Drei Frauen erhalten den Friedensnobelpreis 2011 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 12.10.2011


Drei Frauen erhalten den Friedensnobelpreis 2011
Nina Breher

Drei auf einen Streich! Mit Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman werden gleich drei Frauen mit der hochrenommierten Auszeichnung geehrt. Doch es gibt auch kritische Stimmen.




In der Begründung des Kommittees heißt es, die Frauen haben den Preis "for their non-violent struggle for the safety of women and for women´s rights to full participation in peace-building work" erhalten. AVIVA-Berlin gibt einen Überblick über die drei Preisträgerinnen.

Eine falsche Entscheidung?

Insbesondere um die Vergabe an die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman entbrennen derzeit Kontroversen. In einem Beitrag des "Tagesspiegel" vom 08. Oktober 2011 wird ihr vorgeworfen, eine radikale Islamistin und Aktivistin im jemenitischen Zweig der Muslimbrüderschaft zu sein. Es ist wichtig, Entscheidungen des Komitees zu hinterfragen, und tatsächlich scheint der Vorwurf vorerst berechtigt. Karman ist eine prominente Angehörige der Al-Islah-Partei (oder: Yemeni Congregation for Reform), zu denen auch die in der Kritik stehenden Muslimbrüder gehören.

Diese Darstellung greift jedoch zu kurz. Die Muslimbrüder sind nur einer von drei Teilen, aus denen sich die Al-Islah-Partei zusammensetzt. So bildet die Partei keine homogene Einheit, und einem Bericht des US-amerikanischen Portals stratfor.com zufolge gibt es zwischen den Flügeln der Partei massive Differenzen. Es ist vereinfachend, Karman zu unterstellen, sie konterkariere die Gleichberechtigung von Frauen, anstatt diese zu fördern. Hier helfen Fakten: 2005 gründete sie die Gruppe "Journalistinnen ohne Ketten", die sich für Pressefreiheit und Frauenrechte engagiert. Innerhalb Jemens gilt sie als die "Mutter der Revolution" und als sie festgenommen wurde, war dies Katalysator für die Massendemonstrationen in der Hauptstadt Sanaa. Anfang des Jahres nahm sie ihren Niquab ab und ersetzte ihn – für jemenitische Verhältnisse provokant – durch ein rosafarbenes Kopftuch (Quelle: forbes.com).

Wo die Proteste im Jemen hinführen und was die politischen Veränderungen für die arabischen Gesellschaften bedeuten werden, ist derzeit nicht absehbar. Fakt ist, dass das Regime, das Karman bekämpft, auf Oppositionelle schießen lässt (Quelle: zeit.de). Auch konservativen Parteimitgliedern ist sie ein Dorn im Auge. Diese beschimpfen sie und verteilen Flugblätter, die sie als "unislamisch" verurteilen (Quelle: sueddeutsche.de).

Gefährlich ist die Vergabe des Preises an eine Frau wie sie deshalb, weil es nur wenige fundierte Informationen gibt, die eine radikale islamistische Einstellung – die in der Partei, der sie angehört, durchaus zu finden ist – entweder be- oder widerlegen. Allerdings antwortete sie im Interview mit dem Spiegel auf die Frage, wie sie das Problem der Präsenz von al-Qaida im Jemen lösen will mit: "Once Saleh [der amtierende Präsident Jemens, Anm.d. Red.] has lost power, they will disappear." Ferner auf die Frage, welche Rolle der Islam im künftigen Jemen spielen soll: "We envision a system similar to that in Turkey." Aussagen Karmans, welche Selbstmordattentate befürworten, sind der AVIVA-Redaktion trotz eingehender Recherche nicht bekannt. JedeR muss selbst entscheiden, ob das System, das Karman befürwortet, wünschenswert ist und ob die Mittel, mit denen sie kämpft, die richtigen sind. Einen ´Gottesstaat´ hat sie offenbar nicht im Visier.

Die Vergabe des Preises an Tawakkul Karman ist mit Vorsicht zu genießen, doch muss beachtet werden, dass die Möglichkeiten der Partizipation für Frauen im Jemen andere sind als im Westen. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees drückt die Hoffnung auf eine arabische Revolution aus, die Frauen mit einbezieht und die sich, wie Karman, mit friedlichen Mitteln für den Frieden engagiert. Sie insistiert: "Wir lehnen jede Gewalt ab." (Quelle: zeit.de)

Zwei Drittel des Preises gehen an Liberia

Ellen Johnson Sirleaf ist das erste weibliche Staatsoberhaupt Liberias und Afrikas insgesamt, das demokratisch gewählt wurde. Abgesehen von dieser symbolischen Dimension hat sie entscheidend dazu beigetragen, Liberia nach Jahren des Bürgerkriegs wieder aufzubauen. An der Entscheidung des Nobelpreiskomitees wird kritisiert, dass der Wahl ein politisches Kalkül zugrunde liege: Diesen Dienstag stellte sich Johnson Sirleaf der Wiederwahl. Das Ergebnis steht derzeit noch aus. Zudem setze sie sich nur mangelhaft für die Bekämpfung der Korruption ein und verfüge zudem über fragwürdige Kontakte (Quelle: spiegel.de).

Das unbekannteste Gesicht in der Riege der Friedensnobelpreisträgerinnen 2011 ist Leymah Gbowee. Die Bürgerrechtlerin und Politikerin, ebenfalls aus Liberia, ist Mitbegründerin und seit 2007 Geschäftsführerin des "Women Peace and Security Network Africa". In den Jahren des Bürgerkriegs arbeitete sie in der Hauptstadt Monrovia als Traumatherapeutin und setzte sich für ein Ende der Unruhen ein.


Weitere Informationen finden Sie unter:

www.nobelpeaceprize.org, die offizielle Webseite des Friedensnobelpreises.

www.watch-salon.blogspot.com, Diskussion zum Thema auf dem Blog des Journalistinnenbundes.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, ein ´kleines Lexikon der mächtigen Frauen´, in dem auch Ellen Johnson Sirleaf vertreten ist.

Peace Women - Frauen mit dem Friedensnobelpreis, von Angelika U. Reuter und Anne Rüffer.

1000 Frauen für den Friedensnobelpreis, eine Initiative mit dem Ziel, weltweit auf die verschiedenartige Friedensarbeit von Frauen aufmerksam zu machen.

Kerstin Plehwe - Female Leadership. Die Macht der Frauen. Von den Erfolgreichsten der Welt lernen, Vorstellung eines Buches über einflussreiche Frauen inklusive Interview mit Suraya Pakzad, einer afghanischen Frauenrechtsaktivistin.


Women + Work

Beitrag vom 12.10.2011

AVIVA-Redaktion