viel Technik aufgewartet: Besucher_innen erhalten am Eingang ein RFID-Armband (Radio Frequency Identification), welches, laut offizieller Website, mit LED-Touchscreens und anderen interaktiven Stationen kommuniziert und Fans"ihr ganz persönliches und auf sie maßgeschneidertes Erlebnis" ermöglicht – wie beispielsweise virtuelles Cupcake-Backen oder die Anprobe von hunderten von Barbies Outfits auf dem Bildschirm. Gegen den Erwerb eines Zusatztickets haben Kinder und Begleitpersonen außerdem Zugang zur "Fashion World" und zur "Pop Star Stage", Outfit-Wahl, Make-Up, und Auftritt auf dem "Barbie Catwalk" inklusive.

Die Barbiepuppe, kinderlos und in verschiedensten prestigeträchtigen Berufen zu sehen, wurde 1959 als Alternative zur Baby-Puppe konzipiert. Anstatt ihre spätere Mutterrolle zu erproben, lud Barbie junge Mädchen zu vielfältigeren Träumen vom Leben als erwachsene Frau ein. Doch der Versuch, Barbie irgendeine emanzipatorische Errungenschaft abzugewinnen, scheitert kläglich bei näherer Betrachtung ihrer Entstehungsgeschichte. Die Inspiration für das Kinderspielzeug lieferte eine Puppe namens Lilli, die ursprünglich in Bars und Tabakläden an erwachsene Männer verkauft wurde. Lilli wiederum war einem Cartoon nachempfunden, der in den 1950er Jahren in einer deutschen Tageszeitung erschien, welche noch heute für ihren Hang zum Softporno bekannt ist: die Bild.

Wenn Barbie also für junge Mädchen eine Alternative zum Mutter-Spielen bot, so bestand sie darin, schon früh von einem Schönheitsideal träumen zu lernen, welches männlichen Fantasien entsprang, kaum realistisch und überdies gesundheitsschädlich ist. Barbies Körpermaße würden, auf Lebensgröße hochgerechnet, 99-46-84 betragen. Die Wahrscheinlichkeit für solche Proportionen, so fand eine Gruppe von Wissenschaftler_innen 1996 heraus, beträgt in der Realität 1 zu 100.000. Und diese 100.000ste Frau zu sein, ist niemandem zu wünschen: Drei Ärzt_innen verschiedener Fachrichtungen am Universitätsklinikum zu Köln diagnostizierten Barbie unter anderem Arthrose, ein erhöhtes Risiko für einen Bandscheibenvorfall, Atemprobleme, eine eingeschränkte Funktion der inneren Organe, Unfruchtbarkeit sowie Osteoporose.




Negativer Einfluss auf das eigene Körperbild junger Mädchen

Dass die Puppe – wäre sie lebendig – einen derart hohen Preis für ihre realitätsfernen Körpermaße zahlen würde, ist hinter ihrem Plastiklächeln natürlich nicht zu vermuten. So überrascht das Ergebnis kaum, zu dem eine Studie der britischen Sussex-Universität kam: Die Forscherinnen entdeckten bei fünf- bis achtjährigen Mädchen einen Zusammenhang zwischen häufigem Spielen mit Barbie-Puppen und einer niedrigeren Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, so wie einem größeren Verlangen, möglichst dünn zu sein.

Das Spielzeugunternehmen Mattel vermittelt mit Barbie aber nicht nur ein ungesundes sondern auch ein latent rassistisches Schönheitsideal. Die Standard-Puppe ist stets weiß, blond und blauäugig. Ausnahmen hierzu finden sich allein in der Dolls Of The World Collection, welche aber eher dazu geeignet ist, nationale Stereotype zu zementieren, als Vielfalt sichtbar zu machen: die "India Barbie" beispielsweise trägt Sari und einen Affen auf dem Arm, Kleidung und Schmuck der "Kenia Barbie" sind einem traditionellen Masai-Kostüm nachempfunden. Jede der Dolls Of The World trägt dazu ihren jeweiligen Pass bei sich – nicht dass die Kinder noch auf die Idee kämen, eine Barbie of Color könnte beispielsweise die US-amerikanische oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die 2012 erschiene "Mexico Barbie" mit Pass erntete auf Twitter viel Kritik. Nutzerin Anita Caro schlug beispielsweise sarkastisch vor: "Why didn´t you just shove a green card in one hand and an INS agent in the other?" - Der US-amerikanische INS (Immigration and Naturalization Service) ist unter anderem für die Festnahme und Deportation illegaler Einwander_innen zuständig.

CDU-Abgeordneter bezeichnet Protest als "aggressive Intoleranz"

Nicht alle Berliner_innen zeigen sich indes einverstanden mit der Errichtung des gigantischen Gewächshauses für ungesunde und undifferenzierte Körper- und Rollenbilder im Herzen ihrer Stadt: "Wir wollen nicht, dass junge Mädchen bereits im Grundschulalter sexistischer Propaganda ausgesetzt werden. Darum protestieren wir – gegen die Eröffnung des Barbie-Dreamhouses und für eine Kindererziehung ohne Sexismus!" - mit diesen Worten ruft die Linksjugend Kreuzkölln auf ihrer Website zu einer Demonstration am Eröffnungstag des pinken Konsumtempels auf.




Wer auf der Alexanderstraße am Bauzaun entlanggeht, erhält dort schon jetzt Inspiration zum vielfältigen Frausein jenseits von Barbie: "Barbaras Traumhaus", die Kunstinstallation einer kreativen Einzelperson, lädt zum Spielen mit den Rollenbildern ein. Hinter den mit "Küche", "Bad", oder "Garage" beschrifteten Türchen auf der großen Pappe können die Betrachter_innen nach Lust und Laune verschiedenste bereitgestellte Fotos aufkleben. So kann mensch beispielsweise dafür sorgen, dass sich hinter dem Türchen "Kleiderschrank" eine Stange voller Bauarbeiter_innen-Funktionskleidung verbirgt, dass wir im "Arbeitszimmer" eine Frau an einem Roboter basteln sehen oder im "Bad" statt einer Kosmetiksammlung eine Badewanne voller gekühlter Bierflaschen vorfinden. Im Gegensatz zu Barbie kann Barbara alt sein oder dick, sie kann Kopftuch tragen, Schwarz sein - je nach Fantasie der Besucher_innen.

Philipp Lengsfeld, der CDU-Abgeordnete für Berlin-Mitte im Bundestag, hat für Kritik an der Dreamhouse Experience jedoch wenig Verständnis. Als Reaktion auf die angekündigte Demonstration ließ er in einer Pressemitteilung verlauten: "Vor dieser Art von aggressiver Intoleranz darf man keinen Schritt zurückweichen."

Weitere Infos unter:

www.barbiedreamhouse.com

Studie der University of Sussex

Demoaufruf der Linksjugend Kreuzkölln

www.mattel.de

www.lengsfeld-mitte.de

Dolls Of The World

ems-entertainment germany

www.criminaljusticeusa.com

www.wdr.de

www.bazonline.ch

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Fotos: © Sharon Adler






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Beitrag vom 14.05.2013

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