Jeanette Wolff – Jüdin, sozialdemokratische Politikerin und Holocaust-Ãœberlebende - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 04.01.2021


Jeanette Wolff – Jüdin, sozialdemokratische Politikerin und Holocaust-Überlebende
AVIVA-Redaktion

Die im Dezember 2020 erschienene Publikation des Abgeordnetenhauses von Berlin erinnert an die sozialdemokratische Politikerin und Frauenrechtlerin. Jeanette Wolff (1888-1976) kämpfte für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit – im Kaiserreich, der Weimarer Republik, während des NS-Terrors, im geteilten Berlin und in der Bundesrepublik.




Jeanette Wolff wurde am 22. Juni 1888 in Bocholt geboren. Sie war die Tochter von Dina Cohen (geb. 1859 Südlohn/Kreis Ahaus – gest. 1938 Bocholt) und Isaac Cohen (geb. 1855 Hofgeismar/Kreis Burgsteinfurt – gest. 1929 Bocholt) und hatte fünf Geschwister.
Jeanette Wolff erinnert sich: "Ich entstamme einem sozialistischen Elternhaus. Mein Vater war religiöser Jude, und er war Sozialdemokrat seit 1875. […] Wir wohnten im sogenannten ´übrigen Viertel´. Hier wohnten nur Arbeiter, Spinner, Färber und Bleicher."

Jeanette Cohn, verheiratete Wolff engagierte sich schon früh politisch und trat der SPD bei. Mit Jeanette Wolff zog 1919 erstmals eine Jüdin in den Stadtrat von Bocholt ein. Sie hielt über diese Zeit in ihren "Autobiographischen Skizzen" fest: "Ich wurde in den Vorstand der SPD Westliches Westfalen gewählt und war als Redner stark gefragt. Gleichzeitig arbeitete ich für den jüdischen Frauenbund in Deutschland und im Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Ich war Vorstandsmitglied und Redner im Reichsmaßstab."

Jeanette Wolff war sie Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt und widmete sich Themen der Wohlfahrtspflege und Gesundheit. Die Bekämpfung von Armut war ihr ein zentrales Anliegen, bis die Nationalsozialisten all das zugrunde richteten, wofür sie gekämpft hatte.

Jeanette Wolff überlebte das Getto Riga, das KZ-Riga-Kaiserwald und das KZ Stutthof. Zwei ihrer drei Töchter und ihr Ehemann wurden ermordet. Dennoch entschied sie sich nach der Shoah in Deutschland zu bleiben. In Berlin zog sie 1946 als eine von 30 Frauen in die erste Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg ein. In der Publikation des Abgeordnetenhauses ist nachzulesen, dass Jeanette Wolff 1946 eine Stelle in New York ablehnte, die ihr von Dorothy Thomsen von der Illustrierten "Life" angeboten wurde. Sie entgegnete – wie ihre Tochter – in Berlin gebraucht zu werden.

Im gleichen Jahr hat sie ihre Erinnerungen an die Zeit im Ghetto und in den Konzentrationslagern sowie deren Außenkommandos auf einhundert Seiten niedergeschrieben, um "das deutsche Volk" über die Verbrechen der Nazis aufzuklären. Der Bericht erschien 1947 unter dem Titel "Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern im Osten" im Sachsenverlag Dresden im Vertrieb von Greiz in Thüringen als Broschüre. In den 1970er-Jahren stellte Jeanette Wolff "Autobiographische Skizzen" zusammen. Die Aufzeichnungen von 1947 wurden um ihre Biographie vor 1942 ergänzt.

Jeanette Wolff arbeitete später in Entschädigungsstellen für NS-Opfer. Die einzige überlebende Tochter Edith wurde Krankenschwester im Jüdischen Krankenhaus.

Ab 1946 beteiligte sich Jeanette Wolff am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde in Berlin und war an der Wiedergründung der Jüdischen Frauengruppe in Westberlin beteiligt. 1949 war sie Mitbegründerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin, dessen jüdische Stellvertretende Vorsitzende sie von 1949–1970 war, und Jüdische Vorsitzende von 1970–1976. Außerdem war sie Mitbegründerin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN Berlin). Später wirkte sie als Berliner Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie setzte sich mit der KPD über die Verfolgung von Sozialdemokratinnen und -demokraten in der DDR auseinander und kritisierte die personelle Renazifizierung der westdeutschen Verwaltung sowie die unzureichende Strafverfolgung von NS-Verbrechern.
Von 1965 bis 1975 war sie die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Das Seniorenzentrum der Jüdischen Gemeinde zu Berlin trägt ihren Namen: Haus Jeanette Wolff.
Jeanette Wolff starb am 19. Mai 1976 in Westberlin.

Mit dieser Broschüre will das Abgeordnetenhaus von Berlin "der imposanten Persönlichkeit von Jeannette Wolff mit dieser Broschüre ein kleines Andenken setzen."

Die Publikation umfasst 66 Seiten und ist kostenfrei erhältlich. Sie kann per E-Mail im Referat Öffentlichkeitsarbeit unter oeffentlichkeitsarbeit@parlament-berlin.de oder telefonisch 030 2325 1064 bestellt werden.

Mehr zu Jeanette Wolff:

Ein Porträt auf Jewish Women´s Archive (mit vielen Infos, Literaturhinweisen und Querverweisen von Dr. Jael Geis jwa.org

Ein Porträt auf Medaon von Ulrike Schneider, "Biographien jüdischer Frauen: Jeanette Wolff (1888-1976) – Jüdin, Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin":
www.medaon.de


Quelle: Presseinformation des Abgeordnetenhauses von Berlin, 2020


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Beitrag vom 04.01.2021

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